Nur Bares ist Wahres. Dieser Satz gilt immer noch in Deutschland: Das Klimpergeld mag zwar gelegentlich lästig sein und große Scheine tragen die meisten auch lieber nicht im Portemonnaie umher, doch verzichten wollen die meisten Deutschen auf das geliebte Bargeld nicht. Schon einige Anbieter haben versucht, diese Liebe abzukühlen, darunter Banken und Mobilfunkanbieter. Sie alle sind bislang gescheitert. Nun wagt Apple einen weiteren Anlauf: In dieser Woche startete in Deutschland der Bezahldienst Apple Pay, vier Jahre nach dem Start in den USA, ein halbes Jahr nach dem Start des Konkurrenten Google Pay.
Bei der ersten Nutzung fällt auf: Apple Pay ist verdammt simpel. Um seine Supermarkteinkäufe zu bezahlen, muss man nichts weiter tun, als das iPhone oder die Apple Watch an das Kassenterminal zu halten. Eine Handbewegung, es macht Pling, schon ist die Rechnung beglichen. Das Ganze ist spektakulär unspektakulär. Doch genau diese Einfachheit soll den Bezahldienst zum Erfolg machen, davon ist Jennifer Bailey überzeugt. Der stern traf Apples Senior Vice President für Internet Services und Apple Pay bei der Präsentation in München.

Apple-Pay-Chefin: "Den Deutschen ist Privatsphäre sehr wichtig"
"Als wir Apple Pay entwickelt haben, fokussierten wir uns auf drei Dinge: Schlichtheit, Sicherheit und Privatsphäre", erklärt Bailey. Sie hält kontaktloses Bezahlen für komfortabler als Bargeld, schließlich habe man das Smartphone oder die Smartwatch jeden Tag bei sich. Dass sie mit Deutschland ein besonders herausfordernder Markt erwartet, ist ihr bewusst: "Ich weiß, dass den deutschen Nutzern Privatsphäre sehr wichtig ist. Wir haben Apple Pay so aufgebaut, dass wir nicht wissen, wann Sie was wo gekauft und wie viel sie dafür bezahlt haben." Apple selbst betont, zu keinem Zeitpunkt Daten des Bezahlvorgangs auf seinen Servern zu speichern, ganz im Gegensatz zu Google (hier können Sie das Kleingedruckte nachlesen).
Dass viele Deutsche noch immer zaghaft beim Bezahlen mit dem Smartphone sind, hat einer Untersuchung der Bundesbank zufolge einen eindeutigen Grund: Verbraucher vertrauen der Technik nicht, halten sie sogar für unsicher. Dabei ist diese Sorge unbegründet. Banken und Zahlungsdienstleister wie Mastercard raten sogar zum kontaktlosen Bezahlen.
"Das mobile Bezahlen ist eigentlich eine kontaktlose Kartenzahlung, nur eben über das Smartphone. Die Kartendaten werden dabei verschlüsselt, in Apple Pay ist eine virtuelle Kartennummer hinterlegt", sagt Matthias Hach, Vorstandsmitglied der comdirect, die zu den ersten zwölf teilnehmenden Banken in Deutschland gehört. Zudem muss jede Zahlung mit biometrischen Merkmalen - dem Gesicht oder einem Fingerabdruck - oder einer PIN bestätigt werden, was die Sicherheit weiter erhöht.

Apple Pay: Mehr als nur eine Geldbörse
Praktisch ist das Bezahlen mit dem Smartphone auf jeden Fall, eine Revolution ist es aber nicht mehr. Denn inzwischen können Kunden auch mit einer Girocard kontaktlos an der Kasse zahlen. Das geht genauso flink wie mit dem Telefon, das man ja auch erstmal aus der Tasche ziehen muss.
Apple muss deshalb mehr als eine digitale Geldbörse bieten: "Langfristig wollen wir das Portemonnaie ersetzen. Und wir unternehmen einiges, um das zu bewerkstelligen", sagt Bailey. In Berlin und Osnabrück sei der Bezahldienst etwa in Nahverkehr-Anwendungen integriert, ebenso bei Flixbus und Mytaxi. Wann weitere Städte und Dienste folgen, ist nicht bekannt. Doch die Apple-Managerin verspricht: "Wir werden immer mehr Wege bieten, um die Menschen zu ermutigen, irgendwann ihr Portemonnaie zuhause zu lassen und Dinge mit ihrem Smartphone zu erledigen."
Das digitale Stadion
Wie das im großen Stil aussieht, kann man ab 19. Dezember beim Heimspiel des FC Bayern München gegen RB Leipzig begutachten. "Wir haben in den letzten Jahren kontinuierlich in die Modernität und Digitalisierung des Stadions investiert", sagt Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern. Sein Verein ist seit Jahren Partner von Apple, nun erreicht die Zusammenarbeit das nächste Level. "Nun kann man an allen Kiosken und Shops mit Apple Pay, Debit- und Kreditkarten bezahlen". Nutzer ohne iPhone können auch per Google Pay oder einer beliebigen Kredit-, Debit- oder Girocard mit Kontaktlos-Funktion bezahlen. Nur in den Blöcken selbst kann die Brezel oder das Bier weiterhin nur mit Bargeld bezahlt werden. Noch. Das Problem will der Verein im kommenden Jahr angehen.
Apple hat den Nahfunk-Chip (NFC) des iPhones aber noch für eine andere Funktion geöffnet: "Ab sofort wird es sogenannte NFC-Tickets geben", erklärt Rummenigge. Ähnlich wie bei Bordkarten von Fluggesellschaften kann man dann mit dem iPhone direkt am Einlass einchecken - ein Novum in der Bundesliga. Das sei nicht nur einfacher, sondern "sorgt für mehr Sicherheit. In letzter Zeit hatten wir oft Ärger mit gefälschten Schwarzmarkt-Tickets. Das ist mit dem neuen System ausgeschlossen. Dadurch wird es für Fans sicherer und einfacher, in das Stadion zu kommen." Noch gibt es einige offene Fragen, etwa zur Weitergabe von gekauften Tickets, doch grundsätzlich dürfte die Technik für die Ticket-Industrie, allen voran für Konzertveranstalter, sehr spannend sein.
Weitere Banken müssen kommen …
Das Potenzial von Apple Pay ist groß, der Start vielversprechend. Die Deutsche Bank verzeichnete am ersten Tag laut eigenen Aussagen teils hohe dreistellige Anmeldungen für den Bezahldienst - pro Minute. Auch die Hypo Vereinsbank spricht von einer großen Nachfrage und rechnet mit einer signifikanten Neukunden-Gewinnung. Sollte das Interesse anhalten, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis andere Banken nachziehen.
Das ist auch dringend nötig, wenn Apple Pay aus der Nische in den Massenmarkt vordringen will. Denn bislang sind nur wenige Geldinstitute an Bord. Nicht dabei sind etwa die Sparkassen, Volksbanken oder Direktbanken wie ING, die allesamt in Deutschland sehr viele Kunden haben. iPhone-Nutzer dieser Banken müssten auf bankenunabhängige Dienste wie Boon ausweichen, doch so viel Aufwand dürften sich nur die wenigsten machen. Apple muss nun Überzeugungsarbeit leisten. Immerhin: Im kommenden Jahr sollen weitere Banken wie die DKB, ING und Consors dazukommen.
Apple-Managerin Bailey schloss zudem nicht aus, dass künftig auch die in Deutschland populäre Girocard (früher als EC-Karte bezeichnet) unterstützt wird: "Wir schauen uns immer auch die vorhandenen Bezahlsysteme in den Ländern an." Wann es soweit ist, ist allerdings unklar. Auf Nachfrage des stern erklärten einige Banken, dass sie intern den Sommer oder gar Herbst 2019 anpeilen. Am Ende werden die Kunden entscheiden, ob ihnen Mobile Payment genug Mehrwert bietet, ob sie die Bank wechseln, den Handyanbieter oder einfach abwarten.

… und neue Anreize
Um das Portemonnaie abzulösen, muss Apple sein Angebot in vielfacher Hinsicht ausbauen. Dazu zählen neben weiteren Nahverkehrsdiensten auch die Integration der wichtigsten Theater, Kinoketten und Event-Locations. Ein überzeugendes Argument könnte zudem die Integration von Treueprogrammen wie Payback, die Cinemaxx-, Starbucks und Subway-Bonuscard oder Ikea Family sein. Wenn Nutzer mit Apple Pay an der Kasse zahlen, würden dann automatisch die entsprechenden Bonuspunkte gutgeschrieben werden. Das wäre tatsächlich bequemer als mit mehreren Karten an der Kasse herumzuhantieren, die man ja auch erst einmal dabeihaben muss.
In den USA, Japan oder Australien arbeitet der Konzern bereits mit großen Handelsketten zusammen. “Für Deutschland können wir aber noch keine Partner in Bezug auf Apple Pay ankündigen”, erklärt Bailey. Man wolle langfristig aber auch hierzulande entsprechende Dienste unterstützen. Der bekannteste ist Payback mit mehr als 30 Millionen aktiven Nutzern.
Apple Pay sorgt für Wandel im E-Commerce
Was oft vergessen wird: Apple Pay funktioniert nicht nur im stationären Einzelhandel, sondern auch online - allerdings aus Sicherheits-Gründen nur im Safari-Browser. Shops können den Bezahldienst direkt integrieren, sodass man auf dem iPad oder Mac mit einem Klick bezahlen kann. Dadurch spart man sich das Anlegen eines neuen Kundenaccounts, was wiederum die Hemmschwelle zum Bestellen senkt. Händler können so neue Zielgruppen erreichen, allerdings wird auch die Kundenbindung erschwert. Denn wer mit Apple Pay zahlt, legt vermutlich gar keinen Kunden-Account mehr an. Hier müssen Händler langfristige Anreize liefern, es dennoch zu tun.
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