Die Grünen haben die Niedersächsin Rebecca Harms und den Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit zu Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni 2004 bestimmt. Ihrer Vorsitzenden Angelika Beer bereiteten die rund 750 Delegierten des Europa-Parteitags in Dresden am Samstag dagegen eine ausgedehnte Zitterpartie. Beer hatte sich für den dritten Listenplatz beworben, traf dort aber auf die Europaabgeordneten Heide Rühle und Hiltrud Breyer als Gegenkandidatinnen.
Beer bei Wahl zur Europaliste auf Platz fünf gewählt
Keine der drei Kandidatinnen erreichte die erforderliche Mehrheit. Allerdings bekam Beer mit 27,1 Prozent das schwächste Ergebnis. Für den 3. Platz zog sie daher ihre Kandidatur zurück. In der Stichwahl siegt Rühle mit 58,2 Prozent. Erst im zweiten Anlauf zur Kandidatin für die Europawahl wurde Beer nominiert. Beer erhielt am Samstag 55,7 Prozent der Stimmen für ihre Bewerbung um Platz fünf der Liste. Zuvor hatte sie für Platz drei nicht das nötige Quorum erreicht.
Es wurde erwartet, dass Beer für den fünften Listenplatz kandidiert. Am Vorabend hatte die als umstritten geltende Parteichefin zu Beginn des Parteitags versucht, sich mit einer kämpferischen Rede Sympathien zu sichern. Die Delegierten benutzten für die Kandidatenwahlen erstmals ein elektronisches Abstimmungssystem. Die Grünen wollen zur Europawahl insgesamt 25 Kandidaten aufstellen. Die Partei rechnet mit dem Einzug von mindestens zehn bis zwölf Abgeordneten in das Straßburger Parlament.
Fischer stimmte Grüne auf Europawahlkampf ein - Kritik an Union
Im Streit über einen EU-Beitritt der Türkei hat Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Union scharf attackiert und ihr "Stammtischmobilisierung" vorgeworfen. Fischer warb am Samstag auf dem Europa-Parteitag der Grünen in Dresden in einer Live-Videoübertragung von der EU-Regierungskonferenz in Neapel für eine EU-Beitrittsperspektive der Türkei: "Wir dürfen der Türkei die europäische Tür nicht vor der Nase zuhauen." Zugleich appellierte er an die Verantwortung der Grünen für die Gestaltung Europas. Im Mittelpunkt des Parteitags stand am Samstag die Aufstellung der Kandidatenliste für die Europawahl im Juni 2004 und das Wahlprogramm.
Am Freitagabend hatte die Delegierten für die Wiedereinführung der 1997 abgeschafften Vermögensteuer gestimmt. Mit der "Millionärssteuer" sollen reiche Privatpersonen und ertragsstarke Unternehmen belastet werden. Die Parteilinke um Fraktionsvize Hans- Christian Ströbele scheiterte knapp mit der Forderung, die Bundestagsfraktion bis Mitte 2004 zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zu verpflichten. Der Parteivorstand war zuvor auf den linken Flügel zugegangen und von seiner Formulierung abgerückt, die Steuer auf Privatvermögen zu beschränken. Es sei aber darauf zu achten, dass bei der Vermögensteuer "nicht in die Substanz der Betriebe eingegriffen wird".
Empörung über Unions-Fraktionsvize Bosbach
Fischer sagte am Samstag, in der Türkei-Debatte versuche die Union "Vorurteile auszubeuten, um Mehrheiten zu organisieren". "Wir werden Europa gegen Stammtischmobilisierung verteidigen." Mit Blick auf die von CDU-Chefin Angela Merkel angeregte Patriotismus-Debatte sagte Fischer: "Wenn dies Abgrenzung und Bedienen von Vorurteilen bedeutet, habe ich ein grundsätzlich anderes Verständnis." Am Montag beginnt in Leipzig der Bundesparteitag der CDU.

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Die Union ist gegen eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei. Eine Vorentscheidung soll die Europäische Union Ende 2004 treffen. Empörung hatten Äußerungen von Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach ausgelöst, der nach den Terroranschlägen in Istanbul gesagt hatte, mit einer raschen Aufnahme der Türkei in die EU werde "das Terrorproblem importiert".
Auf dem Grünen-Europaparteitag zeichnete sich eine Kontroverse um den EU-Stabilitätspakt und die künftige EU-Verfassung ab. Während der Parteivorstand für ein Festhalten am Stabilitätspakt unter "flexiblen Rahmenbedingungen" plädierte, wurde in anderen Anträgen teilweise eine Aufweichung der Defizitkriterien, teilweise deren Verschärfung gefordert.
Grünen-Führung will europaweite Volksabstimmung über EU-Verfassung
EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer (Grüne) kritisierte den Verzicht der EU-Finanzminister auf Strafverfahren gegen die beiden Defizitsünder Deutschland und Frankreich. Wenn man europäische Regeln wie den Stabilitätspakt beschlossen habe, dann müsste diese nicht nur für kleine EU-Staaten, sondern "auch für die großen gelten".
Die Grünen-Führung machte sich auch für eine europaweite Volksabstimmung über die EU-Verfassung stark. Europa müsse auf der Ebene der Bürgerbeteiligung "mehr werden als nur die Addition von Nationen", sagte Parteichef Reinhard Bütikofer. Mehrere Landes- und Kreisverbände forderten indes ein nationales Referendum über die EU- Verfassung in Deutschland. Dafür wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Die Grünen forderten die Bundesregierung auf, sich für eine Abschaffung des Euratom-Vertrags und ein Ende der Förderung der Atomenergie in Europa einzusetzen.