EM 2012 Hinterher ist man immer schlauer - Deutschland - Frankreich

"Allez les blancs!" war die Devise des Abends in Bremen. In Weiß spielte aber Gast Frankreich, da der DFB seine neue Frühjahrskollektion tragen ließ. Das können wir nicht unkommentiert lassen, haben uns aber auch gefragt, was Taktikfuchs auf Französisch heißt und noch vieles mehr: Sechs Thesen zum Länderspielabend.

1:2 gegen Frankreich - ein für viele überraschendes Ergebnis, für uns zumindest nicht sensationell. Aber das müsssen wir ja hinterher so sagen. Wie ein Barbesitzer den Absinth, um in einem landestypischen Bild zu bleiben, haben wir sechs Erkenntnisse dieses Klassikers herausdestilliert.

1) Wenn schon Tests, dann so

Wir sind seit Langem als Gegner übermäßiger Freundschaftskicks bekannt. Warum man inmitten der Rückrunde in Champions League, Bundesliga und Pokal auch noch ein Testspiel zwängen muss, zumal, wenn vor das Spiel kaum zwei Trainingstage passen, ist unklar. Aber wenn schon, dann lieber gegen hochkarätige Gegner, die einen anderen Gradmesser bedeuten als Kasachstan oder Aserbaidschan. Das hat der DFB in den letzten Jahren konsequent beherzigt und den Wintertermin für Spiele gegen Argentinien, Italien und jetzt Frankreich genutzt.

Das Spiel in Bremen hatte nicht ganz die Klasse des Dortmunder Spiels gegen Italien vor einem Jahr (was auch schwer gewesen wäre), aber es verdiente die Bezeichnung Härtetest gleichwohl. Und übrigens holte Deutschland aus den ersten Länderspielen der letzten vier Jahre insgesamt nur ein Unentschieden - was der allgegenwärtigen Euphorie vielleicht ganz gut tut. Und es bleibt dabei, dass Deutschland in Testspielen nur dann zur Bestform aufläuft, wenn es gegen die echte Weltelite geht. Mit Ausnahme der Spiele gegen die Niederlande und Italien war seit der WM kein Freundschaftsspiel wirklich überzeugend.

2) "Es gibt keine großen Gegner mehr?" - Oh doch

Die starken Leistungen der deutschen Auswahl zwischen 2006 und 2012 haben zu einem Paradigmenwechsel im Sprechen über deutsche Länderspiele geführt. Wollte ein jähzorniger Rudi Völler Waldemar Hartmann 2003 noch weis machen, Island sei ein Gegner auf Augenhöhe, so besteht jetzt die umgekehrte Gefahr. ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein fragte Oliver Kahn vor dem Spiel, wie lange es dauern werde, bis Frankreich wieder um einen großen Titel mitspielen könne - so, als sei die seit fast zwei Jahren ungeschlagene Equipe tricolore ein krasser Außenseiter, den das sichere Aus in der Gruppenphase erwartet.

Wo früher bei deutschen Länderspielen oft missmutige Atmosphäre herrschte (was einst vielleicht der einzig richtige Kern von Völlers überzogener Kritik gewesen war), so zeigen sich Medien und Fans inzwischen überzeugt davon, es gehe ohnehin nur gegen Spanien wirklich zur Sache. Diese Einstellung kommt wohl gemerkt nicht von Spielern oder Trainerstab, aber ob diese große Siegesgewissheit wirklich an der Mannschaft abperlt, wenn aus jedem freundlichen Lob einer internationalen Fußballpersönlichkeit gleich ein ausgewachsener Artikel gemacht wird? Nichts lieben Deutsche schließlich mehr, als von anderen Nationen gesagt zu bekommen, wie toll sie sind. Hoffen wir, dass die, auf die es ankommt, professionell genug sind, sich nicht darauf zu verlassen.

3) 4-2-3-1 gegen 4-2-3-1

Die größten Erfolge feierte Deutschland bei der WM mit einer eher auf Konter angelegten Spielweise. Gegner, die mit dem schnellen Umschalten der DFB-Elf nicht zurechtkamen, wurden systematisch zerlegt, ob es Australien, Argentinien oder England waren. Doch in Bremen traf Deutschland auf eine Mannschaft, die in wesentlichen Grundzügen genau so eingestellt war wie man selbst. Aus einer etwas defensiveren Grundformation heraus als die Deutschen schaltete Frankreich selbst sehr schnell um, so dass die gefährlichen Aktionen auf beiden Seiten aus ähnlichen Angriffszügen entstanden.

Durch das zentrale Mittelfeld war für Deutschland wenig zu machen, weil die beiden guten Sechser der Franzosen, Yohan Cabaye und Yann M'Vila, die Anspielstationen der Deutschen so konsequent zustellten, dass meist nur ein Rückpass möglich war. Schnelle Doppelpässe kamen praktisch nie zu Stande - zumal vorne Samir Nasri und Olivier Giroud oft schon den Spielaufbau in Person von Mats Hummels oder Holger Badstuber unterbanden.

Die besten Gelegenheiten für Deutschland ergaben sich oft nach eigenen oder fremden Standards - so nach einem Freistoß, als Toni Kroos links einen schnellen Antritt ansetzte und dann perfekt auf Badstuber flankte, der nur den Pfosten traf. Oder nach einer französischen Ecke, als die in Unterzahl agierenden Deutschen (André Schürrle wurde gerade behandelt) dennoch so schnell konterten, dass Miroslav Klose nach Anspiel von Mesut Özil zu einer guten Abschlusschance kam.

Die Lehre für die Gegner der deutschen Mannschaft jedenfalls ist klar: Anders als die Niederlande, die mit ihrem Versuch, ihr eigenes Spiel aufzuziehen, in Hamburg im November böse scheiterte, stellte Laurent Blanc sein System perfekt auf die deutsche Spielweise ein.

4) Schöne Auswärtstrikots - aber das ist ein Länderspiel und keine Werbeverkaufsveranstaltung

Die älteren Fernsehzuschauer werden sich vielleicht noch an die sagenumwobene Shopping-Sendung Amazing Discoveries erinnern, in der Perlen der Haushaltselektronik in 30-Minuten-Blöcken vorgestellt wurden. Wenn man etwa in Hamburg wohnt, wird nachts der Eurosport-Kabelkanal kurzerhand auf den QVC-Shoppingsender umgeroutet. Was wir damit sagen wollen: Das Gewerbe des Anpreisens von Konsumartikeln im Fernsehen hat eine ehrenwerte Tradition und seinen festen Platz.

Aber dieser Platz sollte nicht auf dem Rasen bei einem hochkarätigen Fußballspiel sein. Kann der DFB seine neue Away-Trikotreihe nicht per Werbespot oder ganzseitiger Anzeige in Kicker und Sport Bild an den Mann bringen? Sind wir die einzigen, die Deutschland gegen Frankreich als Spiel Weiß-Schwarz gegen Blau-Weiß-Rot sehen wollen? Aber wo wir gerade die "Früher war alles besser"-Leier angestimmt haben: Die Retro-grünen Auswärtshemden der Deutschen sehen wirklich gut aus und haben mehr Tradition als das komische Klinsmann-Rot. Und Frankreichs Rugby-ähnliche Kollektion wusste auch sehr zu gefallen - zumal man auf die Entfernung glaubte, Tottenham Hotspur spielen zu sehen.

5) Franck Ribéry war eine Randfigur- na und?

Als Schlüsselspieler Frankreichs wurde Bayerns Star vor dem Spiel in den Medien herumgereicht. Angesichts seiner tollen Leistungen in dieser Saison kein Wunder. Aber Frankreich gewann nicht wegen Ribéry, und nicht wegen individueller Klasse. Ribéry wurde meist von zwei Deutschen gedoppelt und bis auf eine Ausnahme ziemlich effektiv neutralisiert. Zur Pause blieb er in der Kabine. Aber bei aller Stärke von  Mathieu Valbuena und Samir Nasri - der französische Sieg in Bremen war vor allem ein Triumph der Taktik von Laurent Blanc, der nun seit 18 Spielen als Nationaltrainer ungeschlagen ist.

6) Weder Marco Reus noch André Schürrle konnten Thomas Müller und Lukas Podolskis Stammplatzansprüche erschüttern

Wie schon ausgeführt, war das Ergebnis weniger eine Frage des Personals als vielmehr eine der Taktik. Aber der zuletzt formschwache Müller und der verletzte Podolski müssen dennoch nach diesem Spiel nicht um ihre Rolle bei der EM zittern, denn weder Reus noch (der allerdings auch früh verletzte) Schürrle wussten ein funktionierendes Kombinationsspiel mit Mesut Özil aufzubauen. Der Madrider harmonierte noch besser mit Clubkollege Sami Khedira und mit Klose. 

Daniel Raecke

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