Gut ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sieht Bundeskanzler Olaf Scholz noch keine Grundlage für Friedensverhandlungen. "Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln - außer über die eigene Unterwerfung", machte er am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag klar. Mit deutlichen Worten erteilte der SPD-Politiker all jenen eine Absage, die zuletzt Zugeständnisse von der Ukraine verlangten. "Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn. Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern das Ende der Ukraine", betonte Scholz.
Deutsche Medien kommentieren die Regierungserklärung so:
Augsburger Allgemeine: "Scholz beschränkte sich darauf, vermeintliche Erfolge seiner „Zeitenwende“ aufzuzählen. Die Schattenseiten blendete er aus. 'Wir schaffen das', hatte Alt-Kanzlerin Angela Merkel einst ausgerufen und damit sowohl Zuversicht wie auch eine gesunde Portion Selbstzweifel ausgedrückt. Es wäre der Stimmung im Land zuträglich gewesen, wenn sich Scholz neben viel Eigenlob einen ähnlich prägnanten Satz hätte einfallen lassen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Für eine Behauptung (…) erntete Scholz Gelächter: als er von der gewachsenen Widerstandsfähigkeit Deutschlands sprach und behauptete, diese werde am deutlichsten beim Blick auf die Bundeswehr. Das kann nicht einmal er selbst glauben. Die Bundeswehr steht noch 'blanker' da als vor einem Jahr, weil sie erhebliche Mengen an Panzern, Flugabwehrsystemen und Munition an die Ukraine abgeben musste, ohne dass die Depots wieder aufgefüllt worden wären. (…). Erst ein Drittel des 'Sondervermögens' ist verplant. Die neue Deutschlandgeschwindigkeit, von der Scholz wieder sprach, erweist sich bei der Ertüchtigung der Bundeswehr immer noch als Schneckentempo."
Schockierend, verstörend und unendlich traurig: Bilder aus einem Jahr Krieg in der Ukraine

Hannoversche Allgemeine Zeitung: "Von dieser Zeitenwende haben sich viele Menschen erhofft, dass sich insgesamt etwas ändern würde. Dass der Krieg vor der Haustür den Blick im eigenen Land schärft für das, was wichtig ist: Sicherheit, Gesundheit, Bildung. Bei aller Hilfe für die Ukraine, bei aller Fokussierung auf die Bundeswehr – die Regierung muss sich auch um den Klimawandel, bezahlbare Mieten, gute Schulen, gesunde Ernährung, die Sanierung der Krankenhäuser, die Verbesserung der Pflege und die Integration von Migranten kümmern."
Kölner Stadt-Anzeiger: "Nach Putins Angriff auf die Ukraine hat Scholz die Gesellschaft mit einer riesigen finanziellen Kraftanstrengung der Regierung mühsam zusammengehalten. Jetzt sollte er sich um den Zusammenhalt seiner Koalition kümmern. Zur Zeitenwende gehört, dass die Regierung sich im Inland auf das Wesentliche konzentriert: den sozialen Frieden."
Leipziger Volkszeitung: "Olaf Scholz hat die Gesellschaft nach Putins Angriff auf die Ukraine mit einer riesigen finanziellen Kraftanstrengung der Regierung mühsam zusammengehalten, jetzt sollte er sich um den Zusammenhalt seiner Regierung kümmern. Zu einer Zeitenwende gehört, dass eine Koalition sich gemeinsam auf das Wichtigste konzentriert: auf den gesellschaftlichen Frieden im Inland."
Reutlinger General-Anzeiger: "Führenden Bundeswehr-Generälen kann man durchaus mehr militärische Kompetenz zutrauen als den Zivilisten Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter. Die Experten sagen, dass der Krieg nur durch eine Verhandlung enden kann. Deshalb ist es klug von Scholz nicht nur mit Selenskyj, sondern auch mit Putin zu telefonieren, um auszuloten, wann es eine Bereitschaft zum Waffenstillstand gibt. Es war weitsichtig, dass Scholz seinen Mund nicht zu voll genommen hat, um nur an Versprechen erinnert zu werden, die er auch einhalten kann. Politiker werden am Ende des Tages nicht an ihren Worten gemessen, sondern an ihren Taten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen."
Welt: "So klar wie nie zuvor machte der Bundeskanzler deutlich, dass der Beistand für die Opfer von Putins imperialistischer Aggression nichts weniger als die historische Verantwortung der Bundesrepublik ist. Vielsagend ist zugleich, welche Gedanken der Zeitenwende-Rede nun in der Ein-Jahres-Bilanz fehlten. 'Wir müssen Putin von seinem Kriegskurs abbringen', hatte Scholz im Februar 2022 noch gesagt und zeigte sich zuversichtlich, dass die westlichen Sanktionen und der Widerstand der russischen Bevölkerung den Kreml zum Einlenken bringen würden. Von beidem war nun keine Rede mehr. Der Kanzler, so die Botschaft, macht sich keine Illusionen mehr über Putins Russland."
Quellen: DPA, "Welt".