Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zu einem langen Atem bei der deutschen Unterstützung für die Ukraine aufgerufen. "Dieser Krieg ist wahrscheinlich so schnell nicht vorbei", sagte Scholz am Samstag in seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin. Daher sei wichtig, "dass wir lange in der Lage sind, das zu tun was notwendig ist", nämlich "die Ukraine weiter in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen".
Russland habe 2022 mit seinem Überfall auf die Ukraine "alle Verständigung über Frieden und Sicherheit in Europa aufgekündigt", sagte Scholz. Es müsse die Klarheit geben, dass "Grenzen in Europa nicht mehr mit Gewalt verschoben werden". Deutschland müsse sich dabei sogar darauf einstellen, noch mehr leisten zu müssen, "wenn andere schwächeln", sagte der Kanzler offensichtlich in Anspielung auf die unklare politische Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Daher müsse es auf deutscher Seite Entscheidungen geben, "dass wir dazu in der Lage sind".
Scholz warnt vor russischem Imperialismus
Ausdrücklich bekannte Scholz sich dabei auch zu weiterer militärischer Unterstützung für die Ukraine. Russlands Präsident Wladimir Putin "darf nicht darauf rechnen, dass wir nachlassen", hob er hervor. Scholz verwies auch auf die ökonomischen Folgen des russischen Imperialismus – für Deutschland, mehr noch für einige andere Länder. "Wir wissen, dass es Konsequenzen gegeben hat, die uns auch betreffen", sagte der Kanzler etwa mit Blick auf die hohen Energiepreise. Er hob hervor, es sei der Regierung gleichwohl gelungen, für eine gute Energieversorgung zu sorgen, auch wenn dies natürlich "eine große finanzielle Herausforderung" sei.

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In den Verhandlungen zur Lösung des Haushaltsstreits hat Scholz Kürzungen im Sozialbereich kategorisch abgelehnt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stelle die Ampel-Regierung vor "eine sehr schwere Aufgabe", sagte Scholz. Für ihn sei in den Gesprächen mit FDP und Grünen aber ganz klar: "Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben", versprach der SPD-Politiker. Der Sozialstaat sei eine der größten Errungenschaften, die Deutschland zustande gebracht habe. Es gehöre zur DNA, zum Selbstverständnis des Landes, dass niemand aufgegeben werde. Das sei die Grundlage des Wohlstands, so Scholz
Die Ampel-Koalition ringt seit Wochen um eine Lösung für den Haushalt 2024. Dort fehlen infolge des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts 17 Milliarden Euro. Neben der oppositionellen Union hat auch der Koalitionspartner FDP vor diesem Hintergrund Kürzungen im Sozialbereich gefordert. Scholz äußerte sich nicht konkret zum Stand der Gespräche mit den Koalitionspartnern. Er wolle aber "doch die Zuversicht vermitteln, dass es uns gelingen wird". Es gehe nicht um die Lösung "einer unlösbaren Aufgabe", sagte er.
Scholz wirbt für Fachkräfte-Einwanderung
In seiner Rede warb der Kanzler eindringlich für die Einwanderung von Fachkräften. Seine umstrittene Forderung nach Abschiebungen von Asylbewerbern ohne Bleiberecht in großem Stil wiederholte er vor den rund 600 Delegierten aber nicht. "Deutschland braucht als Einwanderungsland auch weiter die Perspektive, diejenigen aufzunehmen, die für das Wachstum und den Wohlstand dieser Gesellschaft erforderlich sind", sagte Scholz. Er betonte, dass genauso, wie die irreguläre Migration begrenzt werden müsse, auch die Einwanderung von Fachkräften gefördert werden sollte.

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In den vergangenen Wochen hatte der Regierungskurs in der Migrationspolitik für einigen Unmut am linken Flügel der SPD gesorgt. Er entzündete sich vor allem an einem Satz des Kanzlers in einem "Spiegel"-Interview: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben." Diese Forderung wiederholte Scholz nicht. Er ließ das Thema Abschiebungen in seiner Rede ganz aus. Die Führung der Jusos hatte die Äußerung des Kanzlers im "Spiegel" als "direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs" kritisiert. Der inzwischen zum Vorsitzenden des Jugendverbands gewählte Philipp Türmer schrieb dazu: "Ich könnte kotzen bei diesem Zitat." Türmer will in der Aussprache über die Scholz-Rede ans Rednerpult treten.
Vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts hat Scholz jede Form von Rassismus und Extremismus verurteilt. Ebenso wenig wie Deutschland akzeptiere, "dass jetzt antisemitischer Hass geschürt wird, akzeptieren wir jetzt Hass auf Muslime in unserem Land", sagte Scholz. Scholz bekräftigte in seiner Rede die Position zu Israel nach dem brutalen Angriff der radikalislamischen Hamas. "Deutschland steht an der Seite Israels", sagte er. "Wir werden das Land unterstützen und wir unterstützen das Recht auf Selbstverteidigung."
Dafür gab es langen Applaus von den Delegierten. Deutschland werde sich weiter für eine dauerhafte friedliche Perspektive für die Nahost-Region und eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, sagte der Kanzler. Und Deutschland kämpfe dafür, dass der Konflikt "entlang der Regeln, die unser Völkerrecht dafür vorsieht" geführt werde. Dies bedeute auch, dass sich die Bundesregierung für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gaza-Streifen einsetze.
Juso-Chef reagiert auf Scholz-Rede
Juso-Chef Philipp Türmer drängte den Bundeskanzler indes dazu, in der Ampel-Koalition mehr durchzugreifen. "Lieber Olaf, wer aus der Defensive will, muss Angriff spielen", forderte der Vorsitzende der SPD-Jugend im Anschluss an die Scholz-Rede. "Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapeut von Robert und Christian", sagte er mit Blick auf Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und FDP-Chef Christian Lindner. Die Menschen wollten einen Kanzler, der Empathie zeige, erkläre und vor allem entscheide – keinen "Moderator der Macht".
Die SPD überlasse viel zu häufig den Konservativen die Bühne, obwohl sie doch regiere. "Olaf, du hast mal gesagt, wer Führung bestellt, soll sie bekommen. Hiermit bestelle ich sie, und wir warten dringend auf Lieferung", sagte Türmer. Die SPD dürfe auf ihrem Parteitag nicht "einfach auf heile Welt tun", während die Bürger das Vertrauen verlören. Scholz müsse für das viel beschworene sozialdemokratische Jahrzehnt kämpfen. "Es muss besser werden, als es gerade ist", forderte Türmer.