Eigentlich will er sich mit niemandem treffen. Nicht zu viel erzählen über seinen Job und seine Kontakte. Ein Übermaß an Öffentlichkeit könnte womöglich stören, seine Informanten abschrecken: Diskretion ist entscheidend, wenn man wie Andrew Mwangura täglich mit Schwerverbrechern zu tun hat.
Auch für das Treffen im Chinatown-Restaurant in Mombasa hat Mwangura erst im letzten Augenblick zugesagt. Reine Vorsichtsmaßnahme: Die Regierung Kenias hat ihn bereits vor Gericht gestellt und ins Gefängnis geworfen. Als kürzlich somalische Piraten einen Frachter voll Kampfpanzer kaperten, ging diese Geschichte um die Welt - Mwangura hingegen steckt mittendrin, unfreiwillig. Er wird bedroht, weil er korrupten Politikern und skrupellosen Geschäftemachern in die Quere gekommen ist. Dabei will er nur Leben retten.
Die Position des 45-Jährigen dürfte weltweit einmalig sein: Wann immer ein Schiff in den piratenverseuchten Gewässern Ostafrikas gekapert wird, hört bei Mwangura das Telefon nicht mehr auf zu klingeln. Fast jeder, der mit den Seeräubern Kontakt aufnehmen will, wendet sich an den glatzköpfigen Mann aus Mombasa. Der fungiert als Vermittler und Informationszentrale - ohne staatliches Mandat und ohne direkte Bezahlung. So rufen ausländische Botschaften bei ihm an, um nach der Zusammensetzung gekidnappter Crews zu fragen. Journalisten interessieren sich für Details der Entführung, Reeder wollen wissen, wie man den Kontakt zu den Seeräubern aufnimmt. Selbst in der Nacht klingelt es oft, wenn besorgte Angehörige in Kamtschatka oder Kanada den Zeitunterschied vergessen.
Konsulat für Seeleute in Not
Der Kenianer kennt sich aus in der Region: Zehn Jahre fuhr er selbst zur See und lernte dabei die Häfen der Welt kennen. Als er 1996 endgültig wieder festen Boden unter den Füßen hatte, gründete er in seiner Heimatstadt das Seafarers' Assistance Programme - eine Art Konsulat für Seeleute in Not.
Dieser Einsatz für Matrosen in Mombasa sprach sich herum, immer mehr Leute aus der ganzen Welt nahmen Kontakt zu Mwangura auf. Es entstand ein einmaliges Netzwerk, das alle Küsten des Indischen Ozeans umspannt. In jedem Hafen sitzen heute Freunde und Vertraute, die ihn mit Informationen versorgen, etwa über ein- und auslaufende Schiffe oder über die Nationalität der Crewmitglieder. "Wir haben keine Satelliten, um die Bewegung der Schiffe zu verfolgen, keine Radar- oder Funkgeräte", sagt Mwangura und löffelt seine Suppe im Chinatown-Restaurant. "Aber wir können in wenigen Stunden feststellen, ob ein bestimmtes Schiff irgendwo durchgekommen ist oder wo es ein Problem gibt."
Er kennt Clans und Warlords
Seit sich die Piratenüberfälle vor den Küsten Somalias häufen, sammelt Mwangura vor allem Daten über entführte Frachter, verschleppte Crews und Lösegeldforderungen. Manchmal rufen ihn die Banditen sogar selbst an, wenn sie ein Schiff gekapert haben. Mwangura weiß, an wen er sich wenden muss, um über die Freilassung von Geiseln zu verhandeln; er kennt die Clans in Somalia, weiß, wo die Warlords operieren. Diese Informationen teilt er den Botschaften mit, ausländischen Reedern oder Versicherern. Sein Ziel ist klar: Er will die entführten Seeleute freibekommen. Ihr Glück zu erleben, wenn sie nach langer Geiselhaft Mombasa erreichen, sei "ein tolles Gefühl".
Mehr als ein tolles Gefühl bleibt dann auch selten für ihn übrig: Obwohl Reeder und Versicherungen regelmäßig millionenschwere Lösegeldzahlungen an die Piraten leisten, ist Mwangura mit seiner Arbeit nicht reich geworden. Manchmal immerhin bedankt sich die Familie eines freigelassenen Seemanns mit einer Spende, zuweilen erstattet auch eine ausländische Botschaft die Telefonkosten. Aber das reicht kaum aus, um seine Organisation und die Familie über Wasser zu halten.
Häufig rufen bei Mwangura verzweifelte Familienangehörige an, die seinen Rat oder auch nur seinen Trost suchen. Oft findet er dann beruhigende Worte: "Die somalischen Piraten sind keine Mörder. Die Crew wird meist gut behandelt und anständig ernährt." Natürlich kann es Zwischenfälle geben, denn die Gangster und ihre Geiseln stehen unter Dauerstress, oft gibt es auch simple Verständigungsschwierigkeiten. Aber gefährlich wird die Sache meist erst dann, wenn der Eigner auf stur schaltet und nicht verhandeln will. "Je länger die Verhandlungen dauern, desto schwieriger ist es, zu einer Lösung zu kommen", sagt er.
Denn mit jedem Tag versuchen neue Gruppen, sich an dem Geschäft zu bereichern. Die Händler, die der festgesetzten Crew Wasser und Essen verkaufen, stellen exorbitante Rechnungen für ihre Leistungen. Trittbrettfahrer kontaktieren Familienangehörige der Geiseln und versuchen, privat Geld zu erpressen. Andere Clans treten als Mittelsmänner auf und fordern einen Teil des Lösegelds. "Dann weiß niemand mehr so richtig, wer wirklich zuständig ist", sagt Mwangura.
Maschinengewehre, Panzerfäusten, Raketenwerfer
Trotz dieses Tohuwabohus ist die Seeräuberei am Horn von Afrika eine hochprofessionelle Angelegenheit. Piraten hören mit Hightech-Geräten den Schiffsfunk ab, dann greifen sie die Schiffe mit ihren Schnellbooten an. Bewaffnet mit schweren Maschinengewehren, Panzerfäusten und Raketenwerfern klettern sie an Bord und nehmen die Crew gefangen.
"Und die Piraten werden immer frecher", sagt Mwangura. "Sie greifen inzwischen große Frachter und Tanker an, fast jeden Tag. Und das, obwohl die Nato in der Gegend operiert." 33 Schiffe mit mehr als 600 Mann Besatzung wurden in diesem Jahr bereits gekapert; siebzehn Schiffe samt Crew warten derzeit auf Lösegeldzahlungen. Die EU will jetzt Kriegsschiffe ans Horn von Afrika verlegen. "Operation Atalanta" heißt die Mission, mit der die florierende Seeräuberei eingedämmt werden soll. "Die Jungs in den Schnellbooten sind aber nur das Fußvolk", sagt Mwangura. "Die Masterminds sitzen in klimatisierten Büros in Dubai und Nairobi, in London oder Hamburg. Es ist ein weltumspannendes Gebilde, wie die Mafia."
Der Lokalheld wird bedroht
Wer mit dem schmächtigen, unscheinbaren Mann durch Mombasa spaziert, muss viele Hände schütteln: In der Hafenstadt ist er ein Lokalheld. Von der Chamber for International Commerce hat Mwangura schon einen Preis bekommen für seinen Kampf gegen die Piraterie und für das Wohl der Seeleute. Ansonsten bringt ihm die Arbeit fast nur Ärger. Immer wieder wird er bedroht, meist am Telefon. Denn nicht selten spricht er unbequeme Wahrheiten aus: dass skrupellose Reeder an der Küste Somalias Giftmüll verklappen zum Beispiel. Dass dort illegale Fischerei, Waffen- und Drogenschmuggel florieren und dass korrupte Politiker die Kriege in der Region schüren, weil sie an dem Chaos verdienen. "Es gibt Leute, die mich zum Schweigen bringen wollen", sagt er.
Seit einem Monat muss Mwangura nun ganz konkret um sein Leben fürchten. Am 25. September hatten Seeräuber den ukrainischen Frachter "MV Faina" gekapert, der auf dem Weg nach Mombasa gewesen war. Das Schiff hatte Raketenwerfer und 33 Kampfpanzer vom Typ T-72 geladen - offiziell bestellt vom Verteidigungsministerium in Nairobi. Die Frachtpapiere, die Mwangura zugespielt wurden, wiesen aber GOSS als Endabnehmer aus, was Experten zufolge für "Government of Southern Sudan" steht. Mwangura informierte die Öffentlichkeit.
Festgenommen und beschuldigt
Die Regierung in Nairobi fühlte sich düpiert, denn Waffenlieferungen in den Südsudan sind per Uno-Beschluss untersagt. Mwangura wurde festgenommen und beschuldigt, falsche Informationen zu verbreiten, die "Angst und Panik in der Bevölkerung auslösen könnten". Erst nach neun Tagen im Gefängnis wurde er bis auf Weiteres freigelassen. Menschenrechtsorganisationen bezahlten hierfür die 2000 Euro Kaution - so viel Geld hatten weder Mwangura noch seine Familie aufbringen können.
Letztere hat Kenia ohnehin schon vor Wochen verlassen, weil sich Mwangura nicht mehr sicher fühlt. "Ich habe das so mit meiner Frau abgesprochen, nachdem ich die ersten Drohungen erhalten hatte", sagt er. "Ich könnte nicht weitermachen, wenn sie und unsere Kinder in Gefahr wären."
Inzwischen hat ein Untersuchungsausschuss des kenianischen Parlaments festgestellt, dass in diesem Jahr bereits drei Schiffe mit Waffen in Mombasa gelöscht wurden - und ihre Ladung illegal in den Südsudan gelangte. Mehrere hohe Offiziere und Politiker sollen in das Geschäft verstrickt sein. Die Anklage gegen Mwangura wurde trotzdem aufrechterhalten. Man will ihm offensichtlich eine Lektion erteilen, die Geschäfte der korrupten Elite nicht weiter zu behindern.
Das Business floriert
Deren Business floriert ebenso wie das der somalischen Seeräuber. Während vor fünf Jahren höchstens 100.000 $ Lösegeld pro Schiff gezahlt wurden, sind heute bis zu 3 Millionen $ für einen Frachter üblich. Und das gilt nur für gewöhnliche Transporte: Das ukrainische Waffenschiff mit den Panzern an Bord ist ein ganz besonderer Fang. Für seine Freigabe fordern die Piraten 8 Millionen $. Die Verhandlungen laufen seit mehr als 50 Tagen, werden aber häufig unterbrochen. "Es mischen sich ständig Leute ein, die den Piraten versprechen, sie könnten mehr für sie rausholen", sagt Michail Woitenko, Chefredakteur des Branchendiensts Sovfracht Maritime Bulletin. Somalische Warlords bedrängen die Piraten, ihnen die Waffen zu verkaufen. Für diesen Fall droht aber die US-Marine mit einem Angriff. Der ukrainisch-israelische Schiffseigner wiederum schlägt vor, die Panzer einfach zu versenken und ihm seinen Frachter zurückzugeben. Die Leidtragenden sind die Matrosen, 17 Ukrainer, 2 Russen und 1 Lette: Ihre Familien starteten zu Hause eine Spendenaktion, um die Angehörigen freizukaufen.
Um die Geiseln heil nach Hause zu bekommen, glaubt Mwangura, muss eine gewaltfreie Lösung her. "Man kann das Schiff nicht so einfach stürmen, ohne die Besatzung in Gefahr zu bringen." Der Schutz von Menschenleben hat für ihn höchste Priorität - sogar wenn es um jenes der Seeräuber geht. "Wir leben doch im 21. Jahrhundert. Man kann nicht mehr einfach jeden Piraten am Schiffsmast aufhängen."