Europas Bürger haben gewählt - und die EU abgestraft. Nicht nur die mit 43,3 Prozent niedrigste Wahlbeteiligung, die es je bei einer Europawahl gegeben hat, auch die Erfolge von europakritischen Parteien in vielen der 27 EU-Staaten sollten Parlament und Kommission zu denken geben.
Zwar stellen die in der Europäischen Volkspartei (EVP) zusammengefassten Konservativen mit Abstand die stärkste Fraktion im neuen Europäischen Parlament und schicken 288 von 736 Abgeordneten nach Brüssel, und mit Sozialdemokraten und Liberalen folgen EU-Befürworter auf den Plätzen. Allerdings haben in einigen Ländern, vor allem in Großbritannien, Parteien viele Wähler gewonnen, die der EU ablehnend gegenüber stehen. Wir stellen die wichtigsten von ihnen vor.
Großbritannien
Die UK Independence Party (UKIP) hat von allen europafeindlichen Gruppierungen den größten Achtungserfolg errungen. Ja, es war schon mehr als das. Denn mit ihrem plötzlichen - und vorerst einmaligen - Sprung auf Platz 2 im britischen Parteienranking hat die UKIP die Krise der Labour Party von Premierminister Gordnon Brown noch veschlimmert. 17,5 Prozent räumten die EU-Gegner ab, nur 15,4 Prozent Labour. Im Vergleich zur Wahl 2004 konnte die UKIP damit noch einmal 0,5 Prozentpunkte zulegen.
Die Partei wurde 1993 gegründet. Sie hat eigentlich nur ein einziges politisches Ziel: den Austritt aus der Europäischen Union. Da viele Briten der Institution EU seit jeher skeptisch sehen, traf die UKIP auf einen vielversprechenden Nährboden. Mit plakativen und populistischen Kampagnen trifft sie den Nerv vieler Wähler. "Sag Nein", ist das Motto der Partei, die Brüssel vor allem gefrässige Krake betrachtet, die 40 Millionen Pfund täglich von den Briten verschlinge. Eine andere aktuelle Kampagne der UKIP ist eine Aktion zur Rettung der britischen Pubs, die man unter anderem durch die Brüsseler Gesundheitspolitik bedroht sieht.
Parteichef ist Nigel Farage, ein früherer Konservativer, der die Torries aus Protest gegen den Vertrag von Maastricht verließ und zu den Gründungsmitgliedern der UKIP gehörte. Er gehörte zu den beiden Vorsitzenden der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie (Ind/Dem), in der die Briten die meisten Abgeordneten stellen.
Österreich
Wie in Österreich inzwischen üblich, gewannen die rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ, die Europa nicht sonderlich wohlgesonnen sind, viele Stimmen. Die FPÖ legte fast sieben Prozentpunkte auf 13,1 Prozent zu, die BZÖ kaum auf 4,7 Prozent. Bessere Ergebnisse der Rechten verhinderte die Liste Martin, die Partei des EU-Kritikers Hans-Peter Martin, die mit 17,9 Prozent noch weitaus besser abschnitt als vor fünf Jahren. Sie gewann vier Prozentpunkte hinzu.
Martin (HPM), ein ehemaliger "Spiegel"-Journalist, ist quasi eine One-Man-Show. Als Journalist und Autor ein großer Globalisierungsgegner ("Die Globalisierungsfalle") hat er sich seit seinem Einzug ins Europäische Parlament den Kampf gegen Brüssel auf die Fahnen geschrieben. Martin ist kein Rechter. Er zog 1999 als parteiloser Spitzenkandidat auf SPÖ-Ticket ins Parlament ein, arbeitete also mit den Sozialdemokraten zusammen.
Der Österreicher machte sich in Brüssel im März 2004 unbeliebt, als er inzwischen fraktionslos und daher an keine Disziplin gebunden vielen Parlamentariern persönliche Bereicherung und Korruption vorwarf. Er selbst stand jedoch auch in der Kritik - und im Visier der Justiz. Ein Betrugsverdacht ließ sich jedoch nicht erhärten und ein entsprechendes Verfahren wurde 2007 eingestellt.
Mit der Liste Dr. Martin sorgte er 2004 für Furore, als er bei der Europawahl aus dem Stand auf Platz drei in Österreich landete. Polemik wird auch bei HPM groß geschrieben. Die Liste wettert vor allem gegen Lobbyisten und "selbstherrliche EU-Beamte", will "hochbezahlte" Politikerjobs in der EU halbieren und so "allein in Österreich 100.000 vernüntige neue Arbeitsplätze schaffen". Martin tritt zudem für Volksabstimmungen in allen wichtigen Fragen ein und ist gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Für Österreich ist sein Ziel die Neutralität.
Bulgarien
Auch in Osteuropa ist nur wenige Jahre nach dem Betritt zur EU von Euphorie keine Spur mehr. So kam die europafeindliche Ataka-Partei auf zwölf Prozent der Stimmen.
Im Gegensatz zur britischen UKIP oder der österreichischen Liste Martin ist Ataka (übersetzt Attacke) eine rechtsextreme Partei. 2005 gegründet, richten sich ihre Kampagnen stark gegen Ausländer und hier in erster Linie gegen ethnische Randgruppen wie Roma oder Juden. International will man Bulgarien separieren. Wie viele solcher Gruppierungen hat sich auch Ataka den Kampf gegen korrupte Politiker auf die Fahnen geschrieben.
Niederlande
Der niederländische Politiker Geert Wilders ist inzwischen ein alter Bekannter aus dem rechten Spektrum europäischen Politik. Ein Populist erste Güte, wettert der 45-jährige Chef der Partei für Freiheit (PVV) vor allem gegen den Islam. Er sieht sich in der Tradition des ermordeten Filmemachers Theo van Gogh. Wilders hatte im vergangenen Jahr durch die Veröffentlichung des Internet-Videos "Fitna", in dem er den Islam als Quelle des Terrorismus verunglimpfte, weltweit Proteste ausgelöst.
Die Europawahl war sein bislang größter Triumph. "Dies ist ein Tag der Hoffnung für die Niederlande" jubilierte Wilders am Donnerstagabend, als die Ergebnisse der Niederlande bereits vorlagen. Die PVV hatte sich zur zweitstärksten politischen Kraft aufgeschwungen. Damit bestätigte sich der absehbare Rechtsruck in dem einst als besonders liberal und europafreundlich geltenden Nordsee-Königreich. Wilders Partei gewann mit dem erklärten Ziel, die Einwanderung von Muslimen nach Europa zu stoppen und den Einfluss der EU auf ein Minimum zu beschränken, rund 15 Prozent der Stimmen und damit immerhin vier der 25 niederländischen EU-Sitze.
Italien
Die Lega Nord gehört zu den etablierten Parteien vom rechten Rand. Wie Ataka in Bulgarien gehört auch bei den Italiern die Abneigung gegen die EU nur zu einem ganzen Spektrum rechter Positionen. Neben der großen Partei von Silvio Berlusconi, der PDL, die auf 33,7 Prozent der Stimmen kam, gehörten die Regierungspartner der Lega zu den Wahlsiegern. Sie legten um fast zwei Prozentpunkte auf 10,5 Prozent der Stimmen zu.
Ursprünglich war die Lega Nord als politische Stimme des wirtschaftlich starken Nordens Italiens gegründet worden. Sie setzte sich für stärkere regionale Kompetenzen ein und in ihrer radikalsten Stimmen gar für eine Abspaltung vom armen italienischen Süden. Mit ihrer Entwicklung zur Regierungspartei hat sich das Spektrum der Lega Nord dann stark erweitert.
Sie kritisiert die EU als europäischen Superstaat und setzt dem ihrer Vorstellung eines "Europas der Regionen entgegen". Den Vertrag von Lissabon hat die Lega Nord im Parlament abgelehnt.