VG-Wort Pixel

Sommerinterview mit AfD-Politiker "Corona ist vorbei" – Höcke verbreitet Lügen und der MDR bremst ihn nur manchmal

Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke
Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke (Archivbild)
© Martin Schutt / DPA
(Medien-)Deutschland blickte am Vormittag nach Erfurt. Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke zum Sommerinterview geladen - es wurde ein Gespräch mit erwartbarem Verlauf.

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) wollte es besser machen als die Kollegen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Das stellte der MDR schon vor dem Sommerinterview mit dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke klar. Kein Wohlfühl-Setting, keine seichten Fragen, sondern ein kritisches Interview. So hatte es der Sender versprochen.

Zu laut hallte die Kritik nach, die der RBB nach seinem Sommerinterview mit dem brandenburgischen AfD-Politiker Andreas Kalbitz einstecken musste, weil dieser nach Meinung vieler Zuschauer trotz seiner extremen Positionen zu sanft angefasst wurde (lesen Sie hier im stern mehr dazu).

MDR führt 35-minütiges Interview mit Björn Höcke

Viel wurde darüber diskutiert, ob die Sender Rechtspopulisten oder -extremisten überhaupt die Bühne eines Sommerinterviews bieten sollten. Der MDR hat diese Frage für sich bejaht, schließlich handele es sich bei Höcke um den Vertreter der größten Oppositionspartei in Thüringen.

So rückte zwangsläufig die Frage nach dem Wie in den Vordergrund. Kann es gelingen, Höcke inhaltlich zu stellen? Ihn vielleicht sogar zu demaskieren?

Die Erwartungen an den Moderator Lars Sänger waren vor dem gut halbstündigen Gespräch im Landesfunkhaus in Erfurt hoch – und er war sichtlich bemüht, sie zu erfüllen, was jedoch nur stellenweise gelang.

Sänger wirkte gut vorbereitet, insbesondere auf die (zu) langen Passagen des Interviews, in dem es um die sich zuspitzenden innerparteilichen Machtkämpfe in der AfD ging. Höcke durfte erklären, einordnen, bewerten: Den "Selbstbeschäftigungsmodus" der Partei bedauere er sehr, den Ausschluss von Andreas Kalbitz halte er für einen schweren Fehler, der rechtsextreme AfD-Flügel sei eine "Vertrauens- und Gesinnungsgemeinschaft" gewesen. Höcke konnte sich in diesem Themenfeld als Versöhner und Brückenbauer in der Partei inszenieren.

Interessanter als die Binnensicht der Partei dürften für das Gros der Zuschauer jedoch die Positionen Höckes und der AfD zu ganz anderen Themengebieten gewesen sein, zur Corona-Politik zum Beispiel oder zum Klimawandel.

Björn Höcke, Landessprecher der AfD von Thüringen

Und dort traf er Aussagen, die zu erwarten waren: Der Landes- und Fraktionsvorsitzende nutzte diese Themen in erster Linie, um vollkommen andere Botschaften unters Volk zu streuen – und es dabei bisweilen unwidersprochen nicht so genau mit der Wahrheit zu nehmen.

"Corona ist vorbei, Corona wird nicht wiederkommen"

So konnte Höcke allen Ernstes behaupten, Corona sei "vorbei" und werde "nicht wiederkommen", er sprach von einer "Aussetzung der Grundrechte" und verteidigte, dass er am kommenden Wochenende gemeinsam mit rechtsextremen Organisationen wie dem "Dritten Weg", der NPD oder der "Identitären Bewegung" gegen die Corona-Beschränkungen auf die Straße gehen will ("Sie können nicht verhindern oder vermeiden, dass bestimmte Gruppen daran teilnehmen"). Das allein wären drei Möglichkeiten gewesen, Höcke und den Zuschauern unmissverständlich klar zu machen, dass hier gefährlicher Unsinn verbreitet wurde.

Denn dass die Coronavirus-Pandemie vorbei sei, widerspricht jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, und ist allenfalls in Kreisen von Corona-Leugnern eine anerkannte These. Grundrechte wurden in Deutschland nicht ausgesetzt, sondern auf Grundlage demokratisch beschlossener Gesetze eingeschränkt, wofür die für das Wochenende angekündigte Demonstration nur ein Beleg ist. Und wenn man sich von Rechtsextremen glaubwürdig distanzieren möchte, wäre es die einfachste Lösung, nicht mit ihnen zusammen auf die Straße zu gehen. Die Widersprüche schnitt Moderator Sänger zwar an, ließ es jedoch meist schnell auf sich beruhen ("Das nehmen wir zur Kenntnis").

Genauso wäre es wünschenswert gewesen, wenn Fragesteller Sänger den falschen Erzählungen Höckes von einer "Grenzöffnung" 2015, eines "am Boden liegenden Landes" oder einer "erstarrten Parteiendemokratie" entschiedener entgegenzutreten wäre.

Doch es wäre unfair, dem MDR vorzuwerfen, dass das Interview zahm verlief. Höcke und Sänger lieferten sich mitunter einen Schlagabtausch. Der Journalist versuchte stets, den AfD-Politiker an die eigentliche Frage zu erinnern, wenn Höcke wieder einmal unaufgefordert zu einem Rundumschlag gegen "Gottkanzlerin Merkel", "Millionen illegale Einwanderer" oder einen "illegitimen Verfassungsschutz" ausholte. "Was Sie hier machen, ist Framing", wies Sänger Höcke zurecht. "Sie benennen Punkte, die keine Rolle spielen."

So blieb der Verlauf des Sommerinterviews erwartbar: Ein Moderator, der nach all der Kritik im Vorfeld gut vorbereitet war und sich mühte, Antworten auf seine Fragen zu bekommen, auf der einen Seite. Und ein Politiker, der genau diesen Fragen aus dem Weg gehen und seine Botschaften platzieren wollte, auf der anderen.

Viele User halten die Entscheidung für längst überfällig

Kandidiert Björn Höcke für den Bundestag?

Die Erkenntnis am Ende des Gesprächs war mager. Zwar erfuhren die Zuschauer, dass Höcke es nicht ausschließe, 2021 für den Bundestag zu kandidieren, was er aber dort genau machen wollen würde, blieb unklar. Wenig Worte über ein Rentenkonzept, keine Lösungsvorschläge zur Klimakrise, kein Rezept gegen die Coronavirus-Pandemie – was konkrete Politik angeht, blieb das Sommerinterview inhaltlich dünn.

Vielleicht auch gerade deshalb hatte Höcke zwischenzeitlich sogar lobende Worte für den MDR übrig, als es um die seiner Ansicht nach zu geringe Präsenz seiner Partei in der Medienberichterstattung ging. "Der MDR ist noch relativ gut, er ist ja auch eine öffentlich-rechtliche Anstalt." Es klang nach einem vergifteten Lob.

Das gesamte MDR-Sommerinterview mit Björn Höcke können Sie hier noch einmal sehen.

+++ Viel Lob erhielt ZDF-Journalist Thomas Walde 2018 für sein Interview mit dem damaligen AfD-Chef Alexander Gauland. Lesen Sie hier im stern das Interview mit Walde dazu. +++

Mehr zum Thema

Newsticker