Wahlkampf in Hessen Gangster als Glücksfall für Koch

  • von Hans Peter Schütz
Die Überfälle in München hätten für Roland Koch kaum passender kommen können: Denn zum Wahlkampfauftakt fehlte dem Ministerpräsidenten ein echtes Thema, das er jetzt hat: die Kriminalitätsbekämpfung. Darauf wird er nun herumreiten, brutalstmöglich.

Endlich hat Roland Koch ein Thema gefunden, das ihm liegt. Erst wollte er vor allem den "Sozialismus" der Linkspartei verteufeln. Jetzt macht er sich zum Chefpädagogen der Republik. Will Deutschland anständiger machen, daher müsse wieder "Opferschutz statt Täterschutz" gelten. Müsse der Staat jungen Menschen "Grenzen aufzeigen". Und daher plädiert Koch jetzt in "Bild" für strenges Vorgehen gegen jugendliche Täter: "Lieber drei Tage Gefängnis als Warnschuss für einen jungen Gewalttäter am Anfang als eine lebenslange kriminelle Karriere."

Kochs hektische Suche ist beendet

Damit ist es - endlich, endlich - gefunden, das für Roland Koch passende Wahlkampfthema, mit dem er die hessische Landtagswahl Ende Januar gewinnen will. Wer die in den vergangenen Wochen geradezu hektische Suche Kochs nach einem zündenden Wahlkampfthema begreifen will, wer verstehen möchte, welch Glücksfall der "U-Bahn-Gangster Serkan A." ("Bild") für ihn ist, muss ins Jahr 1999 zurückgehen. Damals schaffte er, was im "roten" Hessen lange Zeit als Ding der Unmöglichkeit gegolten hatte: die Eroberung der Macht. Dies gelang, indem Koch seinen Wahlkampf kurzfristig thematisch umstellte auf eine Unterschriftenaktion gegen die von Rot-Grün in Berlin geplante Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Die Aktion hatte dank eindeutiger ausländerfeindlicher Tendenzen Erfolg. Sie holte den letzten CDU-Stammwähler in Hessen noch an die Urne.

Die Nummer von damals wiederholt sich jetzt. Für Koch geht es erneut um sehr viel. Er muss diese Landtagswahl gewinnen. Weniger, um noch einmal fünf Jahre Hessen-Politik zu machen, die ihm längst zu popelig ist. Eines kann man ihm allerdings in der Landespolitik nicht vorwerfen: Dass er unpopulären Themen taktisch ausgewichen sei. Konsequent hat er das hessische Schulsystem umgebaut und effektiver gemacht, ungeachtet des Widerstands, der ihm aus Eltern- wie aus Lehrerschaft entgegengeschlagen ist. Aber er muss auch gewinnen, um eventuell 2009 die hessische Landespolitik hinter sich lassen zu können und dann nach Berlin in ein neues Kabinett Merkel zu wechseln, am liebsten als Finanzminister.

Lange Zeit sah es so aus, als habe die hessische CDU dem populären Mindestlohnthema der SPD und ihrer Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti nichts entgegenzusetzen. Kochs neue alte Botschaft lautet nun: "Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer." Und wie bestellt tritt jetzt auch die Bundeskanzlerin in den Koch-Wahlkampf ein, indem sie erklärt, es sei notwendig, "diese Diskussion zu führen". Wer hört da noch ihren Nebensatz, es gelte die Debatte um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts "besonnen" zu führen? Koch selbst plagen gewiss keine Gewissensbisse, denn seine politische Devise lautet: "Wer durch den Strudel schwimmt, der schwimmt nicht immer gerade." Mit dem Etikett Ausländerfeind, sagt er, "muss man leben".

Das Lebensmotto erzählt viel über den Politiker und Menschen Koch. Der Mann ist reaktionsschnell in heikler Lage. Er kalkuliert kühl Vor- und Nachteile einer Situation. Was immer ihm sein Bauch auch zuflüstert, er entlässt die Worte erst über die Zunge, wenn der Kopf sie gebilligt hat. Je enger es für ihn wird, desto besser ist er. Er besitzt die Selbstbeherrschung eines Buddhisten; mit dem Dalai Lama ist er befreundet. Macht Politik mit einem unangreifbaren Selbstwertgefühl und hoch belastbarer innerer Sicherheit. Wirkt zuweilen wie dem Kühlschrank entstiegen. Je hitziger es politisch um ihn herum zugeht, desto kälter wird er - normalerweise.

Unbedingten Machtwillen bewiesen

Nur deshalb hat er die Schwarzgeld-Affäre politisch überlebt, jenen unsäglichen Versuch der hessischen CDU im Jahr 2000, Schwarzgeld-Konten in der Schweiz in Höhe von rund 20 Millionen Mark in "jüdische Vermächtnisse" umzudeklarieren, die der Partei zugewandt worden seien. Damals versprach Koch "brutalstmögliche Aufklärung" und hat dennoch systematisch vertuscht und "Darlehen" erfunden, die keine waren. Hat er gelogen? Nichts verabscheue er mehr als die Lüge, antwortete er. Er habe einige Tage die Öffentlichkeit "nicht vollständig unterrichtet" und "nicht alles gesagt, was ich wusste". Koch hat in dieser Affäre seine hervorragendste Eigenschaft bewiesen: unbedingten Machtwillen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Politik hat er praktisch schon als Kind gelernt. Der Vater Karl-Heinz war Justizminister im Kabinett von Walter Wallmann. Die Legende erzählt, der kleine Koch habe als Kind unter dem Tisch gespielt, an dem Wallmann, Manfred Kanther und Alfred Dregger ihren Kreuzzug gegen den Sozialismus im allgemeinen und die hessischen "Roten" im besonderen planten, Finanzierung der Wahlkämpfe aus illegalen Schwarzen Kassen inklusive. Hier wurde jener Korpsgeist gepflegt, der die Hessen-CDU heute mehr als jede andere Landespartei der Union auszeichnet, und der sie aus dem Jammerdasein einer 25-Prozent-Partei zur absoluten Mehrheit und 1999 an die Macht geführt.

Aus der machttaktischen Sicht Kochs passt die emotionale Kampagne gegen junge Ausländer wie maßgeschneidert. Und sie nutzt auch Angela Merkel, für die der Machtverlust in Hessen ein schwerer politischer Rückschlag auf dem Wege zur Bundestagswahl 2009 wäre. Genau dies signalisierte bisher die politische Ausgangssituation in Hessen. "Wenn Hessen fiele", sagt Dirk Metz, Regierungssprecher in Wiesbaden und alter ego Kochs, "dann hätte das dramatische Folgen für den Bund."

Absolute Mehrheit kann er wohl nicht verteidigen

Längst haben sich die Strategen in der Wiesbadener Staatskanzlei zwar damit abgefunden, dass die CDU ihre 2003 haarfein gewonnene absolute Mehrheit (48,8 Prozent) am 27. Januar nicht verteidigen kann; in Umfragen pendelt die hessische CDU um die 40 Prozent, eher darunter als darüber. Eine Neuauflage der früheren Koalition mit der FDP wäre kein Problem, vorausgesetzt, die Liberalen kämen auf mindestens neun Prozent, was die Umfragen allerdings bisher nicht signalisieren. Zieht aber die Linkspartei in den Landtag ein, was gesichert sein dürfte, dann könnte die bislang so heil geordnete Welt in Wiesbaden ins Wanken geraten. Koch würde entweder zur Großen Koalition mit der SPD gezwungen sein. Schlimmer noch, es könnte zu einem rot-rot-grünen Bündnis kommen.

Für Koch wären beiden Varianten des Wahlausgangs ein Desaster. Der Mann hält sich schließlich noch immer für kanzlerfähig, jung genug um auf seine Chance zu warten ist er mit seinen 49 Jahren. "Der studiert auf Bundeskanzler", hat ein Parteifreund einmal über ihn gesagt.

An Loyalität nicht zu übertreffen

Aber er hat nach der Bundestagswahl 2005 klug für sich entschieden, dass er vorerst nicht an Angela Merkel vorbeikommt. Seither lässt er sich an Loyalität zur Kanzlerin von keinem im CDU-Präsidium übertreffen. Allenfalls ein ironisches Sätzchen entgleitet ihm ab und an über die Beziehung: "Wenn ich sie 2002 nicht gedrängt hätte, nicht Kanzlerkandidatin zu werden, wäre sie 2005 nicht Kanzler geworden."

Sie wiederum hält ihn für den besten strategischen Kopf der CDU. Einen, der ihm übertragende Probleme - etwa die Unternehmensteuerreform oder die Erbschaftssteuerreform - im intelligenten-taktischen Dialog mit der SPD löst. Koch ist der Mann, von dem viele in der CDU sagen, wenn Bilder aus dem Parteipräsidium im TV flimmern, gut, dass es den gibt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder schätzt ihn, "weil er nichts hintenrum fummelt". Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere lobt: "Es sind nicht alle so sachkundig wie Herr Koch." Ein hohes Lob von einem, der ansonsten von den schwarzen Ministerpräsidenten nichts hält und sie schon mal intern als "Hühnerhaufen" apostrophiert. Rupert von Plottnitz, früher grüner Justizminister in Hessen und von Kochs CDU als "Sicherheitsrisiko" und "Terroristenanwalt" verunglimpft, bescheinigt ihm den schnellsten Verstand in der deutschen Politik. "Es ist eine große Blödheit, ihn für blöd zu halten."

Merkel und Koch - das ist eine bemerkenswerte Allianz. Vor einem Jahrzehnt nahm Koch die Frau aus dem Osten nicht mal durch Wegsehen zur Kenntnis. Die Gleichgültigkeit schlug in offene Feindschaft um, als die damalige Generalsekretärin Merkel in der Landtagswahl 1999 den ausländerfeindlichen Wahlkampf Kochs gegen die doppelte Staatsbürgerschaft harsch rügte. In der Schwarzgeld-Affäre der hessischen CDU, aus deren Sumpf Koch nur mühsam herausfand, schwieg Merkel viel sagend. Vollends zu Bruch ging die Beziehung, als Merkel trickreich gegen Koch und Stoiber, die beide für Wolfgang Schäuble gewesen waren, Horst Köhler als Bundespräsidenten durchsetzte.

Ausgerechnet Koch sprang Merkel bei

Es war dann jedoch Koch, der in der Wahlnacht 2005 nach dem desaströsen Wahlergebnis Merkel beisprang mit dem Appell, jetzt müsse sie erst recht Kanzlerin werden. Sie hat ihm den Beistand in ihrer kritischsten Stunde nicht vergessen. Er lasse ihr, sagt Koch, "Freiraum in der Partei". Merkel dürfte wissen, dass das Versprechen mit Vorsicht zu nehmen ist. Aber im Normalfall funktioniert die politische Liaison. Das Duo eint die emotionslose Herangehensweise an politische Probleme. Sie simsen viel miteinander, denn er ist ein mindestens so begabter SMS-Virtuose wie Merkel, und sie duzen sich inzwischen. Koch stolz über sein Verhältnis zu Merkel: "Sie hat sich entschieden, mir zu vertrauen."

Merkel hat längst erkannt, wie nützlich ihr dieser Partner ist, auch wenn sie sein Verhältnis zu ihr wohl als eine Art fürsorgliche Belagerung empfindet. Im Gegensatz zu ihr ist Koch jedoch in der westdeutschen CDU glänzend vernetzt, kennt jeden der Akteure von heute schon aus Tagen in der Jungen Union und gehört natürlich zum "Anden-Pakt", dem legendären Netzwerk in der CDU. Merkel war es, die dafür sorgte, dass Koch zu einem ihrer Stellvertreter an der CDU-Spitze ausrücken konnte. Und er besitzt, auch dies für Merkel wichtig, glänzende Beziehungen zur FDP.

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