Die CDU dümpelt in Umfragen bei 30 Prozent, die Mitglieder fliehen in Scharen. Was läuft falsch?
Die CDU-Anhänger sind darüber enttäuscht, dass wir in der großen Koalition gezwungen sind, oft Kompromisse einzugehen. Häufig steht am Ende der Diskussionen mit der SPD nicht die große Lösung, sondern der kleinste gemeinsame Nenner. Bei vielen ist auch immer noch die Enttäuschung über das Wahlergebnis vom vergangenen Jahr spürbar, dass wir keine bürgerliche Mehrheit bekommen haben.
Was sind die Punkte, die die CDU-Parteibasis besonders schmerzen?
An der Parteibasis wünschen sich viele Mitglieder eine deutlichere Handschrift der Union in der Regierung.
Wie sieht diese Handschrift aus? Auf dem Leipziger Parteitag 2003 dominierten die Neoliberalen, auf dem Parteitag 2004 in Düsseldorf verabschiedeten Sie Wohlfühl-Beschlüsse, seit die CDU in Berlin mitregiert, ist von den Liberalen nichts mehr zu hören, dafür propagiert Jürgen Rüttgers den Herz-Jesu-Sozialismus: Wofür steht Ihre Partei?
Die CDU steht für einen klaren Reformkurs. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass wir die Reformbeschlüsse von Leipzig in Regierungshandeln umsetzen müssen - sofern dies mit der SPD möglich ist.
Zur Person
Philipp Mißfelder, 27, ist seit 2002 Bundesvorsitzender der Jungen Union und seit 2005 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Recklinghausen I in Nordrhein-Westfalen.
Aber das Problem der Leipzig-Jünger ist doch zunächst nicht die SPD, sondern zunehmend Ihr NRW-Parteichef Rüttgers. Der hat für den Dresdner Parteitag einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, dass diejenigen, die länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, auch länger Geld bekommen. Das entspricht den Wohlfühl-Plänen viel mehr als Leipzig. Gefällt Ihnen das?
In einer Volkspartei gibt es immer Spannungen zwischen den Flügeln. Diese programmatische Breite ist eine Bereicherung. Im Bundestagswahlkampf 2005 hat es daran gehapert, dass wir die Flügel innerhalb der CDU zu wenig zur Geltung gebracht haben. Wir haben den Wählern nicht klar gemacht haben, welche Spannbreite die Partei abdeckt. Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sorgen nun dafür, dass einer der Flügel schärfere Konturen gewinnt. Das kann ich nur befürworten. Ich bezweifle allerdings, dass dies im konkreten Regierungshandeln bedeutet, dass wir uns auf die Sozialpolitik Norbert Blüms zurückbesinnen. Das 21. Jahrhundert stellt uns vor neue Herausforderungen. Diesen können wir mit den Leipziger Parteitagsbeschlüssen begegnen.

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Das klingt widersprüchlich. Sie wollen Leipzig nicht in die Tonne treten, aber unterstützen dennoch den linken Flügel?
Den Widerspruch löse ich sofort auf: Ich kann mir zwar radikale Reformen vorstellen, aber zumindest schließt dieser Vorschlag eine Gerechtigkeitslücke. Ich finde es richtig, dass derjenige, der in eine Versicherung mehr einzahlt, auch mehr heraus bekommt. Das ist gerecht. Der Weg dahin ist strittig. Die Junge Union hat vor zwei Jahren für einen anderen Antrag gekämpft, der abgelehnt wurde, aber an dem ich grundsätzlich festhalte. Ich trete dafür ein, dass wir die Arbeitslosenversicherung auf Dauer von der bisherigen Risikoversicherung in eine private Ansparversicherung umwandeln. Wir müssen die Bundesagentur für Arbeit abschaffen und die Vermittlungsleistung privatisieren. So könnte man auch das Ziel erreichen, dass derjenige, der länger eingezahlt hat, auch mehr herausbekommt als der, der kürzer eingezahlt hat. Dem würden auch Jürgen Rüttgers und Karl-Josef Laumann zustimmen. Ordnungspolitisch wäre das sauberer als das Festhalten an der Arbeitslosenversicherung als vierter Sozialstaatssäule.
Über den Parteitag
Vom 26. bis zum 28. November wird die CDU in Dresden ihren Bundesparteitag abhalten. Die Aufmerksamkeit gilt dabei vor allem den Wahlen. Unter anderem stehen die Parteivorsitzende Angela Merkel, Generalsekretär Ronald Pofalla ebenso zur Wahl wie die künftigen Partei-Vizes Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers. Interessant ist weniger, ob diese Bewerber gewählt werden - das gilt als sicher, sondern mit welchem Ergebnis. Zudem wird auf dem Parteitag über den Antrag der nordrhein-westfälischen CDU entschieden, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I an die Dauer der Beitragszahlung zu koppeln.
Warum haben Sie den Antrag nicht einfach noch einmal eingebracht? Das machen bei Ihnen doch offenbar alle?
Wäre es abzusehen gewesen, dass die Diskussion um die Arbeitslosenversicherung so an Bedeutung gewinnt, hätten wir dies als Junge Union erneut getan. Wir fordern dies bereits seit Jahren.
Stattdessen verteidigen Sie jetzt den Status Quo?
Die Mehrheit in der CDU hält an diesem Status Quo fest. Für die Junge Union ist es traditionell schwer, gegen ein Kartell aus Arbeitgebern und Gewerkschaften anzukommen. Das bedaure ich sehr.
Wird der Antrag nach dem Parteitag sofort wieder vergessen oder wollen Sie, dass er in Berlin auch tatsächlich umgesetzt wird?
Die Umsetzbarkeit hängt von den Verhandlungen zwischen den Fraktionen von Union und SPD ab. Es gab bisher viele Anträge, die mit der SPD nicht umsetzbar waren. Das kann hier auch der Fall sein: Die SPD, die sich in ihrem Hartz-IV-Turm eingemauert hat, ist durch den Vorstoß strategisch in die Ecke gedrängt worden - das hat manchenorts Hilflosigkeit ausgelöst.
Fürchten Sie nicht, dass diese Politik auf Kosten Ihrer eigenen Klientel gehen könnte? Die Änderung der Bezugsdauer könnte rund 700 Millionen Euro kosten. Rüttgers will dieses Geld aufkommensneutral aufbringen. Um dieses Geld aus der Arbeitslosenversicherung heraus zu erwirtschaften, müssten möglicherweise die Jungen kürzere Bezugszeiten akzeptieren. Kann das der Chef der Jungen Union wirklich wollen?
Diese Summe ist eine Schätzung. Sollte sie stimmen, halte ich es für möglich, dass der Betrag aus der Arbeitslosenversicherung heraus selbst aufgebracht werden kann - ohne, dass dies zu Lasten der Jüngeren geht. Grundsätzlich aber gilt: Für mich sind niedrigere Beiträge wichtiger als eine längere Bezugsdauer.
Und wie erklären Sie einem JU-Mitglied ihre Position, das gerade seinen Job verloren hat und dem dann mit Ihrem Zutun die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gekürzt wird?
Ich erkläre ihm, dass es unser vorrangiges Ziel ist, die Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. Außerdem steht bei der Debatte über das Arbeitslosengeld nicht die Generationengerechtigkeit auf dem Spiel, wie manche sagen, die sich jetzt profilieren wollen. Es geht um die geschätzten 700 Millionen Euro. Aus der Sicht der Jüngeren, die ich vertrete, ist eine Auseinandersetzung beispielsweise um die Zukunft der Pflegeversicherung viel wichtiger. Da geht es um Milliardenbeträge. Hier müssen wir unzumutbare Belastungen der Jüngeren verhindern. Bei der Gesundheitsreform wurde diese Chance bislang leider vertan.
Am Mittwoch hat Bundespräsident Horst Köhler Rüttgers' Vorstoß scharf kritisiert. Müssen Sie für Ihren Landesvater jetzt nicht in die Bresche springen?
Es ist das gute Recht des Bundespräsidenten, auch zu Detailfragen der Wirtschaft- und Sozialpolitik Stellung zu beziehen. Ich wünsche mir, dass Bundespräsident Horst Köhler sich auch weiter in die Diskussion dieser Detailfragen engagiert einbringt. Dass es dann auch zwischen dem Vorsitzenden der Jungen Union und dem Bundespräsidenten zu unterschiedlichen Auffassungen kommen kann, das liegt in der Natur der Sache. Aber die Äußerungen des Präsidenten müssen diejenigen kommentierten, die er direkt gemeint hat.
Rüttgers wird auf dem Parteitag in Dresden gemeinsam mit Christian Wulff, Roland Koch und Anette Schavan zum Partei-Vize gewählt. Werden die Delegierten ihn für seine Alleingänge belohnen oder bestrafen?
Es wird insgesamt ein sehr nüchterner Parteitag werden. Das wird sich auch in den Ergebnissen niederschlagen. Vor der Abstimmung bringen alle Flügel ihre Landesverbände in Position. Deshalb erwarte ich ehrliche Resultate.
Was ist die inhaltliche Botschaft, die vom Dresdener Parteitag ausgehen wird?
Es ist ein Arbeitsparteitag, der nach Innen gerichtet ist und der Selbstvergewisserung dient, damit wir in der großen Koalition unser Profil künftig noch mehr schärfen können.