Bundespräsident Horst Köhler hat das neue Luftsicherheitsgesetz unterzeichnet, zugleich aber erhebliche Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit geäußert. Damit stellt sich das Staatsoberhaupt klar gegen die Rechtsauffassung der Regierung.
Flugzeuge dürfen abgeschossen werden
Bei dem Luftsicherheitsgesetz geht es vor allem darum, ob von Terroristen gekaperte Flugzeuge im Notfall abgeschossen werden dürfen. Der Bundestag hatte das Luftsicherheitsgesetz bereits im vergangenen Juni beschlossen. Es war unter dem Eindruck der Terrorangriffe vom 11. September 2001 in den USA entstanden. Ein konkreter Anlass in Deutschland war der mehrstündige Irrflug eines geistig verwirrten Mannes Anfang 2003 über Frankfurt. Er hatte gedroht, das gestohlene Kleinflugzeug in einen Büroturm zu steuern. Dem neuen Gesetz zufolge soll die letzte Entscheidung über den Abschuss eines Terror-Flugzeugs künftig der Verteidigungsminister treffen.
Köhler machte in Briefen an den Bundeskanzler und die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat seine Bedenken im Einzelnen deutlich. Seine Einwände betreffen insbesondere die Frage, ob es erlaubt sein kann, ein Passagierflugzeug zur Abwehr einer Bedrohung abzuschießen und damit den Tod Unbeteiligter in Kauf zu nehmen. "Damit wird Leben zu Gunsten anderen Lebens geopfert", sagte Köhler. Dies verbiete aber das Grundgesetz.
Der Bundespräsident warf auch die Frage auf, ob es verfassungsgemäß ist, die Bundeswehr zur Amtshilfe einzusetzen und nicht gleichzeitig der Leitung der zuständigen Landesbehörden zu unterwerfen. Er wies darauf hin, dass "jeder Betroffene auch unter Hinweis auf die von mir aufgezeigten Bedenken" vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könne.
Ungewöhnlich an der Haltung Köhlers ist aber, dass er das Gesetz trotz seiner Bedenken unterzeichnet hat. Dazu schrieb Köhler an den Kanzler, er habe das Gesetz trotzdem unterzeichnet, weil er - anders als das Bundesverfassungsgericht - nicht befugt sei, ein ihm vorgelegtes Gesetz nur teilweise in Kraft treten zu lassen. Außerdem halte er die anderen Vorschriften wegen der gesteigerten Bedrohungslage für dringend erforderlich: "Daher halte ich durch meine Entscheidung nicht die für die Abwehr von terroristischen Bedrohungen notwendigen zusätzlichen Sicherheitsanforderungen auf."
Regierung wähnt sich auf "verfassungsrechtlichem Boden"
Die Bundesregierung wies die Einwände Köhlers zurück und kritisierte die offene Empfehlung eines Gangs nach Karlsruhe. Innenminister Otto Schily sagte, dass die Regierung die rechtliche Auffassung des Staatsoberhaupts zwar respektiere, sie aber für falsch halte. Das "gesamte Kabinett" sei der Ansicht, dass sich die Regierung "auf verfassungsrechtlichem Boden" bewege. Die Einschätzung Köhlers, bei dem Gesetz gehe es um eine Abwägung "Leben gegen Leben", sei "irrig", so der Minister. Ein Flugzeug dürfte nur abgeschossen werden, wenn das Schicksal der Passagiere ohnehin schon besiegelt sei. Diesen Fall halte er "nahezu für ausgeschlossen".
Zudem empfand Schily Köhlers Vorgehen als "etwas ungewöhnlicher Art", das Verfassungsverfahren in Gang zu setzen: "Jeder hat seinen eigenen Stil". Eine Klärung durch das Gericht könne aber nur allen willkommen sein. Der Minister geht fest davon aus, dass es zu einer Klage kommt. "Nach alledem, was ich weiß, haben sich schon einige gerüstet, um den Weg nach Karlsruhe zu gehen."

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Das Gesetz hatte schon im letzten Jahr während der parlamentarischen Debatte für einen Streit über seine Verfassungsmäßigkeit gesorgt. Die Union hatte damals eine Grundgesetzänderung gefordert. Dementsprechend kündigte die Unionsfraktion im Bundestag bereits an, in der kommenden Woche über diese Frage erneut zu beraten. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Wolfgang Bosbach sagte, dass die Entscheidung aber erst nach Abstimmung mit den unionsregierten Ländern fallen werde. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes sei nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. "In einer Situation, in der es um Leben oder Tod geht, kann man sich nicht in einer verfassungsrechtlichen Grauzone bewegen."
Bayern will klagen
Die bayerische Landesregierung hat bereits angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Luftsicherheitsgesetz zu klagen. "Die auch vom Bundespräsidenten aufgeworfenen Fragen zur Herstellung der gebotenen Rechtssicherheit müssen jetzt verfassungsgerichtlich geklärt werden", sagte Innenminister Günther Beckstein in München. Da die Bundesregierung eine Änderung des Grundgesetzes weiter ablehne, bleibe nur der Weg nach Karlsruhe, so Beckstein.