Rechtswissenschaftler erklärt Nena polterte mit CSD-Vergleich gegen Corona-Regeln für ihr Konzert: Warum ihre Argumentation hinkt

Archivbild von Nena; Christopher-Street-Day in Berlin
Beim Nena-Konzert in Schönefeld durften nur 1000 Menschen zuschauen, beim Christopher-Street-Day in Berlin versammelten sich dagegen Zehntausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer
© Jens Büttner / DPA, Stefanie Loos / AFP
Nena billigte auf ihrem Konzert in Schönefeld bei Berlin die Missachtung der Corona-Regeln – und verwies auf den Christopher-Street-Day, bei dem Zehntausende gemeinsam auf die Straße gingen. Ein schiefer Vergleich.

"Ich hab' die Schnauze voll davon." Mit deutlichen Worten hat sich Popsängerin Nena ("99 Luftballons") auf ihrem Konzert am Sonntagabend gegen die für die Veranstaltung geltenden Infektionsschutzmaßnahmen ausgesprochen. Die 61-Jährige billigte bei ihrem Aufritt, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer deren aus leeren Getränkekisten abgegrenzten Bereiche verließen und so die vorgeschriebenen Abstände zueinander nicht einhielten. "Ich überlasse es in eurer Verantwortung, ob ihr das tut oder nicht." (der stern berichtete).

Zur Begründung musste unter anderem der Christopher-Street-Day (CSD) herhalten, der am selben Wochenende nur wenige Kilometer entfernt in Berlin begangen wurde. Dort sei es völlig okay gewesen, "dass 80.000 Leute eng aneinander auf der Straße waren", rief Nena bei ihrem Konzert auf dem Flughafengelände in Schönefeld bei Berlin von der Bühne. Wurden die Sängerin und ihre Fans tatsächlich ungerecht behandelt?

Wurde Nena ungerecht behandelt?

Der CSD ist als politische Demonstration angemeldet, also als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes. Hier geht es darum, dass Menschen gemeinsam ihre Meinung äußern wollen – im Gegensatz zu einem Konzert. "Die Versammlungsfreiheit, also die Freiheit zu politischen Demonstrationen, ist ein hochrangiges Grundrecht. Es ist, so hat es das Bundesverfassungsgericht einmal gesagt, 'schlechthin konstituierend' für die Demokratie. Solche Versammlungen sind also für die Gesellschaft elementar", sagt Uwe Volkmann, Professor für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, dem stern. "Das ist der Grund dafür, dass Versammlungen in weitaus geringerem Umfang beschränkt werden können als private Veranstaltungen, Feste oder Konzerte."

Die Kunstfreiheit, die Künstlerinnen und Künstler wie Nena für sich in Anspruch nehmen könnten, sei zwar ebenfalls im Grundgesetz verankert und nicht mehr oder weniger wert als die Versammlungsfreiheit, "sie schützt jedoch auch nicht vor bestimmten Hygieneauflagen, die eingehalten werden müssen", so der Rechtswissenschaftler weiter. "Das ist bei Demonstrationen auch nicht anders." Beim Berliner CSD galt unter anderem ebenfalls ein Mindestabstandsgebot, die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und darüber hinaus ein Alkoholkonsumverbot. Etwaige Begrenzungen der Teilnehmendenzahlen bei Konzerten seien auf die Platzverhältnisse vor Ort zurückzuführen, erklärt Volkmann. "Alle Beschränkungen müssen jedoch einer Überprüfung auf ihre Verhältnismäßigkeit standhalten."

Grundsätzlich gelte, dass in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem zu beschränkenden Grundrecht und dem Recht auf den Schutz der Gesundheit vorgenommen werden müsse – und eben nicht zwischen den Infektionsschutzregeln verschiedener Veranstaltungen, führt der Jurist weiter aus. Die Beschränkungen von Versammlungen seien von der Rechtsprechung dabei in der Vergangenheit kritischer gesehen worden als jene der Kunstfreiheit. "Da schauen die Gerichte traditionell sehr genau hin."

Doch auch unabhängig davon verglich Nena mit ihrer Aussage zwei Veranstaltungen, die allein aufgrund ihres Ortes nicht zu vergleichen sind. Denn für die Corona-Regeln sind in Deutschland im Wesentlichen die Bundesländer zuständig. Die zähen Runden von Bundesregierung und den Regierungschefs und -chefinnen der Länder im vergangenen Jahr zeugen davon. Dadurch unterscheiden sich die Coronavirus-Schutzverordnungen der Bundesländer teils erheblich, mitunter haben sie die konkrete Umsetzung ihrer Regeln sogar an Kreise und Kommunen delegiert, was für eine weitere Vielfalt an Verordnungen sorgt.

Nenas Konzert fand in Brandenburg statt, auf dem Gelände des früheren Flughafens in Schönefeld (Landkreis Dahme-Spreewald) vor den Toren der Hauptstadt; der CSD dagegen in Berlin – somit gelten für beide Veranstaltungen ohnehin unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen.

Coronavirus-Regeln schreiben maximale Teilnehmendenzahl vor

Die Sars-CoV-2-Umgangsverordnung des Landes Brandenburg legt für "sonstige Veranstaltungen", zu denen unter anderem Konzerte zählen, die Höchstzahl von 1000 Teilnehmenden fest, dazu die Einhaltung eines Abstands von mindestens einem Meter untereinander. So sieht es auch das Konzept der Veranstalter der "Unter freiem Himmel"-Konzertreihe vor, in dessen Rahmen Nena auftrat. Für Versammlungen sieht die Verordnung hingegen keine besonderen Einschränkungen abseits des Mindestabstands und der Einhaltung der Hygieneregeln des Robert-Koch-Instituts (RKI) mehr vor. Behörden vor Ort können jedoch weitere Auflagen verhängen. 

Ähnlich sieht es in der Hauptstadt aus. Dort dürfen jedoch bis zu 2000 Menschen gleichzeitig Konzerte im Freien besuchen, der Mindestabstand beträgt 1,5 Meter. Für Versammlungen oder Demonstrationen – wie den Christopher-Street-Day – gibt es in Berlin ebenfalls keine Höchstzahl an Teilnehmenden. Wie auch die Berliner Polizei bestätigte, haben die Organisatoren des CSD im Vorfeld und während der Versammlung massiv auf die Einhaltung der Abstands- und Masken-Regeln hingewiesen – ebenfalls ein gewaltiger Unterschied zu den Ansagen Nenas auf der Bühne in Schönefeld. Den beim CSD geltenden Infektionsschutzregeln wurde nach Auskunft der Berliner Polizei "überwiegend Folge geleistet". Erst am Abend lösten die Einsatzkräfte illegale Partys auf.

wue

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