21. Februar, 12 Uhr Moskauer Zeit: Auf diese Zeit hat Wladimir Putin seinen großen Auftritt angesetzt. Erstmals seit 2021 hält der Kreml-Chef eine Rede vor der Bundesversammlung, das aus zwei Kammern bestehende Parlament Russlands. Eine Woche lang wurde gerätselt, was er denn zu sagen haben könnte. Da spaziert Joe Biden plötzlich durch Kiew. Der Überraschungscoup ist gelungen. So kurz vor seinem großen Auftritt verdirbt Biden dem russischen Oberbefehlshaber die Show.
Joe Biden ist seit George W. Bush der erste US-Präsident, der in die Ukraine gereist ist. Mitten im Krieg. Für seine geheime Reise nach Kiew hatte Biden das heimische Washington in völlige Ahnungslosigkeit gehüllt. Im Nachgang teilte das Weiße Haus allerdings mit, dass kurz vor der Reise Kontakt zu Moskau aufgenommen worden sei. "Wir haben die Russen benachrichtigt, dass Präsident Biden nach Kiew reisen wird", sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, der den Präsidenten begleitete. Die Benachrichtigung sei "einige Stunden" vor Bidens Abreise erfolgt, um Konflikte zu vermeiden.
Aufgrund der "sensiblen Natur des Austauschs" wolle er keine genaueren Angaben zur Art der Benachrichtigung oder zur Antwort Russlands machen, erklärte Sullivan. Das Weiße Haus will zu einem späteren Zeitpunkt Details veröffentlichen.
Die Warnung aus dem Weißen Haus nutzt die Kreml-Propaganda aber nun, um eine neue Legende zu spinnen. Die Version, die nun über alle Kanäle fast im gleichen Wortlaut schallt: Putin hat Biden die Erlaubnis zu seinem Besuch in Kiew erteilt.
"Biden hat sich hundertprozentig mit uns abgestimmt"
"Die Sicherheitsgarantien für seine Reise nach Kiew hat Biden in Moskau bekommen. Das ist alles, was man über die Souveränität der Ukraine wissen muss", fing am Montagabend Jewgeni Popow die Sendung "60 Minuten" an, die entgegen ihrem Titel fünf Stunden pro Tag ausgestrahlt wird.
"Und die Russen haben ihr Wort gehalten", schlussfolgerte Popow angesichts der unbehelligten Reise von Biden. "Selenskyj ist fast vor Glück in den Armen des amerikanischen Hegemonen gestorben", spottete seine Frau und Co-Moderatorin Olga Skabejewa.
"Biden hat sich hundertprozentig mit uns abgestimmt, hat angerufen und sich verbeugt. Bitte schön, soll er doch hinreisen", erklärte der Studiogast Leonid Kalaschnikow, nur um dann zu einem 20-minütigen Dialog über die Vorzüge des Kommunismus anzusetzen. Wenig überraschend, wo er doch seit 2010 für die Kommunistische Partei in der russischen Duma sitzt.
Er hoffe, Putin werde in seiner Rede erklären, "wie wir innerhalb von zehn Jahren die 100 Jahre aufholen können, die wir ihnen hinterherhinken" – um es mit den Worten Stalins auszudrücken. Bei diesen Worten konnte Skabejewa nicht anders, als peinlich berührt zu Boden zu blicken. "Ja, wir hinken ihnen hinterher. Aber nicht in unserem Potenzial. Wir haben Gas, Öl, alles", beeilte sich Kalaschnikow zu konkretisieren.
In Bussen zusammengekarrt – die peinliche Putin-Show vor den Mauern des Kremls

Warum nicht Biden "abmurksen"?
"Die Amerikaner glauben wohl, dass wir niemandem Paroli bieten werden, wenn sie ihren Biden in die Ukraine schicken", wunderte sich Skabejewa noch in der Morgenausgabe, als der US-Präsident plötzlich vor dem blauen Himmel in Kiew posierte. "Oder hat ihnen jemand Sicherheitsgarantien gegeben? Haben wir sie ihnen gegeben?", fragte sie den selbsternannten Militärexperten Jewgeni Buschinsky. "Ja, wir waren das natürlich."
"Aber wozu?", erwiderte Skabejewa perplex. "Wir könnten natürlich Biden abmurksen. Aber das wäre wohl etwas zu viel", entgegnete Buschinsky. Eine Antwort, die der Propagandistin nicht schmeckte. "Also Biden abzumurksen wäre zu viel. Aber Putin zu bedrohen, ist normal? Und Nord Stream 2 in die Luft zu jagen, ist auch ok?", wollte sie von ihrem Gast wissen. "Was ist die Logik?"
"Ok, wir murksen Biden ab? Aber wer wird ihn ersetzen? Diese Harris. Biden kann noch trotz seiner Demenz ein wenig denken. Er hat noch gewisse Grenzen. Sie hat gar keine Grenzen", erklärte Buschinsky die Logik, die im Narrativ der Kreml-Propaganda erklären soll, warum Moskau den Besuch Bidens in Kiew gestattete. "Ich bin mir sicher, er hat Garantien von unserer Seite bekommen", setzte Buschinsky daher hinzu, um diese Version auch dem letzten Zuschauer einzubläuen. "Er hätte nur mit dem Hubschrauber anreisen sollen, wie er es für gewöhnlich macht. Und unsere Flugzeuge hätten ihn nach Kiew begleiten müssen. Das hätte mehr Eindruck gemacht", träumte Buschinsky seinen Tagtraum.
Kreml-Propaganda bereitet Russland vor
Doch Skabejewa hätte Biden lieber "abgemurkst" gesehen. "Die Sonderoperation in der Ukraine dauert nun fast ein Jahr. Die Ziele sind bei weitem nicht erreicht. Es gibt eine riesige Zahl an Gefallenen. Der kollektive Westen und die USA benehmen sich so, als ob wir nicht in der Lage zu einem reaktiven Schlag wären", gestand sie auf den ersten Blick überraschend freimütig ein. Doch hinter diesen Worten verbirgt sich nichts weiter als ein anderes Narrativ der Kreml-Propaganda, das in den vergangen Wochen forciert wurde. Russland habe noch gar nicht richtig angefangen, lautet die Erklärung für die bisherigen Niederlagen.
"Wir demonstrieren weiter nur unsere Liebe zum Frieden und tragen weiter weiße Handschuhe", griff Skabejewa diese Mär auf. "Erinnern wir uns an die Worte des Präsidenten: Wir haben noch gar nicht richtig angefangen. Doch das könnten wir", posaunte die Talkmasterin und lieferte die Steilvorlage für Putins Auftritt.
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