Herr Mittermeier, Herr #Link;https://www.youtube.com/channel/UC37HyyyTKASpUxqGUwjjD6A;Izzard#, Sie beide bestreiten am 8. Mai in Berlin ein gemeinsames Comedy-Programm mit vier anderen Stand-Up-Comedians aus insgesamt sechs Nationen. Das Ganze nennt sich "Comedy ohne Grenzen". Stimmt das? Kennt Humor keine Grenzen?
MITTERMEIER: Jedenfalls keine Landesgrenzen. Die Sprache der Comedians ist universal. Und nichts öffnet so sehr die Grenzen von Vorurteilen und Kulturen wie Humor. Das wollen wir zeigen, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, dass es egal ist, ob ein Stand-Up aus Frankreich, Deutschland oder Russland kommt. Wenn wir alle zusammen lachen, dann ist das ein großer Schritt. Wie Eddie es mal sagte: "Comedy ohne Grenzen, und nicht Grenzen ohne Comedy!"
IZZARD: Ich mache Programme auf Englisch, Deutsch, Französisch. Spanisch kommt als nächstes, dann Russisch und Arabisch. Die Leute lachen auf der ganzen Welt über dieselben Dinge. Ob ich in Tokio auftrete oder St. Petersburg oder New York, Berlin oder London. Null Unterschied bei den Reaktionen...
Sie wurden im Jemen geboren und sind ein Sprachgenie…
IZZARD: Sprachen zu lernen, geht schnell. Zum Beispiel im Knast. Im Knast würdest du sogar Alt-Transkrit ganz flott sprechen. Sprechen müssen aus Selbsterhalt: "Bitte bring mich nicht um!" "Wann gibt es Essen?" "Wer hat hier das Sagen?" Das lernst du in einem Monat.
MITTERMEIER: Guter Ort für Sprachen, so hab ich das noch nie gesehen…
IZZARD: Absolut. Du fragst jemanden: Welche Sprache willst du lernen? Schwedisch? Okay, dann steckst du dem Drogen in die Rucksack und in Stockholm, zack, wird er verhaftet und lernt Schwedisch im Knast. Das ist pures Überleben.
MITTERMEIER: Englisch auf der Alcatraz High School – klingt logisch. Und Humor ist ja so was wie Zeichensprache, für mich der Heilige Gral der Kommunikation. Ich war mal in Tansania. Da freundete ich mich mit einem Massai an. Ich machte meine Witze am Ende in einer Mischung aus Suaheli, Massai, Englisch und Deutsch. Es klappte. Ich weiß nur nicht, wie. Oder warum…
IZZARD: Den "sense of humour" zu treffen, ist schwerer als die Sprache. Deshalb ist mein Ansatz universal. Witze über Menschenopfer funktionieren überall auf der Welt.
Menschenopfer?
IZZARD: "Die Ernte ist schlecht. Das Wetter ist schlecht. Die Götter müssen uns hassen. Also lasst uns mal Steve umbringen." So war das irgendwann am Anfang mit der Religion. Einer in einem wichtigen Gewand, ein charismatisches Arschloch hat gesagt: "Wenn wir Steve aufschneiden, geht es uns besser." Und das haben die Leute geglaubt. So ging das los. Und diesen Wahnsinn der Religion, das verstehen die Leute überall auf der Welt. Besonders heute in Zeiten von IS.
Sie beide treten ja viel im Ausland auf. Sie, Herr Mittermeier, sind sogar viel in England unterwegs. Und das obwohl es dort heißt, Deutsche hätten keinen Humor.
MITTERMEIER: Für viele Engländer ist ein deutscher Komiker ein Oxymoron. Ein lustiger deutscher Komiker wär' so was wie ein russischer Menschenrechtsausschuss.
Kennen Sie den Spruch: Was wäre Großbritannien ohne seinen Humor?
IZZARD: Und?
MITTERMEIER: Ein englischer Spruch?
Na klar.
IZZARD: Kannte ich nicht. Aber ist ein altes Klischee. Es gibt 80 Millionen Deutsche, und die sollen alle humorlos sein, als nationales Charakteristikum? Unfug. Ich habe im vergangenen Jahr zwei Monate in Berlin gelebt und bin dort fast jeden Abend aufgetreten. Die Deutschen amüsieren sich über dieselben Sachen wie alle andere Menschen auch. So was wie eine nationale Kreativität gibt es nicht. Es gibt nur Kreativität. Ich kann Euch auf der Stelle jede Menge Briten ohne einen Funken Humor zeigen. Das sind größtenteils Tories. Je rechter du politisch stehst, desto weniger lustiger bist du. Hitler hatte zum Beispiel null Sinn für Humor. Und man hat ja gesehen, wohin das geführt hat.
MITTERMEIER: Das Klischee von den unlustigen Deutschen stammt in erster Linie von unlustigen politisch-überkorrekten Deutschen. Das fängt schon in der Politik an. Bei uns muss ein Bundespräsident zurücktreten, weil er sich auch mal aufs Oktoberfest einladen ließ. Du findest auch in England genau so viel oder wenig schlechten, sexistischen oder rassistischen Humor wie in Deutschland. Aber klar, ich höre das auch immer, dieses: Die Engländer haben mehr Humor. Den Leuten sage ich: Okay, dann nennt mir doch bitte mal fünf aktuelle britische Stand Up Comedians.
Und dann?
MITTEREMEIER: Sagen sie "Monty Python". Und ich sage: Nee, die treten nicht mehr auf, das war mal. Danach ziehen sie blank. Es ist ein Mythos, dass Deutsche weniger Humor haben.
Aber in Großbritannien gibt es einfach mehr Gut als Schlecht…
IZZARD: Wir haben in London allein 60, 70 oder 80 Comedy-Clubs. Du kannst hier problemlos vier Gigs an einem Abend machen. London ist, was Comedy angeht, ungefähr das, was Hamburg für die Beatles war. Das ist sicher anders als in Deutschland.
MITTERMEIER: Richtig ist: Bei uns hat sich alles verspätet entwickelt. Nach 1945 war es scheinbar nicht angemessen, das Comedy oder Komik zu nennen. Wir nannten es Kabarett. Aber auch Kabarett ist nichts anderes als Stand-Up: Ein Mensch steht auf der Bühne und bringt andere zum Lachen und schiebt Diskussionen an. Darum geht es im Kern. Am 9. Mai spielen wir unsere Show in Moskau. Das Lachen kannst Du nicht verbieten – es öffnet den Geist und die Herzen der Menschen.
Herr Izzard, Sie haben die EU-Flagge auf einen Fingernagel lackiert. In zwei Wochen sind Wahlen, und Europa ist großes Thema hier. Viele Ihrer Landsleute sehen die EU entschieden kritischer als Sie…
IZZARD: Ich glaube, dass Versteckspielen keine schlaue Idee ist. Wenn man die Augen zu macht und dann wieder auf, ist Europa immer noch da. Es geht nicht einfach so weg. Wenn wir das in Europa nicht gemeinsam packen, welcher verdammte Kontinent kann dann überhaupt etwas zusammen auf die Beine bringen? Dann schafft’s die ganze Welt nicht. Wir müssen Europa alle gemeinsam bauen. Ich möchte daran mit bauen. Deshalb gehe ich 2020 auch in die Politik. Und ab sofort mache ich Wahlkampf für Ed Miliband, den Labour-Kandidaten, der gerade David Cameron als Premierminister herausfordert.
Sie sind ja auch Mitglied der Labour-Party und wollen Bürgermeister von London werden. Aber warum erst in fünf Jahren? Der amtierende Mayor of London, Boris Johnson, will bereits 2016 aufhören.
IZZARD: Dann müsste ich jetzt mit meiner Karriere aufhören. Jetzt. Auf der Stelle. Ich habe so lange gebraucht, um dort hinzukommen, wo ich bin…
Einer der besten Stand-Up Comedians der Welt…
IZZARD:…das müsste ich einfrieren. Will ich aber noch nicht. Es war schwer genug. Gerade als Transvestit, der in den 80er Jahren sein Coming-out hatte. Das war damals überhaupt nicht cool. Bis ich 30 war, war es ein Kampf, ich kriegte keine Jobs. Ich bin noch nicht fertig und habe immer noch diesen Hunger nach Arbeit. Deshalb mache ich weiter bis 2020.
Sind Comedians per se auch gute Politiker?
MITTERMEIER: Ich fürchte, wir hätten ganz gute Chancen gewählt zu werden… und für die Leute würde sich nichts ändern. Witzfiguren an der Spitze sind ja alle gewöhnt, grade in Bayern…
IZZARD: Es gibt ja schon einige. Al Franken, der Senator von Minnesota, Beppo Grillo in Italien und diesen Comedian in Island…
Sie meinen Jon Gnarr. Der war mal Bürgermeister von Reykjavik. Sein Wahlversprechen lautete, jedes Wahlversprechen zu brechen.
MITTERMEIER: Kein schlechtes Wahlversprechen. Schon allein für so viel Ehrlichkeit würd ich den wählen…
IZZARD: Ich glaube, ich habe eine Chance. Ich bin seit 1995 bei Labour und unterstütze jetzt Ed Miliband, wo es nur geht. Ich bezeichne mich als radikal-moderat. Ich war gegen die Monarchie. Und bin es noch, weil ich vererbte Privilegien für amoralisch und unethisch halte. Ich habe nichts gegen Charlie und die Kids, bin sogar mal für ihn aufgetreten. Charlie macht das auch ganz gut. Ändert aber nichts an meiner Einstellung. Noch mal: unethisch. Und es wird auf immer und ewig unethisch bleiben. Ich hasse Ungerechtigkeiten und jede Art von Extremismus. Auch, was extreme Unterschiede von Reich und Arm angeht. In dieser Richtung haben wir viel zu tun in London – mit den Wahnsinns-Immobilienpreisen und viel zu wenig bezahlbaren Wohnungen. Das war nicht das Ding von Bürgermeister Boris, der kümmert sich nicht darum. Aber ich liebe diese Stadt nun mal. Große Städte wie London werden die Menschheit retten.
Wie kommen Sie denn da drauf?
IZZARD: Weil die Leute in Großstädten und Metropolen liberaler und toleranter sind. Sie müssen miteinander auskommen, alle Rassen und Religionen auf engstem Platz. Die großen Städte machen den Unterschied. In großen Städten wird größer gedacht. Und als Comedian kannst du nur in einer großen Stadt wie London leben.
Herr Mittermeier, inzwischen sind Sie richtig erfolgreich in England, aber hatten Sie nicht auch Angst vor dieser großen Stadt London, damals, als Sie hier erstmals auftraten. Auf Englisch?
MITTERMEIER: Klar war ich nervös. Du weißt einfach nicht, ob es wirklich ankommt. In Deutschland kann ich sprachlich besser improvisieren. Aber es hat schon was, als Deutscher in England auf der Bühne den Engländern die EU zu erklären. Am Tag nach Margret Thatchers Staatsbegräbnis stand ich in London auf der Bühne und meinte nur: "Findet Ihr nicht, Margret Thatcher wäre ein sehr guter Deutscher gewesen?" Ich erzähle in London von meinem Aufwachsen als deutscher Jugendlicher, wie war's in der Schule bei uns in den 70ern, natürlich satirisch überhöht: "Wir hatten ein Schulfach namens 'Schuld' – drei Tage die Woche hatten wir 'Schuld', freitags hatten wir 'Schämen' ". Denen hat so noch niemand auch unsere menschliche Seite gezeigt, und das fasziniert sie und schafft wieder gegenseitiges Verständnis.
Funktionieren wirklich ausnahmslos alle Witze in einer anderen Sprache?
IZZARD: Nach meiner Erfahrung: Ja. Es ist sogar so, dass ich mit einem deutschen Gag inzwischen auch international auftrete. Den von Luther. Das ist der Typ mit den Thesen. Wie Luther da steht und sie an die Tür vom Dom in Wittenberg nagelt. Nummer eins, tock, tock, tock. Nummer zwei, tock, tock, tock. Nummer drei... Und zwei Stunden später – Nummer 47, tock, tock, tock – kommt ein Windstoß, und die Thesen fliegen weg. Wusch. Da steht der Luther dann und denkt: "Verdammt. Wo ist jetzt 48? Weg. Auch egal, 48 war sowieso scheiße." Das habe ich zuerst in Berlin gespielt. Und dann in Oklahoma und sogar in Harvard. Teilweise auf Deutsch. Und die Leute haben es geliebt. Die Referenzen sind zwar national, aber wenn du die einmal erklärt hast, ist die Dämlichkeit international.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
MITTERMEIER: Als bayrischer Katholik darf ich natürlich nicht über Luther reden, sonst werden meine Eltern gesteinigt. Aber universale Themen wie Zombies gehen immer. Die Wiederauferstehung Jesu ist ja quasi das "The Walking Dead" der Katholiken. Ich hätte allerdings fast mal was auf die Fresse gekriegt von einem Engländer bei einem Auftritt in Südafrika. Der Typ raunte immer nur was von "Germans" und "Antisemitism". Ich habe dann gesagt, dass "Antisemitism" etwas sehr Britisches sei. Nämlich die Ur-Eigenschaft der Engländer, bei großen Fußball-Turnieren nie das Semifinale zu erreichen.
Und dafür gab's nichts aufs Maul?
MITTERMEIER: Nee, dessen Freunde sagten: Lass den mal in Ruhe, der ist witziger als du.
Großes Kompliment von einem Engländer an einen Deutschen…
MITTERMEIER: Funktioniert aber nur, wenn England schlecht spielt.
Zumindest darauf ist ja einigermaßen Verlass.
IZZARD: Ich mache nie Witze über Fußball. MITTERMEIER: Vielleicht liegt das daran, dass die englische Mannschaft per se schon lustig genug ist. Auf eine tote Sau schlagen ist ja auch gemein.
Die Show "Comedy sans Frontières" findet am 8. Mai im Admiralspalast in Berlin statt. Die Tickets kosten ab 25 Euro und können hier gekauft werden.