Während in Deutschland seit Wochen die sogenannte "Heizwende" diskutiert wird, verkauft das hessische Familienunternehmen Viessmann seine Klimasparte inklusive des Wärmepumpen-Geschäfts an den US-Konzern Carrier Global. Ein erstes Anzeichen dafür, dass Deutschland zwölf Jahre nach dem Solartechnik-Flop nun auch diesen Anschluss verliert – oder sind dies Investitionen in die Zukunft Deutschlands, einer Nation also, der Bundeskanzler Scholz jüngst ein anstehendes Wirtschaftswunder von ungeahnten Ausmaßen ins Prognosebüchlein schrieb? Und hat das Ganze, siehe Friedrich Merz, nicht ohnehin noch ein bisschen Zeit?
Das diskutierten am Abend bei "Anne Will" folgende Gäste:
• Stephan Weil (SPD, Ministerpräsident von Niedersachsen)
• Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz)
• Thorsten Frei (CDU, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion)
• Veronika Grimm (Wirtschaftswissenschaftlerin, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung)
• Bernd Ulrich (stellvertretender Chefredakteur "Die Zeit")
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sah es mit Blick auf "seinen" Wärmepumpen-Spezialisten erst einmal positiv. Stiebel Eltron, qua Selbstbezeichnung ein "verantwortungsvoller Nachhaltigkeitsanbieter", mit Firmensitz im niedersächsischen Holzminden, hege keine Verkaufsabsichten. Das sei doch schon mal eine gute Sache. Wobei man das Ganze mit dem Viessmann-Deal ohnehin von beiden Seiten sehe müsse: "Deutsche kaufen umgekehrt ja auch Unternehmen im Ausland." Thorsten Frei dagegen befand, ein solcher Vorgang, siehe Solarfiasko vor einigen Jahren, sei bedenklich für den Standort Deutschland. Franziska Brantner holte da gleich noch etwas schwungvoller aus, betrieb ihre Argumentation mit so viel Verve, als hätte sie ihre rhetorische Wärmepumpe auf ‚Wahlkampf‘ gestellt: Mitnichten handelte es sich hier um "einen Ausverkauf", vielmehr ist das der Aufbau zu einem "transatlantischen Klimachampion", in einem Tempo, das "wir seit 16 Jahren nicht gesehen haben". Man solle den Wirtschaftsstandort nicht schlechter reden als er ist, überhaupt ist doch alles "Win-Win": Wenn einer so viel Geld mitbringt, dann ist das positiv. Technologien seien so schneller voranzubringen, denn gerade hier, bei der Geschwindigkeit, habe Deutschland zuletzt arg geschwächelt.
Nur Feintuning gefragt
Das Tempo, einer der grundlegenden Aspekte in dieser Gemengelage. Auch für Veronika Grimm: Wenn Wachstum entstehen soll, braucht es Infrastruktur, genau da müsse man schneller werden, "entbürokratisieren", denn da ist es im bestehenden System zu mühsam. Dass das Heizwende-Gesetz im Zuge dessen zu schnell gekommen sei, wollte sie so nicht stehen lassen. Es sei jedoch bei Aspekten wie Sanierung und Wohnfläche pro Person zu eng gesteckt, Handwerkskapazitäten müssten beachtet, idealerweise Stadtviertel saniert werden, um die Ressourcen sinnvoll zu bündeln.
Bernd Ullrich von der "Zeit" hob noch einmal auf die Vorgeschichte dieser Energie-Diskussion an und den Umstand, wie wenig die Lehren daraus bislang gezogen wurden. Auslöser sei der Angriff einer "fossilen Diktatur", also Russland gewesen, die Deutschland letztlich mitfinanziert hat. Ein Fehlverhalten, das sich jetzt auf gewisse Weise wiederholt. Man zahle an Saudi-Arabien ("auch nicht eben einer feministischen Außenpolitik verdächtig") und finanziere somit erneut Gegner der Demokratie. Dabei sei doch eins nicht außer acht zu lassen: "Freiheit wird im Keller verteidigt".
Kampf gegen fossile Diktatur
Aufgefordert von Anne Will, einen seiner aktuellen Artikel mit der Überschrift "Politik für Menschen ohne Menschen" zu erläutern, tat Ullrich dies überaus explizit. Seiner Meinung nach würde von der Regierung eine Politik vorgetäuscht, die den Menschen praktisch "geliefert" wird, als sei das ein Konstrukt, ein Plan – und nicht etwa das Handeln der Betroffenen selbst. Dabei müsse eins klar sein: "70 Jahre Normalität und Stabilität sind vorbei". Auch daraus, aus der Art, wie wir leben, habe sich die Zerstörung der Umwelt ergeben. Genau das müssten die Menschen verstehen: Dass wir so nicht mehr leben können. Stattdessen herrsche jedoch eine Art "Beschlussmagie". Wenn man die Dinge sagt, dann würden sie auch schon irgendwie eintreten. Der Blick auf die Zahlen jedoch, etwa die der gebauten Windräder pro Tag, spricht eine andere Sprache. Sechs Windräder pro Tag? Eine dolle Sache. Wenn es denn so wäre …
Die liebe Vetternwirtschaft
Stichwort Beschlussmagie: Auch das Kanzler-Wort vom "Wirtschaftswunder" wirkt in diesem Zusammenhang auf merkwürdige Art magisch, ein Zauberwort, das allein durch sein Aussprechen real werden möge. Ein Schelm, der an Kohls "blühende Landschaften" denkt. Auch Merzs Satz, dass die Welt morgen noch nicht untergeht, erwies sich als Steilvorlage für Ullrich: Geschwindigkeit sei keine Demokratiefrage. Die Welt habe keine Zeit mehr, zum ersten Mal ist die Agenda nicht mehr offen, denn die Uhr, sie tickt. Wer jetzt das Tempo rausnimmt, der spielt "auf den Bedenken der Menschen Klavier", denn: "Mit jedem ‚Aber‘ stirbt ein Baum".
Ein ‚Aber‘ aus ganz anderer Richtung flankte Anne Will kurz vor Abpfiff in den Strafraum, die an dieser Stelle etwas krude eingearbeitete Vetternwirtschaftsaffäre um Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Staatssekretär Patrick Graichen nämlich. "In einer Demokratie ist Vertrauen das Wichtigste", holte Franziska Brantner da als letztes Allgemeinplätzchen aus der Retour-Tüte und überhaupt sei sie sicher: "Der Fehler wird geheilt". Was auch immer das heißen mag …