Wirbel um Kriegs-Interpretation Steinbach zieht sich aus CDU-Spitze zurück

  • von Dirk Benninghoff
Erika Steinbach steht im CDU-Vorstand alleine da. Sagt sie - und kandiert daher nicht mehr für das Gremium. Damit dürften die Debatten um ihre Weltkriegs-Theorien aber nicht verstummen.

Bislang konnte sich die Union feixend zurücklehnen und genüsslich zuschauen, wie das Gezerre um den Ausschluss von Thilo Sarrazin der SPD die Umfragewerte verhagelte und den Parteigrößen an den Nerven zerrte. Damit ist es jetzt vorbei: Die CDU hat ihren eigenen Fall Sarrazin. Erika Steinbach ist die Frau des Anstoßes, und in ihrem Fall geht es nicht um assimilierende Türken, sondern um vermeintlich kriegslüsterne Polen.

Die Vorgeschichte: Die Vertriebenenfunktionäre Arnold Tölg und Hartmut Saenger, beides CDU-Politiker, trauten sich mit einer gewagten Geschichtsinterpretation an die Öffentlichkeit. Polen habe bereits im März 1939 mobil gemacht, der deutsche Angriff im September sei nur der zweite Schritt gewesen. Eine Variante, die Kulturstaatsminister Bernd Neumann in Rage brachte. Er distanzierte sich in der Vorstandssitzung der Unions-Bundestagfraktion am Mittwoch ausdrücklich von den Äußerungen des Vertriebenen-Gespanns.

Nicht so Erika Steinbach. Die BdV-Vorsitzende nahm beide in Schutz. Sie entgegnete in der Sitzung der Unionsfraktionen dem aufgebrachten Neumann: "Und ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat." Daraufhin fiel ihr nach Schilderungen von Teilnehmern Fraktionschef Volker Kauder ins Wort: "Wenn es so gewesen wäre, hätten die Polen allen Grund dazu gehabt." Schließlich rief Steinbach auch noch in die aufkommende Empörung: "Sie können mich ja ausschließen, wenn sie wollen."

"Meine CDU ist nicht auf einem guten Weg"

Die Aufforderung wurde angenommen. Die streitbare Vertriebenenpräsidentin, im Reichsgau Danzig-Westpreußen geboren, legte zwar Wert darauf, dass sie damit die Kriegsschuld Deutschlands nicht habe bestreiten wollen, und fühlte sich absichtlich missinterpretiert. Aber ihr Parteikollege Andreas Schockenhoff wollte sich damit nicht abspeisen lassen. Er forderte den Ausschluss aus der Union. Jeder wisse, dass Hitler einen Krieg vorbereitet habe. "Der Hinweis auf die Mobilmachung Polens ist absurd - als ob dadurch der Einmarsch Polens ins Deutsche Reich bevorgestanden hätte." Zwar bremste Kauder den Kollegen Schockenhoff später: "Der Bundesverband der Vertriebenen geht verantwortlich um mit der Geschichte." Für ihn sei das Thema erledigt. Allerdings: Nach einem Bericht von "Welt Online" plant die Fraktionsführung, ihre menschenrechtspolitische Sprecherin vorerst nicht im Bundestag reden zu lassen. Erika Steinbach war für kommenden Mittwoch als Rednerin vorgesehen. Die Fraktionsführung habe sich jedoch verständigt, sie von der Rednerliste zu nehmen.

Steinbach reagierte am Nachmittag: "Ich werde nicht mehr für den Parteivorstand kandidieren", kündigte sie im Gespräch mit der "Welt" an. Sie habe dort "nur noch eine Alibifunktion, die ich nicht mehr wahrnehmen möchte. Ich stehe dort für das Konservative, aber ich stehe immer mehr allein." Ihre Absage an weitere Führungsämter kombinierte Steinbach mit einer Warnung an die Partei: "Meine CDU ist nicht auf einem guten Weg. Denn mit Anpassung zieht man keine Wähler an." Im November wird der komplette CDU-Vorstand auf einem Parteitag neu gewählt. Steinbach ist seit zehn Jahren Mitglied in der Führungsriege.

Die Opposition zeigt sich pflichtgemäß aufgebracht. "Dass diese Frau die Menschenrechtspolitik der Union nach außen repräsentiert, ist unerträglich und kommt einem menschenrechtspolitischen Offenbarungseid gleich", erregte sich der grüne Abgeordnete Volker Beck. Ihre Äußerungen seien "ein Affront gegenüber unseren polnischen Nachbarn". Die Linke sieht die CDU-Kollegin gar in der rhetorischen Tradition von Adolf Hitler. "Steinbachs Relativierung der deutschen Kriegsschuld entspricht der Logik von Hitlers Lüge, 'ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen'", sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke.

Steinbachs Beitrag zur Sarrazin-Debatte

Steinbach war schon diverse Male auffällig geworden - aber nie so, dass die Union als ihre politische Heimat bezweifelt wurde. Ihr Pochen auf einen Beiratssitz in der neuen Vertriebenenstiftung sorgte über Monate für zähe Diskussionen, bis sie selbst klein beigab. Die Vertriebenenpräsidentin ist für viele Menschen eine Ewiggestrige und in Polen mehr oder weniger Persona non grata. Sie lehnte als Bundestagsabgeordnete der CDU die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ab, stimmte gar gegen den EU-Beitritt des Landes.

Auch in die Debatte um Thilo Sarrazin mischte sich Steinbach auf der CDU-Sitzung am Mittwoch mit deftigem Vokabular ein. Der Umgang mit dem SPD-Mann sei "grottenverkehrt" gewesen, polterte sie in Richtung Angela Merkel. Das Thema wird die beiden Ladies fortan jedoch weniger interessieren. Erst einmal ist Merkels Umgang mit Steinbach von größerem Belang.

mit Agenturen