EU-Ratspräsidentschaft Der "kleine Cäsar" thront über Europa

Beinahe wäre er mit einer Vorstrafe EU-Ratspräsident geworden. Doch der Justiz ist Silvio Berlusconi gerade noch entkommen. Nun wird die Union nach außen von einem Mann vertreten, der in Italien unter Korruptionsverdacht steht.

Der Justiz ist Silvio Berlusconi gerade noch entkommen. Ohne das vergangene Woche verabschiedete Immunitätsgesetz wäre der italienische Ministerpräsident Gefahr gelaufen, mit einer Vorstrafe EU-Ratspräsident zu werden. Dennoch muss der Milliarden schwere Unternehmer aus Mailand in den kommenden sechs Monaten beweisen, dass er auf internationaler politischer Bühne bestehen und die Geschicke der EU lenken kann. Am 1. Juli übernimmt seine Regierung den EU-Vorsitz von Griechenland.

Nicht sehr europafreundlich

Dabei ist die italienische Regierung seit dem Amtsantritt Berlusconis vor zwei Jahren bislang nicht als sehr europafreundlich aufgetreten. Teilweise rigoros vertraten die Minister aus Rom in Brüssel ihre eigene Agenda. Diese Politik kulminierte bei den Verhandlungen über eine einheitliche Besteuerung ausländischer Zinserträge. Italien machte seine Zustimmung zu diesem seit Jahren in der EU verhandelten Projekt davon abhängig, dass seine Bauern Strafzahlungen wegen Überschreiten der Milchquote erlassen bekommen.

EU-Diplomaten rieben sich denn auch nur verwundert die Augen über die Politik der Italiener. Als Ratspräsidentin ist die Regierung in Rom für die nächsten sechs Monate dagegen verpflichtet, für einen Ausgleich zu sorgen. Es gilt als Gentlemen's Agreement, dass die jeweilige Regierung in dieser Zeit ihre nationalen Anliegen hinten anstellt.

Zweifel in Brüssel

Ob Berlusconi dieser Rolle gerecht wird, daran bestehen in Brüssel einige Zweifel. Denn dem angehenden Ratspräsidenten fällt die äußerst schwierige Aufgabe zu, in den nächsten sechs Monaten einen Kompromiss der Mitgliedstaaten in Sachen europäischer Verfassung auszuloten. Den Entwurf dazu hatte zwar der EU-Konvent Mitte Juni vorgelegt. Mehrere Mitgliedstaaten haben aber bereits Verhandlungsbedarf angemeldet, wie beim Gipfel vergangene Woche in Porto Karras in Griechenland deutlich wurde.

Die Verfassung soll die EU auch nach der Erweiterung um zehn Länder am 1. Mai 2004 handlungsfähig machen. Bei der Neuordnung der Machtverteilung zwischen den EU-Institutionen gilt es, einen feingliedrigen Kompromiss zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten zu finden. Dies betrifft die Frage nach der künftigen Größe der EU-Kommission genauso wie die immer lauter werdende Forderung nach der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen auch für die EU-Außenpolitik.

Berlusconi drückt aufs Tempo

Ginge es nach Berlusconi, dann würde die Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten zur Verfassung im Dezember abgeschlossen. Bei einem Gipfeltreffen in Rom würden die Staats- und Regierungschefs Europas erste Verfassung unterzeichnen und damit die zweiten römischen Verträge ins Leben rufen. Realistischer ist allerdings, dass sich die Verhandlungen der Mitgliedstaaten bis zum Frühjahr 2004 hinauszögern und unter irischer Präsidentschaft abgeschlossen werden. Es sei denn, Berlusconi gelingt der Durchbruch.

Dann, im Frühjahr 2004, soll die Verfassung feierlich unterzeichnet werden - ebenfalls in Rom, als Erinnerung, dass in der Ewigen Stadt 1957 die Römischen Verträge unterschrieben wurden. Das war quasi der Startschuss zur "Erfolgsstory Europa". Solche großen Auftritte weiß Italien mit Glanz und Gloria auszurichten.

Griechenland übergibt Zepter

Das Zepter an die Italiener übergeben die Griechen, deren Präsidentschaft seit Beginn im Januar von der Irak-Krise überschattet war. Mit sehr viel Ehrgeiz hatte Außenminister Georgios Papandreou die Ziele seiner Regierung im Dezember 2002 verkündet. An vorderster Stelle stand dabei die Vollendung der EU-Erweiterung, was mit Unterzeichnung der Verträge bei einem Gipfeltreffen am 16. April in Athen auch gelang. Zudem wollte die Präsidentschaft dem Konvent zum Erfolg verhelfen, was ebenfalls umgesetzt wurde.

Nur musste die griechische Regierung in beiden Feldern nicht viel tun. Die Erweiterung war schon unter dänischer Präsidentschaft beschlossen worden, auf die Arbeiten des Konvents hatte die Athener Regierung nicht mehr Einfluss als andere Mitgliedstaaten auch. Weitere Schwerpunkte waren die Heranführung des Balkans an Europa und die legale und illegale Einwanderung. In diesen beiden Punkten konnte die Präsidentschaft einige Akzente setzen.

Spannungen um die richtige Haltung im Irak-Konflikt

Ein reibungsloser Ablauf ihrer Präsidentschaft wurde den Griechen aber von der Irak-Krise verhagelt. Ministerpräsident Konstantinos Simitis sah sich sogar genötigt, am 17. Februar in Brüssel einen Sondergipfel einzuberufen. Gelöst wurden die EU-internen Spannungen um die richtige Haltung in dem Konflikt dabei nicht. Immerhin nutzte Außenminister Papandreou aber die Krise, um bei seinen Kollegen die Notwendigkeit einer EU-eigenen globalen Sicherheitsstrategie durchzusetzen.

Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana legte dem EU-Gipfel dazu vergangene Woche ein erstes Papier vor, in dem die Union ihre weltweiten außenpolitischen Ambitionen deutlich macht und bei der Bekämpfung von Gefahren für ihre Sicherheit auch den Einsatz militärischer Gewalt nicht ausschließt. Beschlossen werden soll die Strategie bis Jahresende - unter Berlusconis Führung.

Sanierung auf EU-Kosten?

Außerdem möchte Italien, dass das Rentenproblem, das fast alle Europäer gleichermaßen drückt, auf EU-Ebene "überdacht" wird. Ob Berlusconi dabei Erfolg hat, ist aber fraglich. Skeptiker aus anderen EU-Ländern hegen den Verdacht, Italien wolle sein marodes Rentensystem am Ende mit Hilfe der EU sanieren.

Ein anderes brennendes Problem, das wurde erst dieser Tage wieder einmal vor Augen geführt, ist das Problem der illegalen Zuwanderer, die übers Mittelmeer nach Italien kommen. Innerhalb weniger Tage landeten Dutzende Flüchtlingsboote in Süditalien, mindestens zwei davon gingen unter. Fast 300 Menschen aus der Dritten Welt ertranken. Beinahe hat sich die Welt schon an diese Dramen gewöhnt.

Aber da es vor der Haustür der Italiener passiert, wird Berlusconi seine Präsidentschaft nutzen. "Migration ist ein gesamteuropäisches Problem", heißt seine Devise. Rom hätte am liebsten gemeinsame Marinepatrouillen aus mehreren Ländern auf dem Mittelmeer. Aber dass demnächst deutsche Grenzschützer vor Sizilien Wache schieben - das bleibt wohl erst einmal ein Wunschtraum Berlusconis.

Presse skeptisch über italienische EU-Ratspräsidentschaft

Die europäische Presse setzt sich am Dienstag kritisch mit der an diesem Tag beginnenden EU-Ratspräsidentschaft Italiens unter Führung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi auseinander.

CORRIERE DELLA SERA (Italien): "Als Präsident der Union wird Berlusconi letztlich nicht wegen seiner Gerichtssachen oder seines Interessenkonfliktes beurteilt werden. Er wird gewogen und beurteilt werden als Organisator von Einigungen, als Vermittler und geduldiger Urheber von Vorschlägen, die der Zukunft der EU nützen."

TIMES (Großbritannien): "Wie alle Politiker, die der Realitäten zu Hause müde sind, will er seiner und die Rolle Italiens auf der internationalen Bühne stärken. Seine Kämpfe im eigenen Haus dürfen nicht alle seine Energie aufbrauchen. Das ist auch in Europas Interesse."

LIBÉRATION (Frankreich): "Der italienische Staatschef hat keinerlei Skrupel. Er regiert nach dem Prinzip: Was gut für mich ist, ist es auch für Euch - und haltet Euren Mund. Berlusconi ist eine Gefahr für die Integrität der Politik."

LE FIGARO (Frankreich): "Die pro-atlantische Einstellung, die ihm seine Gegner erbittert vorwerfen, kann er nun klar und deutlich in den Dienst Europas stellen. Allerdings wird das keine leichte Aufgabe sein. Sein Image in Europa ist so schlecht, dass ihm ein einziger falscher Schritt nicht verziehen wird."

EL PAÍS (Spanien): "Jahrelang ist Italien ein Synonym von Europäismus gewesen. Mit Silvio Berlusconi als Ministerpräsident hat sich das Land zur Sorge der übrigen Europäer und der Italiener selbst aber von dieser zentralen Position entfernt."

WREMJA MN (Russland): "Der Hauptvorwurf vieler Europäer gegen den italienischen Regierungschef ist, dass er dem "amerikanischen Bruder" George W. Bush zu nahe steht und Rom in jüngster Zeit dessen Weisungen erfüllt. Es wird erwartet, dass das Verhältnis zwischen Rom und Washington sogar noch enger wird."

LE SOIR (Belgien): "Als ob die jusristischen Qualen nicht schon ausreichten, hat der Chef der italienischen Regierung in den vergangenen Wochen eine Reihe von Steinen in den europäischen Teich geworfen, "die zumindest den Grad seiner Vorbereitung in Frage stellen", wie ein Diplomat urteilt."

Alexander Ratz