EU gegen militärisches Eingreifen Die Angst vor dem Pulverfass Syrien

Die Nato befasst sich mit dem Abschuss eines türkischen Kampfjets durch Syrien. Trotz des Vorfalls lehnt die EU einen Militäreinsatz gegen Assads Regime weiterhin ab.

Die Lage nach dem Abschuss eines türkischen Kampfjets durch die syrische Luftabwehr ist angespannt. Auf jeden Fall will die Europäische Union einen Flächenbrand in der Region vermeiden. "Ich habe die türkische Regierung ermutigt, es bei dem besonnenen Kurs zu belassen", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) am Montag bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen. Experten erwarten, dass auch bei einer Krisensitzung der Nato am Dienstag kein weiteres Öl ins Feuer gegossen wird.

Der britische Außenminister William Hague und auch der niederländische Ressortchef Uri Rosenthal sind für markige Worte gegenüber "Schurkenstaaten" wie Syrien und dem Iran bekannt. Doch die beiden Männer äußerten sich am Montag in Luxemburg zurückhaltend. Ein militärisches Eingreifen sei kein Thema, beteuerte Rosenthal. Und Hague, dessen Land beim internationalen Militäreinsatz gegen den libyschen Machthaber Muammar al Gaddafi gemeinsam mit Frankreich zu den treibenden Kräften gehörte, sieht durch den Abschuss des türkischen Kampfjets keine "neue Phase" der Syrien-Krise erreicht.

Der Auslöser der Besorgnis: Die syrische Luftabwehr schoss am Freitag einen türkischen Kampfjet ab - ohne Vorwarnung und in internationalem Luftraum. Zwar war der türkische Militärflieger während einer Übungsmission kurzzeitig in syrischen Luftraum eingedrungen, doch die Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus waren bereits zuvor zum Zerreißen gespannt. Die Türkei blickt seit Monaten mit wachsender Wut auf das Nachbarland, wo Präsident Baschar al Assad mit Gewalt gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht. Es gab bisher rund 15.000 Tote. Etwa 30.000 Männer, Frauen und Kinder flüchteten in die Türkei.

Nato berät über Flugzeug-Abschuss

Die Nato-Länder beraten nun am Dienstag auf Antrag Ankaras in einer Krisensitzung über den Vorfall. "Wenn es das Ziel dieses Treffens ist, die Lage zu beruhigen und Stabilität zu fördern, wünschen wir viel Erfolg", sagte der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Dschiad al Makdissi, am Montag in Damaskus. Wenn durch das Treffen jedoch die Agression gesteigert werden solle, müsse die syrische Regierung klarstellen: "Syriens Luftraum, Staatsgebiet und Gewässer sind der syrischen Armee heilig."

Ein Einschreiten der Nato wie in Libyen steht derzeit nicht zur Debatte. Dafür gibt es militärische Gründe: "Syrien hat eine drei Mal größere Bevölkerung als Libyen, eine 30-fach höhere Bevölkerungsdichte und eine viel größere und weitaus fähigere Armee", analysiert Aram Nerguizian vom CSIS-Institut in Washington. Doch auch die enge Verbindung des Pulverfasses Syrien zum Iran und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah sprechen gegen einen militärische Auseinandersetzung, die auch Israel erfassen könnte.

Angesichts der explosiven Lage greift auch die türkische Regierung nicht zum letzten Mittel. Ankara beantragte die Beratung auf Grundlage des Artikels 4 des Nato-Vertrags. Der Passus sieht ein Treffen des Nato-Rats vor, wenn ein Mitglied "die Unversehrtheit des Gebiets" bedroht sieht. Erst im folgenden Artikel ist der sogenannte Nato-Bündnisfall geregelt, bei dem die Mitgliedsländer vereinbaren, dass ein "bewaffneter Angriff gegen eins oder mehrere von ihnen (...) als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird".

"Alle Beteiligten sind sich einig, jetzt ein gemeinsames politisches Signal abzugeben", erwartet der Sicherheitspolitik-Experten Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik vor der Nato-Krisensitzung. Zwar werde die Nato klarstellen, bei einer weiteren Eskalation ihre Bündnisverpflichtung wahrzunehmen. Aber zunächst sei ein Zeichen der politischen Solidarität mit der Türkei und möglicherweise logistische Hilfe bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge zu erwarten. Kaim ist sich sicher: "Wir sind weit entfernt davon, dass sich deutsche Truppen auf den Weg in die Südtürkei machen."

AFP
kave/AFP