Was ist Ihre Botschaft an den chinesischen Präsidenten Hu Jintao zum Jahrestag des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens?
Erstens: Lassen uns, die Geflüchteten, in die Heimat zurückkehren. Sperren Sie uns nicht länger aus. Wir handelten als Patrioten, die China lieben. Die hundertaussenden, die uns in Peking folgten und die bis zu hundert Millionen im ganzen Land, haben das erkannt. Wir waren jung und wollten ein besseres China. Deshalb fordere ich zweitens: Herr Präsident, bewerten Sie 1989 neu. Wir waren keine Konterrevolutionäre. Wir waren gegen Korruption, für eine Öffnung zum Westen und für Demokratie.
Zur Person
Wuer Kaixi, 37, lebt heute nach Jahren des Exils in Paris und Amerika mit seiner Frau und zwei Söhnen (8 und 5) in Taipeh, der Hauptadt Taiwans. Nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, bei dem hunderte Demonstranten starben, musste der Studentenführer aus China flüchten. Damals forderte er über das Megafon die Demonstranten zum Hungerstreik auf. Bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Premierminister Li Peng trug er seine Infusionen zur künstlichen Ernährung zur Schau. Heute hat er kräfig zugelegt. „Essen ist meine Leidenschaft, am liebsten Gerichte aus meiner Heimat der nordchinesischen Provinz Xinjiang", sagt Wu, der dem Minderheitenvolk der Uiguren angehört.
Nach dem Massaker hat der Westen ein Waffenembargo gegen Peking verhängt. Wie finden Sie, dass Bundeskanzler Schröder bei seinem jüngsten China-Besuch angekündigt hat, sich bei der EU für die Aufhebung des Embargos einsetzen zu wollen?
Das ist ein Schlag ins Gesicht der Toten, ihrer Eltern und der Demokratiebewegung. Schröder denkt, ein Embargo-Stopp entspricht deutschen Wirtschaftsinteressen. Aber er schlägt die falsche Richtung ein. Ich sage den Deutschen: Erinnert Euch an den blutigen Anlass. Wir wollten damals den Dialog, wir bekamen Panzer. Getreu der Mao-Devise, dass die Macht aus den Gewehrläufen kommt. Es ist aber Zeit, dass Peking nach Alternativen zur Gewehrlaufpolitik sucht. Dialog gebiert Ideen, konstruktive OOpposition und eine berechenbare politische Landschaft.
Hat sich China nicht geändert?
Nein. Heute will Taiwan, das sich friedlich von einer harten Diktatur in eine lebendige Demokratie gewandelt hat, frei sein - und China droht mit Raketen, falls die Insel offiziell ihre Unabhängigkeit erklärt. Drei Demokratien haben mir nach meiner Flucht Exil gewährt: Frankreich, Amerika und Taiwan. Es ist bitter, dass sich die beiden ersten nun gegen die dritten wenden, gegen meine neue Heimat Taiwan. George Bush und Jacques Chirac, die Führer der demokratischen Welt, kritisieren Taiwan und kotauen vor Peking. Sie tadeln, dass die Taiwanesen eine Volksabstimmung durchführen, ein urdemokrtisches Instrument. Selbst wenn der taiwanesische Präsident Chen Shui-Bian dies aus innenpolitischen Gründen getan hat, um die Wahlen zu gewinnen, hat die Welt kein Recht uns zu kritisieren. Die Worte von Bush und Chiraque, die Taiwan tadeln, erinnern mich an Appeasment, die Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler vor dem Weltkrieg.
Zum Massaker
Nach Angaben von Amnesty International sind in China rund 200 Menschen in Haft, weil sie für eine Rehabilitierung der Opfer des Massakers am Paltz des Himmlischen Friedens eintreten, die von der Regierung als Konterrevolutionäre eingestuft wurden. Der Dissident Wang Jinbo, Mitglied der verbotenen Demokratischen Partei Chinas, wurde wegen entsprechender Forderungen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der Dissidnet Huang Qi wurde im August 2001 festgenommen, weil er auf eine Webseite gegründet ahtte, auf der Familienangehörige nach verschollenen Opfern des Massakers suchen können.
Sie vergleichen Peking mit der Nazidiktatur?
China ist eine Wirtschaftsgroßmacht und bald eine Wirtschaftssupermacht. Es wird der Welt seinen Willen diktieren, in der Ölpolitik, in der Umweltpolitik. Indem es, gegenüber den westlichen Staaten die Ein-China-Politik, die alleinige diplomatische Anerkennung der Volksrepublik China und die Nichtanerkennung des demokratischen Taiwans durchgesetzt hat, lässt sich der Westen schon heute seine Politik von China diktieren. Dazu kommt, dass die Volksrepublik weiter gegen die Menschenrechte verstößt. Anhänger der rligkiösen Falun-Gong Bewegung inhaftiert, sich nicht an die Menschenrechtskonventionen hält, die es doch unterzeichnet hat. Aber die Welt schaut weg. Dafür wird die Welt einen Preis zu zahlen haben.
Sind Sie stolz darauf, unbequem zu sein?
Ja. Nach 1989 hat mich Peking als Hooligan und Rowdy diffamiert. Auch heute sehen viele in mir einen Störenfried. Vielleicht sollte ich Störenfried auf meine Vistitenkarte schreiben.
Sie leben seit 1997 in Taiwan im Exil. Womit verdienen Sie ihr Geld?
Ich habe drei Internet-Start-Ups gegründet, die nicht sehr erfolgreich waren. Zur Zeit bin Teilhaber einer Biotech-Firma und ein gefrageter Radio-und Fernsehkommentator. Wird es Krieg zwischen Peking und Taiwan geben oder ist eine Wiedervereinigung der durch den Bürgerkrieg getrennten Brüder vorstellbar. Taiwan braucht China in wirtschaflticher Hinsicht und kulturell haben Taiwan und die Volksrepublik China viel geeinsam. Poliitsch aber muss man feststellen: Durch seine Weigerung in einen fairen Dialog zu treten und die Wünsche nach Demokratie in Taiwan zu respektiren, ist China inzwischen selbst zum größten Hindernis für eine Wiedervereinigung geworden.
Quälen Sie manchmal Albträume, wenn Sie an die Toten von 1989 denken?
Oft, und nicht nur wegen des Horrors der vielen Toten. Ich war dabei, als das Schlachten anfing. Ich hatte damals keine Angst und ich habe heute keine Angst. Avber ich fühle mich oft elend wegen der Menschen, die ihr Leben verloren haben, weil ich sie zum Demonstrieren aufrief. Sie hörten meine Reden und folgten mir. Ich habe Schuldgefühle. Ich war der Führer und habe überlebt, während andere starben. Davon kann ich mich nicht reinwaschen.
Sie haben friedlich demonstriert. Staatsführer Deng Xiaoping hat den Befehl zum Militäreinsatz gegeben.
Richtig. Aber ich kann diese Trauma nur überwinden, indem ich helfe, den Traum zu verwirklichen, für den damals so viele gestorben sind: den Traum von Freiheit und einem gerechteren und besseren China.
Haben das die Kommunisten nicht zum Teil erreicht mit Wachstumsraten von rund zehn Prozent seit zwanzig Jahren?
Das ist doch unser Wachstum. Wir haben die Partei gezwungen, sich weg von der Ideologie und hin zu den Menschen zu bewegen, ihnen größere persönliche und wirtschaftliche Freiheiten zu geben. Die Demokratiebewegung von damals hat die Grundlagen für den Aufschwung geschaffen.
Hat die Regierung, die Stabilität als höchstes Gut preist, denn gar nichts dazu getan?
Sie ist das Problem. China steht vor soziale Konflikten, die nicht mit den Mitteln einer Diktatur gelöst weren könen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gigantisch, die Arbeitslosigkeit beträgt nach Schätzungen mehr als 15 Prozent.
Was schlagen Sie vor?
China braucht politische Reformen, eine Opposition und freie Wahlen.