Auf dem anstehenden Brüsseler Gipfel droht ein Crash zwischen den Euro-Staaten und den übrigen Ländern der EU. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte am Mittwoch im Einklang mit Frankreich ihre Forderungen nach Änderungen der EU-Verträge, um einklagbare Sanktionen gegen notorische Haushaltssünder durchsetzen und sie zu nachhaltiger Sparpolitik zwingen zu können.
Erklärtes Ziel der zwei Länder ist es, einen breiten Konsens aller Mitglieder der Europäischen Union zu erzielen. Notfalls wollen sie jedoch einen Alleingang der 17 Euro-Staaten in Kauf nehmen. Einige EU-Partner und -Institutionen hätten den Ernst der Lage offenbar noch nicht verstanden, erklärten enge Vertraute Merkels.
Widerstand gegen die deutsch-französischen Pläne kommt insbesondere aus Großbritannien. Premierminister David Cameron kündigte ebenso wie die Kanzlerin und Frankreichs Regierungschef Nicoals Sarkozy an, hart zu bleiben. "Weder Nicolas Sarkozy noch Angela Merkel werden den Verhandlungstisch bei diesem Gipfel verlassen, ohne dass es ein kraftvolles Ergebnis gibt", sagte der Pariser Finanzminister Francois Baroin.
Die Bundesregierung warnte die anderen EU-Staaten vor "Tricks und Trickschen". Die hohen Erwartungen der Märkte und der Öffentlichkeit dürften nicht durch "faule Kompromisse" enttäuscht werden, hieß es aus dem engsten Umfeld der Kanzlerin.
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Notfalls ein weiterer Gipfel vor Weihnachten
Deutschland machte klar, bis ins Wochenende zu verhandeln und bei Nichteinigung einen weiteren Gipfel vor Weihnachten anzusetzen, falls mehr Überzeugungsarbeit einiger Partner nötig sei. Cameron wird nach eigenen Worten mit "Bulldoggen-Temperament" nach Brüssel reisen. "Unsere Kollegen in der EU müssen wissen, dass wir keiner Vertragsänderung zustimmen werden, die unsere Interessen nicht schützt."
Cameron sorgt sich um den Finanzplatz London. "Ich will sicherstellen, dass wir mehr Macht und Kontrolle im Vereinigten Königreich haben, diese Dinge zu bestimmen", sagte er der Zeitung "The Times". "Unsere Forderungen werden praxisorientiert und fokussiert sein. Aber die Länder der Euro-Zone sollten das nicht als Mangel an Härte missverstehen."
Merkel und Sarkozy schickten am Mittwoch ihre Vorschläge an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und die anderen EU-Staaten. Sie wollen einen Vertrag mit verbindlichen nationalen Schuldenbremsen schon bis Frühjahr durchsetzen.
"Berlin nicht die Fehler von Athen und Rom anhängen"
Widerstand kommt auch aus Tschechien und Schweden. Beide Länder warnten in der "Zeit" vor Beschlüssen, die zu Referenden führen könnten. "Wollen wir wirklich in einem Moment, da das Ansehen des europäischen Projekts an einem Tiefpunkt ist, neue Abstimmungen in den einzelnen Ländern wagen? Das finde ich sehr kühn", sagte Prags Außenminister Karel Schwarzenberg.
Sein Stockholmer Kollege Carl Bildt warnte: "Soll hingegen künftig etwa der Europäische Gerichtshof die Entscheidungen der einzelnen Parlamente kontrollieren, dann werden Grundsätze der parlamentarischen Demokratie infrage gestellt." Er betonte aber auch: "Man kann Berlin nicht die politischen Fehler von Athen und Rom anhängen."
Der EU-Gipfel soll mit weitreichenden Beschlüssen dafür sorgen, dass das Vertrauen der Investoren in die Euro-Zone wiederkehrt. Am Montag hatte die Ratingagentur Standard & Poor's damit gedroht, 15 Euro-Staaten herabzustufen. Damit sind die "AAA" von Frankreich und Deutschland in Gefahr mit der Folge, dass auch das Top-Rating für Anleihen des Schutzschirms EFSF auf dem Spiel steht, dem Herzstück der Euro-Rettung.
Angesichts des anhaltenden Widerstands einiger EU-Partner äußerte sich die Bundesregierung pessimistischer, dass eine Einigung aller 27 EU-Regierungen erzielt werden kann. Verweigern sich Großbritannien oder andere Staaten tatsächlich, streben Deutschland und Frankreich einen "Euro Plus"-Vertrag an. Dazu gehörten die 17 Euro-Staaten sowie interessierte Nicht-Euro-Länder, die sich wesentlich verbindlicheren Regelungen bei der Haushaltsdisziplin unterwerfen wollten, hieß es in Berliner Regierungskreisen.
"Das Kräftemessen zwischen Politik und Märkten wird weitergehen"
Marktteilnehmer erwarten maximal eine Atempause für die Euro-Staaten, jedoch nicht die angestrebte Kehrtwende. "Die Skepsis wird anhalten, und das Kräftemessen zwischen Politik und Märkten wird weitergehen", sagt etwa Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der Dekabank.
Grund für den Pessimismus ist die anhaltende politische Kakofonie, die den Schluss zulässt, dass die Spitzenrunde erneut nichts Durchschlagendes beschließen wird, was die Furcht vor dem Zerfall der Währungsunion vertreiben kann. Der Gipfel wird weder die Abschreckungswaffe gigantischer Summen zur Finanzierung hoch verschuldeter Mitgliedsländer beschließen. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich klar dagegen ausgesprochen. Noch wird das Treffen eine gemeinsame Haushaltspolitik verkünden, die neue Schuldenexzesse wirksam verhindert.
Kernelement der von Paris und Berlin angestrebten Vertragsänderung soll nach deutsch-französischem Willen sein, den Rechtsrahmen an zwei Stellen entscheidend zu stärken, um Haushaltsdisziplin für alle Euro-Staaten zu erzwingen. So soll der Vertrag gemeinsame Regelungen für nationale Schuldenbremsen festlegen, die dann jeweils nationalen Verfassungsrang erhalten sollen.
"Das beste wäre, keine Zahl mehr zu nennen"
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll auf Antrag von EU-Kommission oder Mitgliedstaaten prüfen können, ob die nationalen Regeln umgesetzt werden. Außerdem soll bei einem Verstoß gegen die Defizitobergrenze im jährlichen Budget von drei Prozent ein automatisches Defizitverfahren in Gang gesetzt werden, das nur noch von einer qualifizierten Mehrheit von Mitgliedsstaaten gestoppt werden könnte. "Damit würden wir einen sehr großen Schritt vorankommen", heißt es aus dem Kanzleramt.
Das neue Regelwerk könnte in den noch nicht umgesetzten Vertrag über einen dauerhaften Euro-Rettungsmechanismus ESM aufgenommen werden, der spätestens Mitte 2013 das aktuell scharf gestellte Schutzschild EFSF ablösen soll. Doch auch darüber gibt es anhaltenden Streit in Europa, nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters auch zwischen Deutschland und Frankreich.
Nach Pariser Vorstellung soll beim ESM keine konkrete Summe mehr zum verfügbaren Kreditvolumen festgelegt werden. "Das beste wäre, keine Zahl mehr zu nennen, so dass der Markt keine Grenze mehr zum Testen hätte", zitierte Reuters "eine mit den Beratungen vertraute Person". Die Bundesregierung beharrt dagegen deutschen Regierungskreisen zufolge darauf, die Kreditsumme wie schon früher vereinbart auf 500 Mrd. Euro zu begrenzen. Diese Position vertritt auch die Slowakei, wie Finanzminister Iwan Miklos im Parlament in Bratislawa sagte.
Sorge um Kapazitäten des ESM
Deutschland und Frankreich hatten vorgeschlagen, den Krisenmechanismus ESM schon Ende 2012 und damit ein halbes Jahr früher einzuführen. Bisher ist vorgesehen, dass der vorläufige Rettungsfonds EFSF mit seinem Gesamtvolumen von 440 Mrd. Euro im ESM aufgeht. Das Volumen würde dann nur um 60 auf insgesamt 500 Milliarden Euro erhöht. Vom EFSF sind aber jetzt schon rund 190 Mrd. Euro verplant. Sollte der Fonds in den kommenden Monaten Euro-Staaten noch mehr mit Krediten versorgen müssen, wäre die verfügbare Summe zum Zeitpunkt des Wechsels zum ESM noch geringer.
Einige Euro-Länder treibt die Sorge um, dass der ESM dann kaum noch Kapazitäten zur Unterstützung angeschlagener Euro-Länder hätte. In der Diskussion ist deshalb, die noch verfügbaren Mittel des EFSF später wieder auf 500 Mrd. Euro aufzufüllen.
Deutschland als größter Bürge und Zahler der Rettungsinstrumente, blockt aber jede Debatte über eine Aufstockung der Mittel ab. "Es bleibt auf jeden Fall bei einer Obergrenze von 500 Mrd. Euro", hieß es in deutschen Regierungskreisen.