Hochwasser, Hitzewellen, Wirbelstürme und steigende Meeresspiegel: Die EU-Staaten sind sich einig, dass der Klimawandel möglichst schnell gestoppt werden muss. Bereits bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent sinken – bevor die EU dann 2050 klimaneutral ist. Noch völlig offen ist aber die Umsetzung der Ziele. Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen will am heutigen Mittwoch ein Konzept für das 55-Prozent-Ziel vorstellen, das dann von den EU-Staaten und dem Europaparlament beschlossen werden soll. Angesichts der Auswirkungen sind erbitterte Diskussionen wahrscheinlich. Doch gibt es überhaupt echte Alternativen? Ein Überblick über die wahrscheinlichen Optionen:
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Strengere Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos
Der Stand der Dinge: Der Verkehr ist der einzige wichtige Sektor in der EU, in dem in den vergangenen Jahrzehnten kein signifikanter Rückgang der Treibhausgasemissionen verzeichnet wurde. Laut Umweltbundesamt stiegen zum Beispiel in Deutschland die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des Pkw-Verkehrs zwischen 1995 und 2019 um 5,1 Prozent an, im Straßengüterverkehr waren sie 2019 sogar um 21 Prozent höher als 1995. Grund ist die deutliche Zunahme an gefahrenen Kilometern – dass Pkw und Lkw heute im Durchschnitt weniger Treibhausgase emittieren als noch 1995, linderte die Entwicklung lediglich ab.
Bisher gilt, dass der CO2-Ausstoß bei Neuwagen 2030 im Schnitt um 37,5 Prozent niedriger sein muss als 2021. Hersteller, deren Flottenemissionen die Grenzwerte überschreiten, sollen dann eine Abgabe für alle zusätzlichen CO2-Emissionen zahlen.
Was kommen könnte: Es wird erwartet, dass die EU-Kommission vorschlägt, die Zielvorgabe auf einen Wert von 50 oder deutlich mehr Prozent anzuheben. Zudem will sie einen Zeitrahmen vorgeben, bis zu dem alle Autos emissionsfrei sein müssen. "Sonst fehlt Planungssicherheit, und wir werden die Klimaneutralität bis 2050 nicht erreichen", sagte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen der "Süddeutschen Zeitung" kurz vor Präsentation der Vorschläge.
Mögliche Probleme: Die Autoindustrie warnt vor einseitigen Auflagen. Der europäische Herstellerverband Acea machte zuletzt deutlich, dass er eine deutliche Verschärfung von CO2-Grenzwerten nur dann für machbar hält, wenn es gleichzeitig verbindliche Vorgaben für mehr Infrastruktur für Elektrofahrzeuge gibt. Für jeden weiteren Prozentpunkt der Zielverschärfung benötige man zusätzlich mindestens 200.000 weitere öffentliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge – über die bereits erforderlichen drei Millionen Stück im Jahr 2030 hinaus, rechnete der BMW-Chef und Acea-Präsident Oliver Zipse vor.
Weniger Verschmutzungsrechte für die Industrie
Der Stand der Dinge: Um den Treibhausgasausstoß der EU zu senken, wurde bereits 2005 das sogenannte Emissionshandelssystem (EU-ETS) eingerichtet. Es sieht vor, dass bestimmte Unternehmen für den Ausstoß von Kohlendioxid, Lachgas und perfluorierten Kohlenwasserstoffen Verschmutzungszertifikate brauchen, die sie entweder ersteigern müssen oder kostenlos zugeteilt bekommen. Da die Menge der zur Verfügung stehenden Zertifikate kontinuierlich sinkt und sie auch im Nachhinein gehandelt werden können, gibt es für Unternehmen einen großen Anreiz, ihre Emissionen soweit wie möglich zu reduzieren.
Derzeit gilt das Emissionshandelssystem für mehr als 10.000 Anlagen im Stromsektor und in der verarbeitenden Industrie sowie die Emissionen durch den innereuropäischen Luftverkehr. Insgesamt deckt es rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU ab. Derzeit wird die Obergrenze für die Zahl der Zertifikate jährlich um 2,2 Prozent verringert.
Bei den übrigen großen Treibhausgas-Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll wird auf Lastenteilung gesetzt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27 Staaten aufgeteilt.
Was kommen könnte: Die Menge der verfügbaren Verschmutzungszertifikate dürfte in den kommenden Jahren noch stärker reduziert werden und auch die Zahl der kostenlos abgegebenen Zertifikate wird wahrscheinlich weiter eingeschränkt. Zudem gibt es die Überlegung, EU-weit für die im Verkehr und in Gebäuden genutzten Brennstoffe ein Emissionshandelssystem zu schaffen. Damit könnten Anreize gesetzt werden, um ihren Verbrauch zu verringern und eine Lenkungswirkung hin zu umweltfreundlicheren Energieformen und Produkten auszulösen. Der Preis fossiler Brenn- und Kraftstoffe wie Erdgas, Kohle, Diesel und Benzin würde sich aber erhöhen. Zudem muss die sogenannte Lastenteilungsverordnung für die anderen Sektoren an das neue 55-Prozent-Ziel angepasst werden. Bis vor kurzem galt noch ein Ziel von minus 40 Prozent.
Mögliche Probleme: Der Druck auf energieintensive Branchen dürfte nochmals steigen und es ist fraglich, was dies für Auswirkungen auf deren internationale Wettbewerbsfähigkeit hat. Die Ausweitung des Emissionshandelssystems auf den Verkehr und Gebäude könnte hingegen zu sozialen Ungerechtigkeiten führen. So gibt es EU-weit große Kaufkraft-Unterschiede, die dazu führen würden, dass Verbraucher in Ländern mit niedrigerem Einkommen überdurchschnittlich belastet würden. Aber auch in Ländern wie Frankreich haben etwa die Gelbwestenproteste gezeigt, was eine mögliche Steigerung von Benzin- und Dieselpreisen auslösen kann. Um Menschen mit niedrigen Einkommen mit steigenden Energie- und Transportkosten nicht alleine zu lassen, soll es deswegen einen Klima-Sozialfonds geben.

CO2-Grenzausgleichsmechanismus
Der Stand der Dinge: Schon jetzt beklagen Unternehmen, dass sie wegen hoher Kosten für den Klimaschutz auf dem Weltmarkt benachteiligt sind – vor allem dann, wenn sie in direkter Konkurrenz zu Firmen stehen, die keine oder nur vergleichsweise geringe Klimaschutzkosten haben. Durch die neuen EU-Klimagesetze könnte sich die Situation noch einmal verschärfen. Zudem besteht die Gefahr, dass Unternehmen ihre Produktion aus Kostengründen in andere Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagern. Dies könnte zu einem Verlust von Arbeitsplätzen und einem Anstieg der Gesamtemissionen führen.
Was kommen könnte: Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass vergleichsweise klimaschädlich produzierte Produkte aus Drittstaaten in der EU künftig keine Wettbewerbsvorteile mehr haben. Dazu soll für bestimmte Produkte eine sogenannte CO2-Grenzabgabe eingeführt werden, die sich danach richtet, wie viele Treibhausgase bei der Produktion der Produkte entstehen. So könnte zum Beispiel Strom, Stahl oder Aluminium aus Nicht-EU-Ländern mit weniger strengen Klimaschutzauflagen deutlich teurer werden.
"Ich sehe in dem Ausgleichsmechanismus auch eine Einladung an andere Länder, ebenfalls einen Preis für Kohlenstoffverbrauch einzuführen und den dortigen Unternehmen so Anreize zu setzen, sauberer zu produzieren", erklärte von der Leyen im Vorfeld. "Wenn diese ihre sauberen Produkte dann in unserem Binnenmarkt verkaufen wollen, müssen sie keinen Ausgleich mehr zahlen."
Mögliche Probleme: Die Einführung eines sogenannten Grenzausgleichsmechanismus gilt als extrem heikel. Das liegt daran, dass er eventuell nur dann mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar ist, wenn Unternehmen in der EU keine kostenlosen Verschmutzungszertifikate mehr bekommen. Dies wiederum bedeutet, dass energieintensive Branchen zwar auf dem heimischen Markt gegen unfaire Konkurrenz geschützt sind, nicht aber auf dem Weltmarkt. Grundsätzlich könnten zudem mit Ländern wie den USA, China und Indien neue Handelskonflikte drohen.
Und sonst noch
Mehr erneuerbare Energien: Derzeit gilt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien spätestens im Jahr 2030 einen Anteil von 32 Prozent erreichen soll. Wahrscheinlich ist, dass diese EU-weite verbindliche Zielvorgabe deutlich angehoben werden soll – zum Beispiel auf 40 Prozent.
Mehr Steuern auf Energie: Die Luftfahrtbranche befürchtet einen Vorschlag für die Einführung einer europaweiten Kerosinsteuer. Sie könnte immer dann fällig werden, wenn Flugzeuge für innereuropäische Flüge betankt werden und würde das Fliegen teurer machen.
Emissionskompensation: Künftig sollen mehr Emissionen etwa durch Aufforstung kompensiert werden. Dadurch sollen der Treibhausgasausstoß etwa in der Landwirtschaft ausgeglichen werden. Der Konsum etwa von Milchprodukten und Fleisch ist mit der Produktion von Treibhausgasen wie Methan durch die Verdauung von Kühen verbunden.
Wie es nach diesem Mittwoch weitergeht...
Nach der Präsentation der Vorschläge an diesem Mittwoch fangen die eigentlichen Verhandlungen an, vor allem zwischen den Mitgliedstaaten im Rat der EU und dem Europäischen Parlament. Wie lange die Gespräche dauern, ist unklar. Grundsätzlich ist aber Eile geboten, um Industrie und Verbrauchern möglichst viel Zeit für die Umstellungen und notwendigen Einsparungen zu geben.