Wer auf den langen Problemkatalog der deutschen Politik blickt, kommt um eine Frage nicht herum: Haben ihre Akteure wirklich nichts Besseres zu tun, als sich über ein Jahr lang mit unerhörter Energie um die Lösung des Ego-Problems der Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach zu bemühen? Arbeitsplatzverluste, Bankenkrise, Hartz-IV-Probleme, Bildungsreform, Afghanistankrieg - man konnte leicht den Eindruck haben: Alles nicht so wichtig, wie der Postenwunsch der CDU-Bundestagsabgeordneten Steinbach.
Umso absurder wirkt das klägliche Ergebnis dieses unendlichen Streits. Es bleibt dabei, dass die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" unterm Dach des Deutschen Historischen Museums zuhause ist. Das allein schon erlaubt die Zwischenfrage, wie angemessen dieser Ort für eine Organisation ist, die sich ebenso meisterhaft wie angeblich schuldfrei um die Klitterung der deutschen Geschichte und der unendlichen Verbrechen zu Hitlers Zeiten bemüht hat. Wenn es ganz nach den Vorstellungen des Vertriebenenverbandes gegangen wäre, hätte er sich im Gedenken zurück gerne gleichauf mit der Holocaust-Gedenkstätte gesehen. Als ob sich jene Opfer mit den Opfern eines Regimes vergleichen lie-ßen, das viele Eltern der Vertriebenen-Funktionäre von heute einst an die Macht gewählt und dem sie vielfach treu gedient haben.
Politischer Kuhhandel
Als weiteren Erfolg der politischen Dauerquerelen wird gefeiert, dass jetzt die Ausstellungsfläche um 748 Quadratmeter im Historischen Museum erweitert wird. Da darf man gespannt sein, wie diese optische Erweiterung von den Vertriebenen genutzt wird. Die Präsidentin Steinbach gehörte immerhin zu jenen CDU-Politikern, die 1990 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige polnische Staatsgrenze gestimmt haben. Leicht denkbar, dass der zusätzliche Raum genutzt, nein, missbraucht, wird, um das Unrecht ab den Deutschen aus Ostpreußen, dem Banat, dem Sudetenland und wo auch immer breiter darzustellen. So wie sich der Vertriebenenverband in den vergangenen Monaten gegen kritische Bemerkungen aus Polen mit dem Vorwurf der "politischen Erpressung" verteidigt hat, kann auf fairere historische Betrachtung der Vergangenheit kaum gehofft werden.
Wenig Mitleid kann man indes mit jenen Betroffenen haben, die künftig den Stiftungsrat des Verbandes bestimmen müssen. Erst hat der Bundestag ein Gesetz zu beschließen, in dem fixiert wird, dass künftig statt drei der 21 Mitglieder des Stiftungsrats sechs aus dem Vertriebenenbund kommen müssen. Am Rande bemerkt: Nur zwei Mitglieder der Juden in Deutschland sitzen künftig im Vorstand, obwohl auch Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind. Und wenn das Gesetz existiert, müssen 19 der 21 Mitglieder vom Parlament gewählt werden. Da das Vorschlagsrecht breit gestreut ist, kann man sich die politischen Kuhhändel leicht ausmalen, die künftig mit diesem Prozess verknüpft sein werden.
Ein typisches Stück Machtpolitik Merkel
Unterm Strich steht ein blamabler politischer Kompromiss, vor allem vor dem Hintergrund, dass er zurecht gezimmert worden ist, um zu verhindern, dass Erika Steinbach in den Stiftungsrat einzieht. Sie behauptet bis heute, ihr gewaltsames Drängeln auf diese Position habe der europäischen Einheit und dem friedlichen Miteinander der Nationen gedient. Nichts anderem. Schon gar nicht ihrem politischen Ehrgeiz. Weil es bei dieser Entscheidung nicht nur um die historische Wahrheit ging, sondern für die Zukunft auch die damit verbundene politische Wahrheit notiert werden sollte, sei angefügt: Einmal mehr hat ein typisches Stück Machtpolitik Merkel stattgefunden.
Hätte sie jenes klare Nein gesagt, das der Problemlösung angemessen gewesen wäre, zu dem die FDP sie zunächst gedrängt hatte, die Sache wäre längst entschieden gewesen. Aber einmal mehr hat sie taktiert, taktiert und taktiert. Und leider hat die FDP nicht die Kraft gefunden, bei ihrer zunächst klaren Position zu stehen. Also wieder mal umgefallen. Damit sich die Verluste bei der nächsten Landtagswahl in NRW in Grenzen halten? Ausschließen mag man das nicht. Die Wähler wiederum sollten sich überlegen, ob sie ihre Stimme wirklich noch Parteien geben sollten, die derart kleinkariert anachronistisch mit der Bewältigung der deutschen Geschichte umgehen. Und dies 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.