Von der "größten Aktion gegen Rechtsextremisten in Deutschland an einem Tag" ist beim Generalbundesanwalt die Rede. Und allein die Ausmaße des Einsatzes machen klar, welche Bedeutung die Groß-Razzia vom Mittwochmorgen hat: Mehr als 800 Beamte waren im Einsatz, darunter auch die Anti-Terror-Einheit GSG9. Sie durchsuchten in elf Bundesländern 61 Objekte und vollstreckten vier Haftbefehle gegen mutmaßliche Neonazis – und es gibt Dutzende weitere Beschuldigte.
Schwerpunkt der Aktion war die thüringische Stadt Eisenach. Hier verhafteten die Behörden Leon R., Maximilian A. und Eric K. Einen vierten Verdächtigen, Bastian A., haben die Fahnder in Rotenburg an der Fulda (Hessen) gestellt.
Vier mutmaßliche Neonazis verhaftet
Der Generalbundesanwalt wirft den vier Deutschen unter anderem die Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung und gefährliche Körperverletzung vor.
Leon R. soll Anführer der Neonazi-Kampfsportgruppe "Knockout 51" sein. Eric K., Maximilian A. und Bastian A. sollen ihr ebenfalls in herausgehobenen Positionen angehören. "Bei dieser Gruppierung handelt es sich um eine rechtsextremistische Kampfsportgruppe, die unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer anlockt, diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausbildet", so der Generalbundesanwalt. Für diese Trainings sollen auch Räumlichkeiten der rechtsextremen NPD genutzt worden sein.
213 Tote seit 1990 – die blutige Spur des rechten Terrors in Deutschland

Die Toten sind: Bahide Arslan (41), Ayşe Yılmaz (14) und Yeliz Arslan (10).
"Knockout 51" sei darüber hinaus vor allem dadurch aufgefallen, dass sie sich als "Ordnungsmacht" in einem von ihr geschaffenen "Nazi-Kiez" in Eisenach habe etablieren wollen. Im Rahmen ihrer "Streifengänge" sollen die Beschuldigten in den vergangenen Monaten mehrfach vermeintliche Gegner bei Auseinandersetzungen schwer verletzt haben. Auch an gewalttätigen Demonstrationen gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen sollen sich die vier Männer beteiligt haben.
Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden richten sich den Angaben zufolge außerdem gegen zehn weitere mutmaßliche Unterstützer und Mitglieder von "Knockout 51".
Neben der rechtsextremen Kampsportgruppe standen drei weitere Organisation im Fokus der Razzia. Die bekannteste dürfte die "Atomwaffen Division Deutschland" (AWDD) sein, ein seit 2018 bestehender Ableger einer US-Neonazi-Terrorgruppe.
Der Vorwurf gegen die AWDD: "Ihr Ziel ist die Entfachung eines 'Rassenkriegs', aus dem die 'weiße Bevölkerung' siegreich hervorgehen soll. Durch Anschläge und Morde auf andere Bevölkerungsgruppen sowie Politiker, Amtsträger oder staatliche Einrichtungen sollen Chaos geschaffen und letztlich demokratische Grundordnungen durch rechtsextremistische Herrschaftsformen ersetzt werden", so der Generalbundesanwalt.
Auch Leon R. soll Verbindungen zur AWDD gehabt haben, weitere vier mutmaßliche Anhänger der AWDD führen die Ermittler als Beschuldigte. Bei einem von ihnen soll es sich laut "Spiegel" um einen Heeressoldaten der Bundeswehr handeln. Der Generalbundesanwalt bestätigte dem stern, dass der Militärgeheimdienst MAD (Militärischer Abschirmdienst) Informationen geliefert hatte.
Auch die Organisation "SKD 1418" (Sonderkommando 1418) zielte den Ermittlungen zufolge auf die "Zerstörung bestehender demokratischer Systeme unter Ersetzung durch ein neofaschistisches System" ab. Für den "Rassenkrieg" und Terroranschläge sollen die Mitglieder der im Internet agierenden Chatgruppe Anhänger gesucht haben. Fünf Beschuldigten wirft der Generalbundesanwalt die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor.
Insgesamt 21 Beschuldigte führen die Behörden Im Zusammenhang mit der verbotenen Neonazi-Vereinigung "Combat 18 Deutschland" auf. Die Gruppe gilt als militanter Arm des ebenfalls verbotenen "Blood & Honour"-Netzwerks. Die Beschuldigten stehen im Verdacht, trotz des Verbots der Vereinigung deren organisatorischen Zusammenhalt im Geheimen als Rädelsführer aufrechterhalten zu haben oder sie unterstützt zu haben.
Polizei ermittelte jahrelang
Die Razzien gegen die Terrorgruppen fanden außer in Thüringen auch in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Baden-Württemberg statt. Vorausgegangen waren jahrelange Ermittlungen der Sonderkommission "Kern" beim Bundeskriminalamt. Die Aktion der Sicherheitsbehörden war minutiös geplant.

Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof wird an diesem Mittwoch und Donnerstag über die Untersuchungshaft für die vier Festgenommenen entscheiden.
Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang, dessen Behörde Erkenntnisse für die Vorbereitung der Razzia geliefert haben soll, sagte der Nachrichtenagentur DPA, die Durchsuchungen seien "ein wichtiger Schlag gegen die gewaltbereite rechtsextremistische Szene und ein großer Erfolg der Sicherheitsbehörden". Das zuletzt intensivierte Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen den Rechtsextremismus in Deutschland zeige Wirkung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dankte den Sicherheitsbehörden für einen "harten Schlag gegen die rechtsextremistische und rechtsterroristische Szene". Der Rechtsextremismus sei "die größte extremistische Gefahr für unsere Demokratie". Dessen Bekämpfung habe besondere Priorität.
Quellen: Generalbundesanwalt, "Spiegel" (1), "Spiegel" (2), Nachrichtenagenturen DPA und AFP