Ein mutmaßlicher chinesischer Spionageballon über den USA, ein zweiter laut Pentagon über Lateinamerika: Nun haben die USA den Ballon über ihrem Territorium vor der Küste des Bundesstaats South Carolina abgeschossen – obwohl Peking versicherte, es habe sich nur um einen Wetterballon gehandelt.
Der Überflug des Ballons von der Größe dreier Busse war vergangenen Donnerstag publik geworden. "Ziel des Ballons ist ganz klar Spionage und sein aktueller Weg führt ihn über sensible Stützpunkte", hatte ein Pentagon-Vertreter gesagt. Zu diesem Zeitpunkt schwebte der Ballon über dem Bundesstaat Montana, wo sich unter anderem Luftwaffen-Stützpunkte und unterirdische Atomraketen-Standorte befinden. Später flog er in Richtung Osten weiter.
Ein Ballon, um ein anderes Land auszuspionieren? In Zeiten von Satelliten und Drohnen klingt das sehr altmodisch. Einem US-Experten zufolge sind Ballons allerdings ein wertvolles Spionagewerkzeug – gespickt mit künstlicher Intelligenz.
Künstliche Intelligenz lenkt Spionage-Ballon
Der Ballon über den USA habe zwar wie ein ganz gewöhnlicher Wetterballon ausgesehen, aber gewisse Besonderheiten aufgewiesen, sagte der Experte für Überwachungsballons von der Denkfabrik Marathon Initiative in Washington, William Kim, der Nachrichtenagentur AFP. Seine "Ladung" sei ziemlich groß gewesen – ein Hinweis auf die darin enthaltene und von Solarzellen gespeiste Elektronik zur Lenkung und das Sammeln von Informationen.
Auch schien der Ballon über moderne Steuerungstechnologien zu verfügen – das US-Militär verwendet derartige Technologien für die Luft bislang noch nicht.
Laut Kim kann ein Ballon seine Höhe dank künstlicher Intelligenz allein durch das Erkennen von Luftveränderungen anpassen, um die gewünschte Richtung einzuschlagen. "Früher brauchte man entweder eine Leine oder man schickte den Ballon in die Luft und er flog einfach dorthin, wohin der Wind ihn trug", sagte der US-Experte.

Dank der Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz seien nun Ballons ohne eigenes Antriebssystem möglich. Die Steuerung durch Höhenanpassung schließe auch eine Funkverbindung zur Heimatbasis ein.
Ballons haben gegenüber Satelliten Vorteile
Ballons zur Aufklärung werden seit vielen Jahren genutzt: 1794 nutzten die Franzosen während der französischen Revolutionskriege Aufklärungsballons gegen österreichische und niederländische Truppen, schreibt die britische Zeitung "The Guardian". Auch im Bürgerkrieg in den USA seien sie zum Einsatz gekommen. Mit den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg wurden die Ballons immer häufiger genutzt.
Mit der Satellitenüberwachung waren die Spionage-Ballons dann aus der Mode gekommen, haben aber dennoch Vorteile gegenüber Satelliten. Anders als diese seien Ballons weitaus schwerer angreifbar, sagte Kim. Das liege zum einen daran, dass sie per Radar kaum aufzuspüren seien und ihre Nutzlast leicht übersehen werden könne.
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Die Ballons haben auch den Vorteil, dass sie aus relativer Nähe Details und Bewegungen über längere Zeit beobachten und Kommunikation abfangen können – im Gegensatz zu Satelliten, die ständig in der Umlaufbahn kreisen und von Spionagebehörden zur Aufnahme von Fotos verwendet werden. "Diese Dinger können monatelang über einer Stelle bleiben", sagte Kim. Außerdem sind sie billiger als Satelliten und für Radar schwer zu entdecken.
"Man darf da nicht in einen Gegensatz denken – Ballon oder Satellit oder Drohne", erklärt Geheimdienstexperte Dr. Christopher Nehring dem stern-Podcast "heute wichtig" vom Dienstag. "Sondern in einem kombinierten Ansatz – sowohl als auch. Die großen Geheimdienst-Nationen setzen alles davon gleichzeitig ein, Drohnen, Flugzeuge, Satelliten, Ballons."
"Diese Ballons funktionieren nicht immer perfekt"
Weil die benötigte Technik immer kleiner und leichter werde, erlebten die Ballons ein Comeback, sagte der australische Militär-Experte Peter Layton dem Sender CNN. Es gibt nur ein Problem: Wenn sie tief fliegen, sind sie – wie jetzt in den USA – mit bloßem Auge erkennbar.
"Diese Ballons funktionieren nicht immer perfekt", sagte der Ballon-Spezialist Kim. Normalerweise agierten sie in einer Höhe von 20 bis 30 Kilometern, der mutmaßliche Spionageballon über den USA sei aber nur rund 14 Kilometer hoch geflogen. Er hält trotz mutmaßlicher Spionageabsicht eine Fehlfunktion des chinesischen Ballons über den USA durchaus für "eine reale Möglichkeit".

Einen Ballon abzuschießen, sei nicht so einfach, wie es vielleicht klingen mag, sagte Kim. "Diese Ballons verwenden Helium." Würde der Ballon beschossen, entwiche das Helium "nur sehr langsam". "Das sind keine Dinger, die explodieren oder platzen, wenn man auf sie schießt."
Der Ballon über dem Norden der USA, der mutmaßlich US-Militäranlagen ausspionieren sollte, wurde nun von einem Kampfjet mit einer Lenkwaffe abgeschossen. Die Überreste des Ballons fielen ins Meer.
Pentagon: China verfügt über "Ballonflotte"
Schon früher hat China den USA zufolge solche Beobachtungsballons über Nordamerika geschickt. Allein in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump von 2017 bis 2021 hätten mindestens dreimal Überwachungsballons aus China die USA überflogen, sagte ein Pentagon-Beamter. Seit Beginn der Amtszeit von Joe Biden habe es einen kurzen Überflug gegeben. Insgesamt seien die Flüge meist nicht besonders lang gewesen oder erst rückwirkend entdeckt worden, wurde geschildert. Angesteuert hätten die Ballons auch die Umgebung von Hawaii oder Guam, wo das Indo-Pazifik-Kommando und die Pazifikflotte der USA beheimatet sind.
Geheimdienstexperte Nehring hält die Ballons aber für die "harmloseste Art mit dem geringsten Eskalationspotenzial": "Ein militärisches, bemanntes Aufklärungsflugzeug, das in fremden Luftraum eindringt, oder ein abgeschossener Satellit oder eine Drohne, die vielleicht sogar vom Boden aus irgendwo im Land operiert wird, das wäre alles eine viel größere Verletzung und eine viel größere Provokation."
Der jüngste Abschuss des mutmaßlichen chinesischen Überwachungsballons vor der Atlantikküste der USA ist allerdings nur ein kleines Puzzleteilchen in den Aufklärungsaktivitäten zwischen beiden Großmächten.
Die USA fliegen mit Aufklärungsflugzeugen von US-Militärstützpunkten in Japan und den Philippinen vor die chinesische Küste. Im vergangenen Jahr hätten die USA rund 600 Flüge zur Nahaufklärung vor den Küsten Chinas unternommen, schätzte im Dezember eine chinesische Denkfabrik. Die tatsächliche Zahl wurde noch höher geschätzt, weil die Flieger nicht immer ihre Transponder zur Erkennung einschalteten.
China verfüge über eine ganze Ballonflotte, mit der auch andere Länder des westlichen Hemisphäre überwacht würden, warnte das Pentagon in Washington. In den vergangenen Jahren seien chinesische Ballons über Ländern auf fünf Kontinenten gesichtet worden, darunter in Ostasien, Südasien und Europa. Ob auch über oder nahe Deutschland, ermitteln gerade zuständige Stellen.
Quellen: Nachrichtenagenturen DPA und AFP, "The Guardian", Al Jazeera