Willkommen im Porsche-Land. Hier in Zell am See, rund 60 Kilometer südlich von Salzburg, begann der Aufstieg der kleinen Sportwagenfirma nach dem Zweiten Weltkrieg, hier hat die Familie bis heute ihren Stammsitz auf einem Berghof namens Schüttgut, und hier sind auch die Altvorderen aus der Auto-Dynastie in einer privaten Kapelle zur letzten Ruhe gebettet.
Am vergangenen Wochenende ging es im beschaulichen Erholungsort allerdings alles andere als ruhig zu. Ferdinand Porsche jr., der Ur-Enkel des Patriarchen Ferdinand Porsche (1875-1951) hatte zusammen mit Freunden und mit der Unterstützung seines Vaters Wolfgang die Neuauflage der legendären Eisrennen organisiert, mit denen in den 1950er Jahren in Zell am See gewissermaßen auch die Motorsportgeschichte des Hauses Porsche begonnen hatte.
"GP Ice Race" nennt sich das 2019er-Revival des legendären Events, das damals tatsächlich auf dem zugefrorenen Zeller See stattfand, jetzt aber auf einen eigens präparierten, 600 Meter langen Rundkurs verlegt wurde. In Zeiten des Klimawandels bietet der Zeller See keine ausreichend sichere Basis. Frostig wurde es dann doch noch: bis auf minus 15 Grad sank das Thermometer tagsüber.
Zwei Tage lang fegten bei klirrender Kälte und strahlendem Sonnenschein mit Spikereifen bestückte Rennwagen der unterschiedlichste Kategorien über die spiegelglatte Piste. Vom Buggy-Eigenbau über Oldtimer und Youngtimer bis zum brandneuen Porsche Cayman GT4 Rallye war alles vertreten, und es wurden duchaus auch andere Marken als Porsche zum Ice Race zugelassen. So bollerte zum Beispiel auch ein schwerer Achtzylinder-Rennwagen aus der US-Nascar-Serie durch die engen Kurven, erwies sich allerdings als fast unfahrbar. Macht nichts. Rund 8.000 begeisterte Zuschauer konnten Stars wie Walter Röhrl, Hans-Joachim Stuck, Mark Webber und Timo Bernhard aus nächster Nähe beobachten, wie sie Demorunden absolvierten und dabei wild am Lenkrad kurbelten.
Premiere des neuen Porsche 911
Das historisch angehauchte Spektakel war genau die richtige Kulisse für die Europapremiere des neuen Porsche 911. Denn auch bei der mittlerweile achten Generation des Sportwagens legt Porsche Wert auf Tradition. Der 911 ist und bleibt der Kern der Marke, auch wenn das Unternehmen gerade sehr viel Geld in neue, rein elektrisch betriebene Modelle investiert.
Auch nach 55 Jahren wird die Verwandtschaft mit dem Ur-Modell von 1963 unablässig betont. Das liegt vor allem am anachronistischen Grundkonzept, das die Stuttgarter stoisch beibehalten: Die Porsche-"Ikone" (Vorstandschef Oliver Blume) hat den Motor hinten und den Kofferraum vorn, was immer noch die eigentliche Herkunft verrät. Der Vorgänger des 911, der Porsche 356, wurde in den 1950er Jahren vom Volkswagen Käfer abgeleitet, der wiederum einst von Ferdinand Porsche entwickelt worden war. Und an dessen Markenzeichen, dem Heckmotor, hält man nun als einzige Marke weltweit seit 70 Jahren unbeirrt fest.
An den Käfer denkt man allerdings zuletzt, wenn man im Cockpit des Neuen Platz nimmt. Seit den Zeiten des Rundtacho, der als einziges Instrument im blechernen VW-Armaturenbrett prangte, hat sich doch einiges geändert. Auch der 911 ist jetzt endgültig im Digitalzeitalter angekommen, mit einem riesigen Touchscreen und digitalen Instrumenten im Blickfeld des Fahrers, deren Anzeigen je nach Bedürfnissen und Einsatzzweck umgestellt werden können. Einzig der Drehzahlmesser direkt in der Blickachse des Fahrers ist noch analog – auch das eine Reminiszenz an die glorreiche Vergangenheit, denn der Drehzahlmesser war bisher bei allen Porsche das zentrale Element.
Das Multifunktions-Lenkrad hingegen ist eindeutig Zukunft. Unter anderem lassen sich hier mit einem kleinen Wählrad die verschiedenen Fahrwerks-, Getriebe- und Motoreinstellungen vorwählen, je nachdem, ob man lieber im Sport-, Sport Plus- oder im etwas sanfteren Comfort-Modus fährt. Neu ist die Wählradstellung "Wet" für sichereres Fahren auf nassem Untergrund. Bei 450 PS (331 kW), die der Carrera S anbietet, bestimmt keine schlechte Idee.
Die von uns gefahrene Version, ein silberfarbenes Coupé mit Allradantrieb (Carrera 4 S), leistete sich auf den kurvigen Bergstrecken rund um Zell am See keine Ausrutscher. Während die 911er früherer Jahrzehnte gefürchtete Heckschleudern waren, ist davon heute nichts mehr zu spüren. Dank elektronischer Helferlein hat man das Fahrverhalten weitgehend perfektioniert. Dazu einige Daten: Sechszylinder-Boxermotor mit zwei Turboladern, Doppelkupplungsgetriebe PDK mit acht Gängen, elektronisch variabel geregelte Verteilung der Antriebskräfte auf Vorder- und Hinterachse, ein nochmals verfeinertes, softwaregesteuertes aktives Fahrwerk (PASM - Porsche Active Suspension Management). Gegenüber der Vorgängergeneration wurde die Spur der Vorderachse noch einmal deutlich verbreitert, was dem flachen Flitzer nicht nur ein kompakteres Aussehen, sondern auch ein spürbar stabileres Fahrverhalten beschert. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h dauert laut Werksangaben im Sport Plus-Modus 3,4 Sekunden, auch beim Beschkeunigen aus niedrigen Drehzahlen entwickelt der 911 eine unbändige Kraft, und die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 306 km/h, die wir allerdings nicht ansatzweise ausgeschöpft haben.
Das muss auch nicht sein. Man kommt auch so ausgesprochen zügig voran und fühlt sich in den auf jede erdenkliche Weise verstellbaren Sportsitzen sehr gut aufgehoben. Allein sie dürften als Sonderausstattung erheblich teurer sein als der gesamte Volkswagen Käfer in den 1960er Jahren, der damals etwa 5.000 Mark (2.500 Euro) kostete. Damals hätte man sich also – einer etwas schiefen Rechnung zufolge - etwa 50 VW Käfer für den heutigen Preis des 911ers kaufen können. Die Preise beginnen für den Carrera S bei rund 120.000, für den 4 S bei rund 128.000 Euro und lassen sich durch Extras wie intelligente LED-Matrix-Scheinwerfer, Spurassistent, Spurwechselassistent, Nachtsichtassistent mit Wärmebildkamera, Parkassistent, Hinterachslenkung, Surround-Soundsysteme und vieles andere mehr beliebig nach oben treiben.
Weder Kosten noch Mühen gescheut
Dem Anlass entsprechend hatte Porsche weder Kosten noch Mühen gescheut und den neuen 911er am Vorabend des Ice Race per Helikopter auf die Terrasse einer Berghütte transportieren lassen. Dort wurde er dann unter den Augen von Volkswagen-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche, seinem Sohn Ferdinand sowie Porsche-Produktionsvorstand Albrecht Reimold den anwesenden Gästen bei heftigen Minusgraden präsentiert. Auf die Frage, wie ihm das neue Modell gefalle, meinte Wolfgang Porsche, der zugleich Miteigentümer der Sportwagenfirma ist, nur: "Gut". Es klang wie ein Lob. Er hoffe, sagte Wolfgang Porsche noch, dass es noch lange Autos seines Namens mit Verbrennungsmotor geben werde. Dies wohl mit Seitenblick auf das ehrgeizigste Projekt des Unternehmens, die rein elektrisch angetriebene Sportlimousine Taycan, die Porsche noch in diesem Herbst auf den Markt bringen will. Damit beginnt auch für den Traditionshersteller ein neues Zeitalter. Wolfgang Porsche zeigte sich begeistert über die Performance des Prototypen, den er vor einiger Zeit fahren konnte. Die Historie hält man dennoch weiter in Ehren.
Auf das absolute Gegenmodell zum Über-Sportwagen 911 des Jahres 2019 konnte man dann am Tag nach der Premiere beim GP Ice Race treffen: Den historischen Eigenbau namens "Fetzenflieger" des österreichischen Rennfahrers Otto Mathé aus den 1950er Jahren. Das handgefertigte Porsche-Derivat war definitiv eine der Hauptattraktionen des Events, präsentiert vom Hamburger Automuseum Prototyp. Pilot und "Fetzenflieger"-Mitbesitzer Oliver Schmidt ließ es sich sogar nicht nehmen, die Piste mit einem Skifahrer im Schlepptau zügig zu umrunden. "Skijöring" nennt man diesen winterlichen Brauch, der zu Mathés Zeiten mit waghalsigen Rennen gepflegt wurde.
Mit dem minimalistischen Gefährt, das aus einem notdürftig mit Aluminium verkleideten Rohrrahmen besteht, von einem 130-PS-Porschemotor angetrieben wird und eher an ein demoliertes Rennkart erinnert, lehrte Otto Mathé bei den historischen Zeller Eisrennen vor mehr als 60 Jahren die Konkurrenz regelmäßig das Fürchten - und das, obwohl er nur den linken Arm zum Schalten und Lenken benutzen konnte. Der rechte war seit einem Motorradunfall gelähmt, weswegen er eine spezielle Ein-Hand-Technik entwickelte, während des Schaltens das Lenkrad mit den Beinen einzuklemmen.
So wurde der unverwüstliche Mathé zur Legende, ganz ohne Doppelkupplungsgetriebe, Servolenkung oder "Wet"-Modus. Das sind die Heldensagen, die Porsche-Fans in aller Welt so lieben, und die aus der Marke den Mythos machen.
Im nächsten Jahr wollen die Macher des GP Ice Race die alten Zeiten in Zell am See wieder hochleben lassen. Soviel steht jetzt schon fest: Die Reise wird sich wieder lohnen.