Perlen der Kreml-Propaganda Experte bricht mit Propaganda-Regeln – dem Meister der Hetze verschlägt es die Sprache

Wladimir Solowjow (r.) in seinem Studio. Manchmal wird der Schwall der Kreml-Propaganda von überraschender Kritik durchbrochen. 
Wladimir Solowjow (r.) in seinem Studio. Manchmal wird der Schwall der Kreml-Propaganda von überraschender Kritik durchbrochen. 
© Screenshot Rossija 17stern
Die TV-Shows der Kreml-Propaganda laufen stets nach demselben Schema ab. Die Moderatoren geben den Ton vor. Die geladenen Studiogäste stimmen in den Gesang ein. Doch manchmal singt selbst der bewährteste Sänger plötzlich schief. 

An die drei Stunden Sendezeit bekommt Wladimir Solowjow fast jeden Tag im russischen Staats-TV eingeräumt. Flankiert von einem halben Dutzend selbsternannter Experten bellt er die Parolen der Kreml-Propaganda in die Welt hinaus. Die Gesichter der Männer und Frauen, die sich in seinem Studio profilieren dürfen, kennt fast ganz Russland. Denn bis auf wenige Ausnahmen sind es stets dieselben bewährten Leute, die sich hier die Klinke in die Hand geben. Sie haben sich als zuverlässige Sprachrohre des Putin-Regimes erwiesen.

Von Zeit zu Zeit wird der monotone Propaganda-Schwall von so etwas wie Kritik durchbrochen. Der ungeübte Zuschauer könnte es zumindest dafür halten. Tatsächlich werden die vermeintlichen Gegenstimmen gezielt platziert. Mal dienen die kritischen Repliken dem Austarieren der Stimmung in der breiten Öffentlichkeit. Mal werden sie zu demonstrativen Zwecken eingebaut – um wahren Kritikern zu zeigen, wie sie zum Schweigen gebracht werden, sollten sie ihre Stimme erheben. 

Doch in einigen seltenen Fällen platzt den Studiogästen angesichts des haarsträubenden Unsinns einfach der Kragen. Jakow Kedmi ist vermutlich einer dieser seltenen Fälle.

"Vergleichen Sie nicht Panzer mit Atomwaffen!"

In seiner Abendsendung erging sich Solowjow in der vergangenen Woche in einer weiteren Hasstirade gegen die USA. Nach den Panzern werde Washington der Ukraine im nächsten Schritt taktische Atomwaffen liefern, skandierte er. Eine Behauptung, die Kedmi nicht stehen lassen konnte. 

"Das ist doch absolut dumm zu glauben, dass jemand der Ukraine taktische Atomwaffen liefern könnte!", fiel der ehemalige israelische Politiker und Diplomat dem Talk-Master ins Wort. "Genauso wie es absolut dumm war zu glauben, dass jemand der Ukraine Leopard- und Abraham-Panzer liefern könnte", konterte Solowjow in Anspielung auf die Waffenlieferungen, die der Ukraine von den Nato-Staaten in der vergangenen Woche zugesichert worden sind.

"Vergleichen Sie doch nicht Panzer mit Atomwaffen!", widersprach Kedmi erneut. 

Die Doppelmoral von Wladimir Solowjow

Doch Solowjow lässt sich nicht so leicht aus der Bahn werfen. Kurzerhand schüttelte er einen Auftritt von Joe Biden aus dem Ärmel. Im März vergangenen Jahres hatte der US-Präsident erklärt, dass die Anwesenheit von US-amerikanischen Angriffswaffen samt US-amerikanischer Besatzungen in der Ukraine den Dritten Weltkrieg bedeuten würde. "Er hat doch gelogen!", rief Solowjow. Gemäß dem Narrativ des Kremls führt Russland in der Ukraine längst einen Krieg gegen die USA und die gesamte Nato. So rechtfertig das Putin-Regime die lange Dauer der sogenannten Sonderoperation und die nicht vorhandenen Erfolge der russischen Streitkräfte.

Kedmi wagte es dennoch, diesem Narrativ zu widersprechen. "Es gibt dort keine US-Besatzungen, keine US-Piloten. (...) Mann muss die Dinge beim Namen nennen – statt sie zu erfinden", erklärte er. "Du hast doch selbst gesagt, man dürfe nicht auf all jene hören, die im Namen der russischen Regierung schwafeln", wandte sich der 75-Jährige direkt an Solowjow. "Viele Dummköpfe haben dummes Zeug geredet und niemand hat sie beachtet. Und du warst einer der ersten, der dazu aufgerufen hat, sie nicht zu beachten. Warum schenkst du also nun dieser blöden Kuh in Deutschland Beachtung?" Wobei der Titel der "blöden Kuh" Annalena Baerbock zugedacht war.

"Weil sie die deutsche Außenministerin ist und keine Vertreterin der russischen Regierung", gab Solowjow zurück. Aber Kedmi wollte nicht klein beigeben: "Soll ich dir die Posts russischer Politiker zeigen? Du hast doch selbst gesagt, dass das Schwachsinn ist und man sie nicht beachten darf!" 

"Ich habe von unseren Politikern gesprochen. Aber hier hat eine offizielle Vertreterin von Nazi-Deutschland uns den Krieg erklärt!", schrie Solowjow zur Antwort. 

"Wenn also russische Politiker Schwachsinn reden, darf man das nicht beachten. Warum beachtest du dann den Schwachsinn deutscher Politiker?", fuhr nun auch Kedmi aus der Haut. Der plötzliche Widerspruch überraschte wohl Solowjow. Er konnte nur sein altes Mantra wiederholen: "Weil sie uns den Krieg erklärt haben und Panzer liefern!" 

Bruch mit Mantra der Kreml-Propaganda 

Für Kedmi glich das Stichwort Panzer einem roten Tuch. "Niemand hat uns den Krieg erklärt! Du willst über Panzer reden? Du willst über Waffenlieferungen reden? Dann lass es uns tun! Wie viele Waffen hat die Sowjetunion an Ägypten und Syrien geliefert?", fragte Kedmi provokant. Er selbst nahm einst am Jom-Kippur-Krieg teil und diente in einem israelischen Panzerbataillon. Der Krieg fand vom 6. bis zum 25. Oktober 1973 statt und wurde von Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten gegen Israel geführt.

Nun erinnerte Kedmi Solowjow an die Rolle der Sowjetunion in diesem Konflikt. "In jedem Bataillon war einer eurer Offiziere! Der Generalstab der sowjetischen Armee plante ihre Operationen. Haben wir damals gesagt, dass es ein Krieg mit euch ist? Niemals!", schleuderte er Solowjow entgegen. "Die Sowjetunion hat Waffen geliefert. Aber wir führten einen Krieg mit Ägypten!" Das sei die Position aller gewesen, auch die der Sowjetunion, der USA und Israels. "Niemand hat darin einen Krieg mit der Sowjetunion gesehen! Waffenlieferungen bedeuten nicht die Beteiligung am Krieg! Viele Länder liefern irgendwohin Waffen. Aber das ist keine Beteiligung am Krieg!", wiederholte der ehemalige Soldat unbeirrt von den Einwürfen von Solowjow. 

"In jedem Bataillon, gegen den ich Krieg geführt habe, war ein sowjetischer Offizier. Aber es war dennoch kein Krieg mit der Sowjetunion! Selbst als unsere Piloten mit sowjetischen Piloten zusammenstießen! (...) Selbst dann haben wir es nicht als einen Krieg mit der Sowjetunion betrachtet. Niemand hat es getan!"

Solowjows Reaktion auf diese leidenschaftliche Rede? Eine kaltschnäuzige Antwort: "Unnötigerweise. Die Zeiten haben sich geändert." 

Das neue Lied der Propaganda 

Doch anstatt das stehen zu lassen, stellte Kedmi ein weiteres Mantra der Kreml-Propaganda bloß. "Es ist dumme Demagogie über den Einsatz von taktischen Atomwaffen auf dem Gebiet der Ukraine zu sprechen. Das hat es noch nie gegeben und das wird es auch nicht geben! Das ergibt aus keiner Perspektive einen Sinn. Die Amerikaner haben noch nie jemandem ihre Atomwaffen übergeben." Die Ukraine habe keine Atomwaffen. "Dies wird nur der Fall sein, sollten die USA einen Krieg gegen Russland führen. Nur so!", beendete Kedmi seine Replik. Und er sollte in dieser Sache das letzte Wort behalten. 

Doch wer glaubt, der Geburt eines neues Kreml-Gegners beigewohnt zu haben, muss leider enttäuscht werden. Kurz nach seinem Ausreißer widmete sich Kedmi der Lobpreisung auf russische Panzer, die keineswegs den westlichen Modellen unterlegen seien. Nachdem die Kreml-Propaganda genügend Gift und Galle in Richtung Deutschland gespuckt hat, ist dies der neue vorgegebene Ton. Die deutschen Panzer könnten den russischen nichts anhaben, lautet das beruhigende Lied der Propaganda. Und Kedmi stimmt nach seinem kleinen Aussetzer fleißig mit ein. 

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