Seit Jahren gehört Rosalía (33) zu den aufregendsten Exporten Spaniens. Mit ihrem letzten Album "Motomami" (2022) hatte sie alles richtig gemacht: Reggaeton, Pop, Electro, so experimentell wie tanzbar, zumindest ab dem dritten Hördurchgang. Das Album wurde im wahrsten Sinne des Wortes abgefeiert - das könnte mit ihrem vierten Werk schwierig werden.
Auf "Lux" (Lateinisch für Licht), aufgenommen mit dem London Symphony Orchestra, geben kein Schlagzeug oder Beats, sondern Streicher den Rhythmus vor. Was die erste Single "Berghain" schon klarmachte, wird hier in 18 Songs und auf 13 Sprachen (!) fortgeführt: Rosalia ballert jetzt Oper statt Party. Ohne jeden Techno-Beat, aber mit Orchester-Stakkato, berührendem Operngesang sowie Björk und Yves Tumor als Gastmusiker baut das Lied eine ganz eigene Architektur auf und ist der wohl ästhetischste Ohrwurm des Jahres. Catchy Kunst, das muss Rosalía erstmal einer nachmachen. Ob sie diesen Popkulturmoment allerdings auf Albumlänge strecken kann, ist streitbar. Denn sie versucht es.
Wer, wenn nicht sie?
Die 33-Jährige hat alle Werkzeuge für dieses Wagnis: Sie studierte Flamenco am renommierten Catalonia College of Music in Barcelona, das normalerweise nur einen Studenten pro Jahr aufnimmt. Ihr Lehrplan umfasste alles von Chopin bis Ella Fitzgerald, wie "Rolling Stone" berichtet. Interessant wird das Album aber durch ihre rebellische Ader, ganz nach dem Motto: Lern die Regeln und brich sie.
Sehr oft wirkt das Album wie ein Klangpuzzle. "Porcelana" hätte zur Hälfte auch auf "Motomami" sein können, besteht aber auf Streicher und untanzbare Fragmente. "Mio Cristo Piange Diamanti" ist Rosalías eigene Arie, die ein Jahr gebraucht hat bis zur Fertigstellung. An bewegenden bis epischen Balladen fehlt es diesem Album auch nicht: Mit "Focu 'Ranni" verabschiedet sich Rosalía von ihrer geplanten Hochzeit und ihrem Ex-Verlobten, Reggaeton-Star Rauw Alejandro. Auch die Texte sind es wert, dass man genau hinhört. Im herzzerreißenden "Divinize" etwa singt sie die Zeilen: "Verletz mich, ich werde meinen ganzen Stolz verschlucken / Ich weiß, dass ich gemacht wurde, um zu vergöttern."
Die Arrangements sind so detailreich und opulent wie ihr Gesang. Ihre stimmliche Bandbreite ist beeindruckend, die Seele und Vulnerabilität, die durch die Noten scheint noch mehr. Nur folgerichtig, dass sie das Album in "Magnolis" mit Bildern ihrer eigenen Beerdigung schließt.
"Lux" ist viel - und will noch mehr
Dieses Werk ist so viel: Klassik, Opulenz, Kunst, ambitioniert, unvorhersehbar, neu. Dieses Werk will aber auch so viel. Es ist als vierteilige Reise angelegt, mit einem konzeptionellen Überbau komplex genug, um jede Opernintendanz nervös zu machen. Das Album ist in vier Teile unterteilt, vom Verlust der Reinheit über die Rückkehr zur Welt bis hin zu Gnade und Abschied. Inspiriert von weiblichen Heiligenlegenden verschiedener Kulturen erforscht Rosalía spirituelle Erfahrungen und die universelle Überwindung von Angst - das ist nur die Kurzzusammenfassung.
So sehr das Feuilleton Rosalía gerade auch zur "Göttin" erhebt - "Lux" ist eine Herausforderung, die die Masse nicht annehmen wird. Aber wen interessiert das schon - Rosalía mit Sicherheit nicht.