"'Tagesschau'-Sprecher waren, bevor sie 'Tagesschau'-Sprecher wurden, nicht bekannt", schreibt der oberste Medienpolitiker der CDU, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, an die Intendanten von ARD und ZDF. Wo er Recht hat, hat er Recht. Zwar ist Tom Buhrow kein "Tagesschau"-Sprecher, sondern Moderator der "Tagesthemen" - gemeint sein dürfte er trotzdem. Und Recht hat Oettinger, weil er sich den Grundeinsichten der so genannten "Ökonomie der Aufmerksamkeit" nähert. Das ist keine Metapher, sondern ein beinhartes Geschäft. Vermarktet wird Bekanntheit; Bekanntheit hat sich weitgehende emanzipiert von Können; nicht Reputation entscheidet, sondern Image. Es gilt für Gülcan wie für Wickert: für den Promi ist seine Agentur die wichtigste Bank. Kredit gewährt die Öffentlichkeit, hier wird aus Geld mehr Geld gemacht; die ursprüngliche Bekanntheit umgemünzt in ordentlichen Profit.
Seit der gewitzte Kuno Haberbusch zu seinem Abschied aus dem aufmüpfigen NDR-Medienmagazin "Zapp" einige Nebentätigkeiten von Tom Buhrow, Peter Hahne, Petra Gerster, Claus Kleber und der ARD-Börsenfee Anja Kohl nebst Preisliste kenntlich gemacht hat, tobt eine Debatte um Glaubwürdigkeit, Erlaubtes und Verbotenes, Neid und Intrige. Versuchen wir, dieses weite Feld etwas zu sortieren. Denn es gibt sogar Grauzonen. Warum soll der langjährige TV-Auslands-Korrespondent seine Erfahrungen nicht gewinnbringend für Leser in einem Büchlein zusammenfassen?
Darf das aber ebenso der Talkshow-Master mit dem Geplauder mit seinen Lieblingsgästen? Warum soll die "heute-journal"-Moderatorin nicht auf einem Buchcover erscheinen, wenn sie doch nur die Jugend über Politik aufklären will? Warum soll die Politik-Moderatorin nicht für eines der Pseudo-Lexika von Langenscheidt (Deutsch-Frau; Hund-Deutsch) was zum Politikersprech verfassen (lassen), wenn es sich doch so gut verkauft? Ist die Moderation der Henri-Nannen-Preis-Gala begrüßenswert, die Moderation der "Goldenen Feder" vom Bauer-Verlag aber verwerflich? Darf ein aus dem Fernsehen bekannter Moderator eine öffentliche Diskussion über Hautkrebs leiten, aber nicht mehr, wenn dahinter die Solarium-Produzenten stecken? Und was ist mit Charity-Veranstaltungen, hinter denen meist auch nur Verlagsreklame steckt? Man sieht: Es muss eine klare Grenze gezogen werden zwischen Tätigkeiten, die legitim sind, und solchen, die die Unabhängigkeit des Journalisten bedrohen.
Vom besonderen Wert der Festanstellung
Wer hätte das vor 25 Jahren, bei der Einführung des Privatfernsehens, prognostiziert: Das Gros der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung wird nicht von den Sendern hergestellt, sondern von TV-Produktionsfirmen im Besitz der Entertainer, die vor allem dadurch üppig verdienen; Journalisten aus den Bereichen Information, Wirtschaft, Kultur und Sport besorgen sich Nebenverdienste bis zu einer Dimension, die das Wort "neben" eher auf den ursprünglichen Job anwenden lässt - und ausgerechnet der "Anchorman" des Privatsenders RTL, Peter Kloeppel, ist einer der wenigen, der so etwas grundsätzlich nicht tut. Wer das vorhergesagt hätte, wäre für verrückt erklärt worden.
Nun mag ein Tom Buhrow - nehmen wir ihn nur als Beispiel - mit Blick auf Kollegen wie Johannes B. Kerner oder Jörg Pilawa vor Neid erblassen, wenn er deren Gewinnspannen kennt. Aber mit vermuteten 180.000 Euro Jahresgehalt lässt sich ja auch leben. Vor allem aber hat er das Prinzip des öffentlich-rechtlichen Journalismus nicht verinnerlicht. Hugh Carlton Greene, den Tom Buhrow vielleicht nur kennt, weil die Straße, an dem das NDR-Fernsehzentrum liegt, nach diesem benannt ist, hat als britischer Besatzer und erster Chef des öffentlich-rechtlichen NWDR immer verteidigt, dass Journalisten fest angestellt werden sollten. Allerdings gebe es dafür nur einen einzigen Grund: sie sollten sicher unabhängig leben können, frei von der Verführung zu anderen Loyalitäten.
Man muss sich diese Loyalitäten nicht so billig vorstellen, dass Anja Kohl fürderhin Atomkraft-Aktien preist oder Tom Buhrow zum "Tagesthemen"-Abspann den Henkell-trocken ins Bild hält, aber schon das mangelnde Schuldbewusstsein verrät ja etwas darüber, welche Sitten wie selbstverständlich eingerissen sind. Dass Buhrow an Glaubwürdigkeit verliert, meinen 67 Prozent der stern.de-Leser - und widerlegen damit NDR-Sprecher Martin Gatzke, der erklärt hatte, die Glaubwürdigkeit Buhrows sei nicht gefährdet.
Im Gegensatz zu den tatsächlichen NDR-Äußerungen wäre eine Erinnerung an Greene angemessen gewesen: Bewusst stellen wir diese Leute mit sehr gut dotierten Verträgen fest an, damit sie den Zuschauern gegenüber glaubwürdig bleiben. Alles andere wird in einem speziellen Verfahren nur dann genehmigt, wenn es dem Hauptjob zuträglich ist.
Wo stinkt der Fisch zuerst?
Eine solche Erklärung verlangte allerdings auch ein entsprechend strenges Bewusstsein. Die Besonderheit öffentlich-rechtlicher Informationsvermittlung, die eben nicht ein Markt der Daten, Informationen und Eitelkeiten wie jeder andere sein will, müsste spürbar sein. In Sendeanstalten, in denen ganze Programmstrecken - wie der Vorabend - nach den Bedürfnissen der offenen wie schleichenden Werbung ausgerichtet werden, in denen die populärste Show "Wetten, dass ...?" kaum noch normale Sendezeit zwischen der aufdringlichen Produktwerbung zulässt und wo der populärste Krimi ("Tatort") an Spannung verliert, weil Eingeweihte inzwischen den Eindruck haben, dass der Verdächtige nicht der Täter sein kann, wenn er Mercedes fährt, da diese Karosse nur für die Guten "eine Beistellung" sein darf - in solchen Sendern kann schwerlich ein puristisches Bewusstsein entstehen.
Die Aufgabe ist also größer als sich einfach über die Buhrows zu erregen. Jede Nebentätigkeit verlangt eine Genehmigung durch den Sender. Und ARD und ZDF erteilen diese ja offenbar recht großzügig. Daher weht der modrige Geruch. Wenn die Richtlinien klar sind - ganz simpel: "Ein Journalist wirbt nicht" -, dann ist der Rest eine Sache der Prüfung, der Begründung in Zweifelsfällen und Grauzonen und des glaubwürdigen Vorlebens dieser Richtlinien.
Transparenz
Von jenen Tätigkeiten, die laut NDR-Verlautbarung die Glaubwürdigkeit angeblich nicht beeinträchtigen, sind solche besonders prekär, die den ansonsten gerne behaupteten Positionen widersprechen oder zu Befangenheit führen. Ist eine Journalistin mit einem SPD-Politiker liiert, darf sie über diese Partei nicht mehr berichten. Wer über die FDP informiert, darf nicht heimlich dazugehören. Für jeden Börsenberichterstatter ist jede Moderation jeder Veranstaltung jedes Finanzdienstleisters tabu. Der Sportreporter hat nicht gemeinsam mit der Mannschaft auf dem Sieger-Balkon zu feiern - egal ob das Bayern München oder Werder Bremen ist.
Wer von den Managern lauthals Transparenz fordert, darf seine eigenen Nebeneinkünfte nicht verbergen. Wer uns - wie Tom Buhrow es tat - besonders eifrig das Ammenmärchen verkündet, eine Ursache der Finanzkrise sei der jähe Ausbruch der Gier, würde gut daran tun, selber über jeden Verdacht erhaben zu sein, dieses Laster habe auch ihn ergriffen. Dagegen hilft eine einzige, simple Maßnahme: Wer ein gutes Gewissen hat, hat nichts zu verbergen!
So wie es auch im Bundestagshandbuch geschieht, sind Nebentätigkeiten, am besten inklusive der verdienten Summen, zu veröffentlichen. Und wenn die Betreffenden es nicht von sich aus tun wollen oder zumindest keine konkreten Summen publiziert sehen wollen, dann nehmen die Sender in Zukunft in ihre Verhaltens-Codizes und Verträge zumindest auf, dass sie alle erteilten Genehmigungen für Nebeneinkünfte öffentlich zugänglich machen. Niemand hätte etwas dagegen, wenn öffentlich-rechtliche Sender dazu ihre Internet-Präsenz nutzen würden. Es wäre ein Dienst an der eigenen Glaubwürdigkeit.