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Perlen der Kreml-Propaganda Wenn die Wahrheit weh tut, heult der Propagandist

Wladimir Solowjow kann der Welt der Kreml-Propaganda nicht mehr den Rücken kehren
Wladimir Solowjow kann der Welt der Kreml-Propaganda nicht mehr den Rücken kehren
© Pavel Bednyakov / Sputnik St. Petersburg Russia PUBLICATION/stern / Imago Images
Wenn Wladimir Solowjow jemanden als Nazi beschimpft, kann man gewiss sein: Derjenige hat einen wunden Punkt getroffen. Denn auch wenn der Meister der Propaganda es nicht zugeben kann: Die Wahrheit kennt er dennoch. 

Die Wahrheit tut weh. Diese Erfahrung mussten im vergangenen Jahr Millionen von Putin-Anhängern machen. In Russland, in Deutschland, in den USA und auch in der Ukraine. Denn überall dort, wo die Kreml-Propaganda schallen kann, gibt es sie. Die Wahrheit ist, dass Putin kein einziges der Versprechen seiner 23-jährigen Herrschaft eingehalten hat. Russland ist in dieser Zeit zu keinem blühenden Paradies aufgestiegen. Die kleinen Fortschritte, die das Land in den vergangenen 30 Jahren in Richtung Wohlstand vollbracht hat, sind mit einem Federstrich zunichte gemacht worden – als Putin den Befehl zum Einmarsch in die Ukraine unterzeichnete.

Der Krieg hat Russland an den Abgrund gebracht. Im Augenblick ist ein Sturz in diesen Abgrund wahrscheinlicher als eine rettende Wende. Diese Wahrheit tut sehr weh. Genauso wie die Tatsache, dass es nicht die deutschen Leopard-Panzer sind, die Russland an diesen Abgrund geführt haben. Doch dies einzugestehen, würde für viele einem Selbstmord gleichkommen.

Einer von ihnen ist Wladimir Solowjow. Der Propagandist hat es geschafft, in den letzten Jahren zum bekanntesten Sprachrohr der Kreml-Propaganda zu werden. Im Dienste Putins schreckt er vor nichts zurück: vor keiner Provokation, vor keiner Beleidigung, vor keiner Lüge. Doch die Wahrheit kennt auch er. Und sie schmerzt ihn ebenso wie die Opfer seines Propaganda-Werks. 

Wladimir Solowjow in seinem Nazi-Element 

Wenn jemand diese Wahrheit ihm auch noch vor Augen führt, kann Solowjow vor lauter Schmerz das Jaulen nicht unterdrücken. So geschehen in seiner Sendung am vergangenen Dienstag. Die von der Bundesregierung zugesagten Lieferungen von Leopard-Panzern an die Ukraine haben Deutschland für die Propaganda zur Zielscheibe Nummer 1 gemacht. Auch Solowjow erging sich Nazi-Fantasien, über die auch der stern berichtete. 

Das Licht, in dem er in den deutschen Medien erscheint, gefällt Solowjow allerdings ganz und gar nicht. Er ist es schlicht nicht mehr gewohnt, dass seine Tiraden nicht als die Wahrheit in letzter Instanz verkauft werden. Und so pestete er los – gegen jene, die ihm den Spiegel vorhalten. "Ich wende mich an die Erben von Goebbels, an die nicht zu Ende erledigten Nazi-Bastarde. Das seid ihr: 'Bild', 'Stern' und die übrigen Missgeburten!", schimpfte Solowjow und ahmte dabei den Tonfall von Joseph Goebbels nach. 

Nachdem er wie eine Dampfwalze über Annalena Baerbock und Olaf Scholz rollte, machte der Meister der Propaganda einen erstaunlichen Vorschlag. Die von ihm betitelten "Nazi-Bastarde" sollen doch beweisen, dass sie ein "Verständnis von der Meinungsfreiheit" haben. Wie? Indem sie seine Sendungen übertragen.

"Da ihr armselige Bettler seid, die euer Land in Armut und Inflation gestürzt habt, (…) werden wir auf eigene Kosten euch eine deutsche Übersetzung unserer wunderbaren Sendungen zur Verfügung stellen", erging sich Solowjow in einem feuchten Traum.

Ruhigen Herzens log er weiter: In seinem Studio dürfe man jede Meinung äußern. "Im Gegensatz zu Euch, Missgeburten des Vierten Reichs! Ihr, die ihr Angst habt, euren unglücklichen Bürgern die Wahrheit zu sagen", schrie Solowjow.

Kleiner Deutschland-Russland-Vergleich 

Weil er so sehr danach verlangt, also ein bisschen Wahrheit für Solowjow.

Die Durchschnittsrente in Deutschland liegt der aktuellen Statistik der Deutschen Rentenversicherung zufolge in den alten Bundesländern bei 1620,90 Euro brutto. In den neuen Bundesländern kann ein Standardrentner mit einer Brutto-Rente von 1598,40 Euro rechnen.  

Die Durchschnittsrente in Russland liegt nach Angaben der russischen Behörden bei 241,72 Euro (18.521 Rubel).

Das monatliche Durchschnittsgehalt eines Arbeitnehmers in Deutschland lag im Jahr 2021 bei ca. 4.100 Euro brutto. In Russland bekommt nach Angaben des Föderalen Dienstes für staatliche Statistik ein Arbeitnehmer im Schnitt 815,29 Euro (62.470 Rubel, Stand Oktober 2022).

Die Gehälter reichen kaum zum Leben. Erst vor kurzem sorgten Notaufnahme-Sanitäter aus der Altai-Region für Schlagzeilen: "Die Gehälter sind mager, und ich arbeite jeden Tag. Früher haben wir 40.000 bis 50.000 Rubel bekommen. Jetzt sollen die Gehälter erhöht worden sein. Aber davon merken wir nichts! Unsere Gehälter sind gesunken", erzählte eine Sanitäterin der lokalen Publikation "Tolk". Sie bekommt als Rettungssanitäterin und leitende Sanitäterin in einer Person keine 30.000 Rubel im Monat (391 Euro).

Die Realität hinter der Propaganda 

Das Preisniveau ist in Russland jedoch vergleichbar mit dem in Deutschland. 1 Liter Milch kostet derzeit im Schnitt 80 Rubel (1,04 Euro); 1 Kilo Mehl 60 Rubel (0,78 Euro); 1 Kilo Zucker 65 Rubel (0,85 Euro).  

Während Solowjow über die "armseligen Bettler" in Deutschland skandiert, preist das russische Staats-TV gleichzeitig "großzügige Geschenke" an ausgesuchte Familien mobilisierter russischer Soldaten. In dieser Woche durften sich einige von ihnen über zehn Kilogramm Kartoffeln und zehn Kilogramm Karotten freuen. Diese Gaben von der herrschaftlichen Schulter – wie es eine russische Redewendung ausdrückt – verraten mehr über das Leben in Russland als es der Propaganda lieb wäre. 

Nicht nur die Gehälter sind miserabel, auch die Lebensbedingungen sind desaströs. 23 Prozent der russischen Bevölkerung leben ohne einen Anschluss an eine Kanalisation. 18,1 Prozent der Russen nutzen Jauchegruben als Toiletten, auf dem Land sind es sogar 48,6 Prozent. Und 4,9 Prozent haben gar keinen Zugang zu irgendeiner Art von Toilette. Das sind offizielle Daten des russischen Statistikamts Rosstat aus dem Jahr 2021, dessen Zahlen für den Kreml sehr schmeichelhaft ausfallen.

Die bitterste Wahrheit 

Es ist nicht die britische Insel, die Putin in Asche verwandelt hat, wie seine Propaganda ständig fantasiert. Es ist die russische Wirtschaft.

Aber Solowjow weiß das alles. Es waren Luxusimmobilien in Italien, die er aufkaufte – keine Datschas im wunderschönen Altai-Gebirge. Vier Villen am Comer See nannte Solowjow noch im vergangenen Jahr sein Eigen. Doch jetzt sind sie futsch! Für Solowjow ist der italienische Traum ausgeträumt. Die Prachtstücke sind konfisziert. Solowjow steht unter Sanktionen.

Und das ist für Solowjow die bei weitem schmerzhaftere Wahrheit als das Desaster in seiner Heimat. Er hat sich an ein Regime gekettet, dessen wahren Charakter er kennt. Er weiß, wem er dient. Doch ein Entrinnen gibt es für ihn nicht. Wenn Putin untergeht, geht er mit ihm unter. Das italienische Notpolster ist verspielt. Und so ist Solowjow gezwungen, weiter sein Lied zu singen. Bis in den Untergang.

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