Steuerreform 4 Milliarden neue Schulden?

Die dritte Stufe der Steuerreform soll vorgezogen werden, doch die Finanzierung ist weiterhin unklar. 4 Milliarden Euro Neuverschuldung werden vermutet. Das offizielle Konzept lässt auf sich warten.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wollte am heutigen Mittwoch seine Eckpunkte für eine vorzeitige Steuerentlastung 2004 vorlegen. Allerdings war bis zum Dienstagabend noch keine endgültige Entscheidung über das Konzept gefallen, wie es in Kreisen des Finanzministeriums hieß. Eichel hatte am Dienstag unter anderem im Kanzleramt Abstimmungsgespräche geführt. Nun heißt es, eine Entscheidung über die Eckpunkte zur Gegenfinanzierung der Steuerreform sei noch nicht gefallen. Das sagte der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Jörg Müller, der dpa/rufa. Es stünde auch noch nicht fest, ob Finanzminister Eichel bereits heute ein Konzept vorlege.

4 Milliarden Neuverschuldung?

Eichel hält zur Finanzierung des Bundesanteils an der Steuerreform von rund 7,5 Milliarden Euro an der offiziellen Linie von einem Mix aus Subventionsabbau, Privatisierung und Kreditaufnahme fest. Zu klären war, in welchem Verhältnis die drei Elemente eingesetzt werden. Die 'Süddeutsche Zeitung' berichtete vorab, Eichel wolle das Vorziehen der Steuerreform größtenteils über Kredite finanzieren. Die Neuverschuldung solle dadurch gegenüber dem ursprünglichen Ansatz um etwa 4 Milliarden auf rund 28 Milliarden Euro steigen. Die Zeitung berief sich dabei auf Ministeriumskreise.

Das kritische Verhältnis zwischen Neuverschuldung und Investition

Schon bei der ersten Haushaltsberechnung war lange gerungen worden, um die verfassungsmäßige Begrenzung der Neuverschuldung nicht zu übertreffen. Es dürfen nicht mehr neue Schulden gemacht werden, als im Gegenzug an Geld investiert wird. Nach der ersten Haushaltsplanung Ende Juni sollte die Neuverschuldung bei 23,8 Milliarden Euro, die Investitionen bei 24,8 Milliarden Euro liegen.

Keine Bestätigung von offizieller Seite

Der Sprecher des Ministeriums, Jörg Müller, wollte die Darstellung der 'Süddeutschen Zeitung' nicht bestätigen. Müller wies außerdem Darstellungen des 'Handelsblattes' zurück, das Ministerium erwäge, deutsche Forderungen an Russland und andere Auslandsschuldner an Investmentbanken zu verkaufen. Es gebe keine derartigen Pläne. Auch der SPD-Finanzexperte Joachim Poß ließ offen, ob das Finanzkonzept eine um vier Milliarden Euro höhere Neuverschuldung beinhaltet. Er persönlich halte es für vertretbar, "wenn wir (...) aus kurzfristigen konjunkturellen Gründen auch mit einem höheren Anteil von Neuverschuldung für ein Jahr operieren", sagte er dem Fernsehsender ARD.

Union akzeptiert keine Neuverschildung oberhalb Verfassungsgrenze

Die Union hat eine zügige Antwort auf die für heutige erwarteten Details zur Finanzierung des Vorziehens der Steuerreform angekündigt, will eine verfassungswidrige Finanzierung aber nicht mittragen. "Wir werden für diesen Zweck keine Neuverschuldung oberhalb der Verfassungsgrenze und außerhalb der europäischen Verträge akzeptieren", sagte der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dietrich Austermann, der 'Passauer Neuen Presse'. Das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 bedarf der Zustimmung des Bundesrates, in dem die Union die Mehrheit hat. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sagte der rot-grünen Koalition zu, die Union würde die Finanzierungsvorschläge, sobald sie vorliegen, schnell und seriös prüfen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Starker Steuermonat Juni macht Hoffnung

Die 'Süddeutsche Zeitung' berichtete darüber hinaus, dass die Steuereinnahmen des Bundes im Juni, einem traditionell starken Steuermonat, wieder deutlich zulegten. Deutschlands Konzerne zahlten erstmals seit zwei Jahren wieder richtig Körperschaftsteuer. Allein im Juni hätten die Unternehmen rund 2,6 Milliarden Euro an den Fiskus überwiesen. Das seien 1,7 Milliarden mehr als im Vorjahresmonat. Auch das Aufkommen aus der Erbschaft- und Umsatzsteuer sei wieder spürbar gestiegen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht inzwischen von rund 1,5 Prozent Wachstum für Deutschland im kommenden Jahr aus. Im April hatte er 1,9 Prozent vorhergesagt. Eichel hatte immer wieder betont, wenn Deutschland die EU-Defizit-Obergrenze von 3,0 Prozent im kommenden Jahr einhalten wolle, müsse das Wachstum bei 2,0 Prozent liegen. Die Steuerreform soll auch deshalb vorgezogen werden, um für dieses Ziel Wachstumsimpulse zu setzen. Nach Einschätzung von Bundesbankpräsident Ernst Welteke wird der Effekt einer vorgezogenen Steuerreform auf die konjunkturelle Entwicklung "nicht sehr groß sein".

Schlechte Zeiten für günstige Privatisierung

Die Grünen-Haushaltspolitikerin Antje Hermenau sieht kaum Chancen, über Privatisierungen einen Teil der vorgezogenen dritten Steuerreformstufe von 2005 auf 2004 zu finanzieren. Sie sagte der Nachrichtenagentur dpa/Rufa, die Marktlage biete zur Zeit wenig Chancen, günstig zu privatisieren. Beim Subventionsabbau rechnete Hermenau mit 15 bis 20 Milliarden. Das meiste würde in diesem Jahr wirksam, der Rest 2005.

Union scharrt ungeduldig mit den Füßen

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hielt ungeachtet immer neuer Zwischenrufe aus ihrer Partei an ihrer Linie fest. Zuerst solle Eichel darlegen, wie er die Steuerreform finanzieren wolle, ehe die Union dazu Stellung nehme, sagte sie der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Die Forderung des nordrhein-westfälischen CDU-Chefs Jürgen Rüttgers, selbst Finanzierungsvorschläge zu präsentieren und Subventionen abzubauen, wollte Merkel nicht kommentieren. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) warf der Regierung eine Verunsicherung der Bürger vor. Es sei "wenig Vertrauen erweckend", wenn die für Mitte dieser Woche angekündigte Vorlage eines Finanzierungskonzeptes für vorgezogene Steuersenkungen wieder verschoben werde, kritisierte er in der 'Passauer Neuen Presse'.

Kommunen können keine weiteren Einahmeverluste verkraften

Die Kommunen forderten vom Bund einen kompletten Ausgleich für die Ausfälle. Weitere Einnahmeverluste "können wir schlicht nicht verkraften", sagte das geschäftsführende Präsidiumsmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der dpa. Er erwartet, dass Städte und Gemeinden bei einem Vorziehen der Steuerreformstufe rund 3,5 Milliarden Euro weniger einnehmen. Die Städte fordern von Bund und Ländern konkrete Vorschläge, wie die Kommunen die Mindereinnahmen durch das Vorziehen der Steuerreform ausgleichen können. "Wenn Bund und Länder die Steuersenkungen umsetzen, dann müssen sie dringend sagen, an welchen Stellen öffentliche Aufgaben zurückgefahren werden sollen", sagte auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. Articus sagte, viele Leistungen müssten jetzt schon über kurzfristige Kredite finanziert werden. Die Kommunen hätten alle Privatisierungs- und Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft. Sie investierten beispielsweise rund ein Drittel weniger als noch vor zehn Jahren. "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir den freien Fall kommunaler Investitionspolitik stoppen", sagte er.

Auch Bundesbank-Chefvolkswirt Hermann Remsperger empfahl der Bundesregierung, weitere Vorschläge zum Subventionsabbau vorzulegen und weniger auf Privatisierungen zu setzen. Er forderte Eichel in der 'Financial Times Deutschland' auf, die Drei-Prozent-Defizitgrenze des EU-Stabilitätspakts im kommenden Jahr trotz vorgezogener Steuerentlastungen nicht zu verletzen.