Interview mit Stefan Effenberg "Das Ziel der Bayern muss der Titel sein"

Am Mittwochabend steigt für den FC Bayern in Manchester das Spiel der Saison. Im Viertefinal-Rückspiel der Champions League gilt es, einen 2:1-Vorsprung zu verteidigen. Vor dem Match sprach stern.de mit Ex-Bayern Kapitän Stefan Effenberg über den Mythos Old Trafford, Wayne Rooney und die richtige Körpersprache.

Herr Effenberg, Bayern München hat in Old Trafford noch nie verloren. Spielt eine solche Statistik wirklich eine Rolle, oder blendet man so was als Spieler in der Realität eher aus?
Auf keinen Fall blendet man es aus. Das ist voll drin in den Köpfen der Spieler. Der FC Bayern hat bei Manchester United immer gut ausgesehen. Das ist ein großer Vorteil für das Spiel am Mittwochabend.

Was macht den Mythos Old Trafford aus? Sie haben dort ja selbst gespielt.
Es gibt als Fußballer nichts Schöneres, als in diesem Stadion auflaufen zu dürfen. Genau dafür lebt man als Profifußballer. Ich habe das immer genossen und versucht, solange wie möglich abzuspeichern. Camp Nou in Barcelona oder das Bernabeu-Stadion in Madrid, dazu Old Trafford, das ist in etwa eine Liga. Manchester ragt trotzdem noch ein Stückchen hervor. Die Fans sind außergewöhnlich. Die Unterstützung ist enorm, auch wenn das eigene Team mal schwächer spielt. Da gibt es schon Unterschiede zur Bundesliga. Was ich an den englischen Fans noch schätze: Sie begegnen dem gegnerischen Team immer mit viel Respekt. In England Fußball zu spielen, ist ein Geschenk.

Ist es für die Bayern eher ein Vorteil oder ein Nachteil, in diesem wichtigen Rückspiel auswärts antreten zu müssen?
Es ist für die Bayern ein Vorteil, da lege ich mich fest. Bayern München ist jederzeit in der Lage, in fremden Stadien den Gegner zu ärgern. Eine Mannschaft wie Manchester United kann man in Old Trafford wunderbar ärgern. Mal abgesehen davon: Mir hat das früher als Spieler nie etwas ausgemacht, ob zuhause oder auswärts.

Bayern hat zusätzlichen Rückenwind durch den Sieg gegen Schalke am Wochenende, Manchester hat am Wochenende das Topspiel gegen Chelsea verloren. Welche Bedeutung haben solche Psycho-Analysen aus der heimischen Liga?
Man kann die Wettbewerbe nicht vergleichen. Dennoch: Gerade nach dem Sieg in einem Topspiel wächst das Selbstvertrauen noch ein Stückchen schneller an als beispielsweise nach Erfolgen über Frankfurt oder Köln. Um es mal mit den Worten von Uli Hoeneß zu sagen...."The trend is our friend". Das Team hat zweimal auf Schalke gewonnen, es hat immer die richtige Antwort gegeben, wenn es darauf ankam. Das kann man von Manchester United derzeit nicht behaupten

Die Münchner starten mit einem 2:1-Vorsprung in das Rückspiel. Wie geht man als Mannschaft mit solch einem Ergebnis, das im Europapokal nicht ganz ungefährlich ist, um?
Zunächt mal muss die Ordnung stimmen, jeder muss auf dem Rasen seinen Platz einnehmen und sich strikt an seine Position halten. Insgesamt gilt es, wenig zuzulassen, aber eben auch mal selber im Spiel nach vorn Gefahr auszustrahlen. In solchen Partien darf sich keiner verstecken. Und selbst wenn die Bayern früh mit 0:2 zurückliegen sollten, haben sie immer noch gute Karten, das Match für sich zu entscheiden bzw. weiterzukommen.

Was für eine Körpersprache muss man in solch einer Partie als Bayern-Spieler an den Tag legen - vor dem Anpfiff?
Aufrecht, gerade, Brust raus, schon beim Warmmachen, das können die Jungs alle. Und sie haben sich diese breite Brust im Hinspiel ja auch erarbeitet. Wir sind hierher zu euch gekommen, um das Spiel zu gewinnen. Wir sind der Favorit, wir wollen! So denken am Mittwoch alle elf Bayern, die um kurz nach halb neun den Rasen von Old Trafford betreten werden. Und nur so geht es auch. Ich weiß, wovon ich spreche.

Im Hinspiel hatten die Bayern Anlaufschwierigkeiten. Was glauben Sie, mit welcher Taktik Louis van Gaal dieses Mal ins Spiel gehen wird?
Ich habe die Bayern im Hinspiel auch in der ersten Hälfte nicht schlecht gesehen. Rooney stand zweimal blank und hat ein Tor erzielt. Mehr war doch nicht. Die Bayern müssen versuchen, in Manchester ähnlich dominant aufzutreten wie im Hinspiel. Ich bin mir ganz sicher, dass van Gaal Robben zunächst auf der Bank lässt. Er war nicht fit zuletzt. Es wäre auch klug, nicht ganz so offensiv aufzutreten. Olic, Ribéry, Müller, die Läufer und Arbeiter sind gegen ManUnited gefordert. Die Außenbahnen müssen zugemacht werden. Wenn dann aber doch etwas schiefgehen sollte, hat van Gaal Robben immer noch in der Hinterhand und kann reagieren. Mein Tipp an van Gaal lautet also: Robben erstmal draußen lassen.

Wo liegen die größten Schwachstellen bei Manchester United?
Im Spiel nach vorn haben sie leichte Schwächen. Das hat man in München schon gesehen. Da war Rooney, aber dahinter kam nichts nach. Da sind die Bayern viel besser aufgestellt. Ansonsten hat diese Weltklasse-Truppe keine Defizite. Manchester United kann an einem guten Tag auch ohne Rooney jedes Team der Welt überrollen.

Apropos Wayne Rooney: Ferguson hat am Dienstag gesagt, dass er wegen seiner Knöchelverletzung nicht dabei sein kann. Was glauben Sie, ist das reine Taktik, um die Bayern zu verunsichern und am Ende spielt er dann doch?
Ferguson ist ein Fuchs. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Rooney nicht doch dabei sein wird. Und wenn er nur eingewechselt wird. Ferguson würde doch einen Tag vor dem Spiel niemals preisgeben, ob Rooney spielt oder nicht. Wie gesagt: Ich rechne mit seinem Einsatz. Wenn sich Rooney tatsächlich irgendwann warm machen sollte, dann würde man das bei den Bayern sehr genau realisieren. Es wäre eine gewisse Ablenkung da. Und schon hätte Ferguson sein Ziel erreicht.

Falls die Bayern Manchester United tatsächlich aus der Champions League schmeißen sollten, wäre das ein großer Erfolg. Oder etwa doch nicht? Schließlich sind die Ansprüche der Bosse an der Säbener Straße immer hoch. Man strebt nach Titeln - und lechzt nach internationalem Pokalsilber.
Und ich sage hier ganz deutlich: Für mich wären die Bayern nach einem Weiterkommen gegen Manchester United der Titelfavorit in der Champions League. Dann hätten die Bosse ihren silbernen Pokal. Natürlich wäre das Erreichen des Halbfinales auch ein Erfolg. Aber man muss doch sehen, dass danach Lyon oder Bordeaux warten würden. Und da wäre ein Ausscheiden wieder eine Enttäuschung. Insofern gilt: In Manchester einfach nur die Hausaufgaben machen und dann nach dem Titel greifen. Nichts anderes muss das Ziel sein.

Stefan Effenberg

Picture Alliance Stefan Effenberg, geboren am 2. August 1968 in Hamburg, war einer der besten Mittelfeldspieler der Welt und eine der großen Reizfiguren des deutschen Fußballs. In der Bundesliga bestritt er 370 Spiele für Borussia Mönchengladbach, Bayern München und den VfL Wolfsburg. Von 1992 bis 1994 spielte Effenberg in Italien für den AC Florenz. Mit Gladbach gewann der "Tiger" 1995 den DFB-Pokal, seine erfolgreichste Zeit hatte er allerdings beim FC Bayern. Mit dem Rekordmeister gewann Effenberg als Kapitän drei deutsche Meisterschaften, DFB-Pokal und 2001 die Champions Legaue und den Weltpokal. Effenberg lebt in Miami, USA, und arbeitet als Fußball-Experte für den TV-Bezahlsender "Sky" und für stern.de.

Viktoria Weber und Klaus Bellstedt

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