Das Interview mit Fussballweltmeisterin Birgit Prinz und Boxweltmeisterin Regina Halmich führten die stern-Redakteure Rüdiger Barth und Rainer Leurs
Frau Halmich, saßen Sie bei der Frauenfußball-WM jubelnd vor dem Fernseher?
HALMICH: Klar. Ich weiß doch, dass es die Fußballerinnen genauso schwer haben wie ich im Boxen. Ich habe mich gefreut, weil man gesehen hat: Da sind Frauen auf dem Platz, die kämpfen noch wirklich um Anerkennung. Die kicken, weil sie Freude daran haben. Natürlich auch, weil sie mit ihrem Beruf Geld verdienen wollen.
PRINZ: Das Problem ist: Bei den meisten ist es nicht der Beruf.
HALMICH: Das find ich wirklich knallhart. Dass die nicht davon leben können, das ist der Hammer.
PRINZ: Im Moment ist es so, dass wir fast nur die negativen Seiten des Ruhmes spüren. Wir werden dauernd erkannt, wir werden angequatscht. Sicher könnte ich zurzeit vom Fußball leben. Aber eine Zukunft aufbauen kann ich mir damit nicht.
Dabei sind Sie doch in aller Munde: Weltmeisterin, Weltfußballerin des Jahres - und dann kam auch noch das Angebot des italienischen Männerklubs AC Perugia.
HALMICH: Ich wusste, dass sie nicht zusagt. Ich hatte das im Gefühl.
Warum?
HALMICH: Es ist eine große Ehre, wenn man bei den Männern mitspielen soll. Es schmeichelt einem auch. Aber ich glaube, dass Birgit nur in einer Frauenmannschaft richtig glänzen kann.
Frau Prinz, Sie haben aber lange gezögert, ehe sie abgelehnt haben.
PRINZ: Es war finanziell einfach eine ganz andere Dimension, als ich sie je im Frauenfußball erreichen werde. Das ist ein Faktor, über den jeder nachdenken würde. Aber die Olympia-Vorbereitung steht an. Und in Perugia hätte ich höchstens mal kurz gespielt.
Bedeutet das: In Zukunft würden Sie ein solches Angebot annehmen?
PRINZ: Durchaus, ja. Also, wenn ich 32 wäre, dann hätte ich das bestimmt gemacht.
HALMICH: Aber es ist schon traurig, dass man überhaupt solche Überlegungen anstellen muss. Ich bin der Meinung, dass die Summen, die Männer und Frauen verdienen, zu weit auseinander klaffen. Das handelt sich ja nicht um eine Null. Das sind ja mehrere Nullen, und das kann nicht sein. Die Mädels müssen auch mit ihrem Sport aussorgen können.
Haben Sie denn ausgesorgt?
HALMICH: Nein. Ich verdiene gutes Geld, dafür musste ich immerhin auch acht Jahre boxen. Ich habe lange einen WM-Kampf nach dem anderen bestritten, die wurden vom DSF gezeigt - es hat kaum einen interessiert.
Unser Eindruck ist, dass der Show-Kampf gegen Stefan Raab der Wendepunkt in Ihrer Karriere war. Plötzlich merkten viele: Die kann ja wirklich boxen.
HALMICH: Ja, so traurig, wie das ist. Ich bin nie davon ausgegangen, dass das so große Wellen schlägt.
PRINZ: Ich fand das richtig klasse.
HALMICH: Da saßen auf einmal Leute vorm Fernseher, die sich normalerweise überhaupt kein Boxen anschauen. Und jetzt zeigt das ZDF meine Kämpfe.
Was war wichtiger: Dass Sie gegen einen Promi geboxt oder dass Sie einem Mann die Nase gebrochen haben?
HALMICH: Ich glaube, dass das einfach spannend war, Mann gegen Frau. Aber es ist schon kurios, wie man Aufmerksamkeit erzielt. Bei mir ist es mit Raab, bei ihr ist es mit dem Angebot aus Italien. Mit unserem Sport hat das nichts zu tun.
PRINZ: Eigentlich schade.
Wie ist das zu erklären?
HALMICH: Die Leute wollen gern Spektakuläres.
PRINZ: Es sind halt die Mann-Frau-Vergleiche, die sie reizen. Und das ist genau das, was wir im Fußball nicht wollen.
Weil Sie und die deutschen Weltmeisterinnen selbst gegen die B-Jugend vom VfB Stuttgart verlieren.
PRINZ: Das war schon immer so, nur interessiert es plötzlich die Leute.
HALMICH: Männer sind halt physisch stärker. Steffi hat auch nie gegen Boris gespielt.
PRINZ: Trotzdem wird verglichen - und immer nur in den so genannten Männerdomänen.
HALMICH: Aber das hat mit der Qualität nichts zu tun. Wir wollen auch Frauen bleiben, uns fraulich bewegen und von der Figur her fraulich sein. Das soll sich ja gar nicht ändern.
Haben Sie damals Nacktfotos machen lassen, um das zu dokumentieren?
HALMICH: Ich hatte einfach Lust dazu. Ich war längst Weltmeisterin. Es war nicht so, dass ich zeigen musste, dass ich eine Frau geblieben bin.
Denken Männer noch immer, Boxerinnen und Fußballerinnen sind Mannsweiber?
PRINZ: Da müsst ihr Männer euch hinterfragen und nicht wir uns.
Mit den Klischees herumschlagen müssen aber Sie sich.
PRINZ: Mittlerweile nicht mehr so sehr. Im Frauenfußball hat sich die Welt verändert. Das war auch schon vor der WM so. Wir werden nicht mehr abgewertet.
HALMICH: Außerdem hat jeder einen Fernseher, den er abschalten kann.
PRINZ: Eben. Wir brauchen nicht, dass jeder uns toll findet. Ich find auch nicht jede Sportart toll. Ich guck mir auch nicht rhythmische Sportgymnastik an. Deswegen ist deren Leistung trotzdem gut.
Gibt es einen Spieler, Frau Prinz, bei dem Sie sich technische Finessen abschauen?
PRINZ: Dafür brauche ich nicht zu den Männern zu gehen. Das ist schon wieder so die Machoschiene: Geh mal da hin, tätschel, tätschel.
Sie zu fragen ob Sie ein Vorbild haben, ist in unseren Augen kein Machogehabe.
PRINZ: Ich sage ja auch nur, ich gehe nicht zu Männern, um mir technisch was abzugucken. Ich schaue mir gern mal ein Männerspiel an. Ich finde zum Beispiel taktisch gut, was da läuft. Aber ich sehe das nicht nur im Männerbereich.
Die kanadische Eishockeyspielerin Hayley Wickenheiser, die beste der Welt, wechselte in die zweite finnische Liga der Männer, als es ihr zu langweilig wurde. Wird es bei Ihnen auch so kommen?
PRINZ: Ich fühle mich im Frauenfußball nicht unterfordert. In der Bundesliga haben wir in Frankfurt halt eine gute Mannschaft. Dass ich deswegen sagen sollte, jetzt muss ich mit Männern spielen, fände ich ziemlich großkotzig.
Den Boom des Frauenfußballs erklären sich manche damit, dass er im Tempo an Beckenbauers Zeiten erinnert. Gab es eine Männer-WM, die Sie als Kind geprägt hat?
PRINZ: Beckenbauers Fußball war vor meiner Zeit. Dafür bin ich bestimmt kein Experte. Ich kann mich am meisten an die 90er-WM erinnern. Da war ich 13. Wir haben die Partien als Kinder nachgespielt.
Wer waren Sie dabei ?
PRINZ: Das hat immer mal gewechselt. Das ist völlig normal, dass man die Großen nachspielt. Und als ich Kind war, gab's eben nur große Männer.
Gibt es jetzt große Frauen? Kickt jetzt vielleicht gerade ein Mädchen auf dem Bolzplatz und ist Prinz?
PRINZ: Die Mädchen, die heutzutage Fußball spielen, kennen uns schon. Gut wäre es aber, wenn die Mädchen auch Frauen als Vorbilder hätten und nicht nur Männer.
Dabei sagen Sie gern, Sie hätten gar keinen Bock, Ihren Sport zu vermarkten.
PRINZ: Das haben Sie aus dem Zusammenhang geholt. Klar, ich trenne gern mein Privatleben von der Fußballerin Birgit Prinz. Die Frage ist, wie weit man gehen will. Ob ich - sagen wir mal - Nacktfotos mache. Dadurch vermarkte ich mich selber. Aber nicht meinen Sport.
HALMICH: Das ist richtig.
Im Volleyball müssen die Frauen in knapper Spielkleidung antreten.
PRINZ: Wir wollen auch nicht im Sack-Trikot spielen - aber wir wollen deswegen keine Regeln. Wir möchten unseren Sport vermarkten, nicht unseren Hintern.
Es wäre in unserer Gesellschaft aber leichter, den Hintern zu vermarkten.
PRINZ: Ja. Aber man hat ja bei der WM gesehen, dass es auch anders geht.
HALMICH: Man muss sich treu bleiben. Auf Sicht setzt sich die Leistung durch.
Ihren ersten WM-Kampf 1995 gegen Yvonne Trevino, Frau Halmich, verloren Sie in einer regelrechten Ringschlacht. Wie haben Sie das verkraftet?
HALMICH: Da habe ich so dermaßen auf den Deckel gekriegt - der Schmerz saß sehr tief. Das hat mich so richtig mit meinen 19 Jahren auf den Boden gesetzt. Heute glaube ich, dass diese Niederlage der Schlüssel für meinen starken Willen ist, für meinen Erfolg. Weil ich mir in dem Moment gesagt habe: Das will ich nie wieder haben. Nie wieder. Das Schlimmste war, wie ich in der Presse zerrissen wurde. Das war in dem Alter grausam.
Vitali Klitschko gegen Lennox Lewis war ein ähnlicher Kampf - und wurde groß gefeiert.
HALMICH: Ich mache mir auch immer Gedanken, hoffentlich gibt es eine tolle Quote und einen guten Kampf. Man macht sich Gedanken und weiß, man ist in der Verantwortung. Man will den Millionen, die einschalten, das Beste zeigen.
Sie denken bei einem Kampf an die Quote?
HALMICH: Das ist jetzt mein Problem, ja. Sportlich hätte ich mir für den Kampf in meiner Heimatstadt Karlsruhe schon eine leichtere Gegnerin gewünscht. Johanna Pena Alvarez aber ist sehr stark.
Die Dominikanerin gilt als K.-o.-Schlägerin.
HALMICH: Von 14 Siegen hat sie zehn durch K.o. gewonnen. Die kann im Rückwärtsgang und im Angriff boxen. Was will man mehr? Ich gehe von einem ganz unangenehmen Stil aus.
Wird Ihre Familie am Ring sein?
HALMICH: Meine Eltern können es nicht ertragen, mich kämpfen zu sehen. Das wäre auch so, wenn ich ein Mann wäre. Mein Vater bekommt richtig Herzschmerzen, meine Mutter Durchfall. Zu Hause bleibt sogar der Fernseher aus.
Wenn Spitzensportlerinnen selbst eine Familie gründen und ein Kind bekommen, bedeutet es oft das Karriereende.
HALMICH: Wenn ich mal Mutter bin, steige ich nicht mehr in den Ring. Ich würde das Risiko nicht mehr eingehen. Aber akut ist ein Kinderwunsch bei mir nicht. Ich habe noch keine Familienplanung.
PRINZ: Es muss die Situation einfach passen, das ist nicht sportspezifisch. Wenn eine Frau im Beruf etwas anstrebt, dann steht sie immer vor der Frage: Passt das jetzt? Aber ich muss sowieso erst mal den richtigen Mann finden.
Gibt es Mütter im Damen-Nationalteam?
PRINZ: Bei uns nicht. Aber bei den Amerikanerinnen gibt es drei Mamas. Da reisen die Männer sogar mit.