Herr Klingholz, wie viele Einwohner hat Deutschland?
Das Statistische Bundesamt meldet für 2005 die Zahl von 82,4 Millionen. Aber es geht davon aus, dass Deutschland eigentlich 1,4 Millionen Einwohner weniger hat als angegeben. So hoch ist nach internen Berechnungen die Zahl der Karteileichen in den Melderegistern abzüglich der Zahl der Nicht-Gemeldeten. Die 1,4 Millionen müsste man eigentlich abziehen.
Mit anderen Worten: Man weiß nicht, ob es München mit 1,4 Millionen Einwohner gibt oder nicht. Wie kommen diese enormen Unterschiede zustande?
Es gibt mehrere Gründe. Zum Beispiel melden sich viele Leute beim Umzug nicht ab und bleiben in den Registern der Kommunen. Auch gibt es Doppelmeldungen etwa bei komplizierten ausländischen Namen. Etwa, wenn ein polnischer Bürger einmal mit einem "c" und einmal mit "z"geschrieben wird. Die Ausländerstatistik ist so fehlerhaft, dass zwei Zahlen für die Ausländer kursieren, die sich um 600.000 unterscheiden. Berlin und das Saarland haben Fehlerquoten von sechs Prozent. Und beide Länder sind Empfänger im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Denen würden die einwohnerspezifischen Einnahmen massiv wegbrechen, wenn die richtige Zahl bekannt würde.
Es ist also höchste Zeit für eine Volkszählung?
Ja. Die Datenlage in Deutschland ist extrem schlecht, vermutlich am schlechtesten in ganz Europa. Die Zahlen werden seit der letzten Volkszählung 1987 in der BRD und 1981 in der DDR auf bestehenden Daten fortgeschrieben. Dabei schleichen sich im Laufe der Jahre große Fehler ein. Deutschland ist in Europa das einzige Land außer Malta, das so lange keine Daten erhoben hat.
Warum wurde denn so lange gewartet?
Gegen die Volkszählungen gab es in den 80er Jahren massiven Widerstand. Das scheint die Politik bis heute zu verunsichern.

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Aber jetzt hat die Bundesregierung angekündigt, an der EU-weiten Volkszählung 2010/11 teilzunehmen...
... ja. Aber die EU hat die Methode freigestellt. Die meisten Länder planen eine allgemeine Zählung aller Bürger. Aber dies ist in Deutschland leider nicht geplant.
Sondern?
Es gibt grundsätzlich zwei Methoden. Einmal die angesprochene allgemeine Volkszählung. Das heißt in jeden Haushalt kommt jemand mit einem Fragebogen, der ausgefüllt werden muss und dann anonym ausgewertet wird. Der Nachteil ist, dass dies relativ aufwändig ist, der Vorteil, dass man einmal vollständige Daten bekommt. Und das Land, das schon solche Daten hat, kann auch die zweite Methode anwenden, nämlich eine Fortschreibung bestehender, möglichst korrekter Register. Über diese bekommt man anschließend genaue Daten auf Knopfdruck. In Deutschland ist nun eine Mischung aus beiden Arten geplant, nämlich ein so genannter registergestützter Zensus.
Wie funktioniert das denn?
Hierbei werden die fehlerhaften Daten von Behörden, etwa von Meldeämtern, der Bundesagentur für Arbeit oder der Rentenversicherung, abgeglichen. Dann wird eine zehnprozentige Stichprobe durchgeführt. Diese zehn Prozent der Bevölkerung werden wirklich befragt. So lässt sich eine Fehlerquote ermitteln. Wenn etwa bei der Stichprobe einer Stadt 10.000 Einwohner gemeldet sind, man aber nur 9.000 findet, werden - vereinfacht gesagt - für die ganze Stadt zehn Prozent der Bevölkerungszahl abgezogen. Das ist ein mathematisch ein recht kompliziertes Verfahren und zudem hat es noch niemand gemacht.
Aber sonst ein sinnvolles Verfahren?
Aus zwei Gründen nein. Erstens erhält man so keine verlässlichen Zahlen auf regionaler Ebene. Und diese Daten sind für die Planung, etwa für die Infrastruktur, also Straßenbau, Kindertagesstätten oder Kläranlagen besonders wichtig. Und zweitens sollen nach dem bisherigen Stand alle Daten, die im Rahmen des demografischen Wandels von Bedeutung sind, absurderweise nicht erfragt werden. Zum Beispiel die Kinderzahl je Frau, der Bildungsqualifikation oder der Migrationshintergrund. Diese Daten sind wichtig, etwa um Integrationserfolge messen zu können. Seit Pisa wissen wir beispielsweise, dass Einkommen und Bildungsstand der Eltern hauptsächlich für den Bildungserfolg der Kinder verantwortlich sind. Dieses Ergebnis haben wir aber nur, weil es die private Pisa-Studie gefragt hat. Der Staat scheut sich, nach diesen Dinge bei einer Volkszählung zu fragen. Die Politik und will eine Volkszählung, die leise und billig ist. Die Datenqualität scheint keine Rolle zu spielen.
Was kosten denn die unterschiedlichen Modelle?
Man geht bei einer klassischen Volkszählung von einer Milliarde Euro aus. Aber das ist wenig Geld im Vergleich zu den Kosten, die durch schlechte Daten beziehungsweise Fehlplanungen entstehen. So etwa hat der Aufbau Ost rund 1.000 Milliarden Euro gekostet, ist aber unter Ausblendung der demografischen Entwicklung erfolgt. Hätte man diese berücksichtigt, hätte man leicht 100 Milliarden Euro sparen können. Das wären 100 Volkszählungen gewesen. Die Kosten für den von der Regierung geplanten registergestützten Zensus werden auf 340 Millionen Euro geschätzt. Das halte ich aber - wie mittlerweile auch das statistische Bundesamt - für unrealistisch. Die Kosten werden davongaloppieren, weil man noch keine Erfahrung mit der Methode hat.
Denken sie, dass eine richtige Volkszählung heute einfacher wäre als beim letzten Mal 1987?
Davon gehe ich aus. Die Bevölkerung weiß, dass der demografische Wandel große Veränderungen bringen wird. Wir brauchen eine gute Datenbasis und die Daten werden ja alle anonym erhoben. Man will Daten über die sozialen und wirtschaftlichen Eigenschaften von ganzen Bevölkerungsgruppen zu erhalten. Es geht nicht darum, die Leute auszuschnüffeln.