Ein bisschen stolz darf Bundeskanzlerin Angela Merkel schon sein, wenn sie am Donnerstag in Lissabon ihre Unterschrift unter den neuen EU-Reformvertrag setzt. Denn ohne ihren Einsatz als EU-Ratspräsidentin in der ersten Jahreshälfte wäre das Dokument wohl nicht zu Stande gekommen, das die EU ab 2009 effizienter, transparenter und demokratischer machen soll. Soll. Aber mit der Unterzeichnungszeremonie am Donnerstag ist der Vertrag noch nicht rechtskräftig - er muss noch in allen 27 EU-Staaten ratifiziert werden.
Dass so ein Ratifizierungsprozess eine riskante Angelegenheit ist, weiß man in der EU spätestens seit 2005. Damals sagten in zwei Volksabstimmungen erst die Franzosen, dann die Niederländer Nein zum EU-Verfassungsentwurf - dem Vorläufer des neuen Reformvertrags. Die Europäische Verfassung, entwickelt in einem fast dreijährigen Diskussionsprozess unter Beteiligung der Parlamente, war damit erledigt. Damit dem Reformvertrag nicht das gleiche Schicksal widerfährt, wollen dieses Mal die meisten EU-Staaten auf eine Volksabstimmung verzichten - allen voran Frankreich. Dessen neuer Präsident Nicolas Sarkozy sprach sich schon im Wahlkampf für einen Ersatz der Verfassung durch einen abgespeckten Vertrag aus, für den eine Ratifizierung durch das Parlament genüge.
60 Prozent der Iren sind unentschlossen
Genau so ist es gekommen: Der Titel Verfassung wurde gestrichen. Auch staatsähnliche Symbole wie das Sternenbanner der EU und die Europa-Hymne wurden aus dem Text getilgt. Mindestens in einem der 27 EU-Staaten wird es aber trotzdem eine Volksabstimmung geben: In Irland ist dies qua Verfassung vorgeschrieben. Die Bewohner der Grünen Insel haben der EU schon einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Juni 2001 stimmten sie gegen den EU-Vertrag von Nizza. Im Oktober 2002 nahmen sie das Dokument dann aber doch noch an.
Auch die Begeisterung für den Reformvertrag hält sich nach einer ersten Umfrage der "Irish Times" in Grenzen. Zwar lehnten ihn nur 13 Prozent der Wahlberechtigten ausdrücklich ab, über 60 Prozent seien aber unentschlossen, berichtete die Zeitung Anfang November. Außenminister Dermot Ahern zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass "das irische Volk sein Bekenntnis zur starken Stellung Irlands im Herzen der Union erneuern" werde. In der Tat sind die Iren grundsätzlich proeuropäisch - 76 Prozent halten ausweislich einer Eurobarometer-Umfrage vom Frühjahr die EU-Mitgliedschaft Irlands für "eine gute Sache", das ist die zweithöchste Zustimmungsrate in ganz Europa.
Mehr Sorge als das Referendum in Irland bereitet EU-Politikern deshalb das europaskeptische Nachbarland Großbritannien. Bislang schließt der britische Premierminister Gordon Brown eine Volksabstimmung zwar aus - ob der innenpolitisch angeschlagene Regierungschef den Rufen nach einem Referendum dauerhaft standhalten kann, ist indes ungewiss.
Unterzeichnung im Kloster
Ob die Unterzeichnung des Reformvertrags in Lissabon tatsächlich in die Geschichte eingeht, wird sich also erst nachträglich erweisen. Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft ist jedenfalls sichtlich darum bemüht, die Geister des verblichenen Verfassungsvertrags zu bannen: Für die Zeremonie am Donnerstag lädt sie ins Hieronymuskloster im altehrwürdigen Stadtteil Belém ein. In dem Prachtbau aus dem 16. Jahrhundert wurde 1985 bereits das Abkommen über den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet - und das hat jedenfalls gehalten.
Ministerrat
Der Ministerrat entscheidet nach neuen Regeln. Spätestens von 2017 an gilt nicht mehr eine bestimmte Stimmenzahl pro Land (Gewichtung), sondern eine "doppelte Mehrheit". Die qualifizierte Mehrheit liegt bei 55 Prozent der Staaten, wenn diese mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.
Europäischer Rat
Der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, wählt einen Präsidenten für jeweils zweieinhalb Jahre. Bisher wechselt der Vorsitz alle sechs Monate. Im Ministerrat bleibt es bei der Rotation des Vorsitzes im Halbjahresrhythmus - mit Ausnahme des Außenministerrates.
Außenpolitik
Für die Außenpolitik ist der "Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" zuständig. Er bekommt einen diplomatischen Dienst, leitet den Außenministerrat und wird Vizepräsident der EU- Kommission. Dort fällt der Posten des Außenkommissars weg. Die EU- Staaten behalten wichtige außenpolitische Kompetenzen.
Europaparlament
Das Europaparlament hat künftig einschließlich des Parlamentspräsidenten 751 (bisher 785) Abgeordnete. Die Zahl der deutschen Abgeordneten sinkt von 99 auf 96. Die EU-Kommission besteht von 2014 an nicht mehr aus einem Kommissar pro Mitgliedstaat. Die Zahl wird auf zwei Drittel der EU-Staaten gesenkt.
Nationale Parlamente
Die nationalen Parlamente können Bedenken gegen geplante Gesetze geltend machen. Der Austritt aus der EU wird geregelt.
Justiz und Innere Sicherheit
Die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Innere Sicherheit beruht künftig öfter als bisher auf Gemeinschaftsrecht. Es soll mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden können. Zugleich gibt es für Großbritannien, Irland und Dänemark die Möglichkeit, in diesem Bereich aus gemeinsamen Beschlüssen auszusteigen (Opt Out).
Grundrechtecharta
Eine Charta der Grundrechte ist nicht mehr Teil der Verträge, doch wird in den Verträgen auf sie hingewiesen. Die Charta wird ausdrücklich anerkannt, sie hat "dieselbe Rechtsverbindlichkeit wie die Verträge". Es wird schriftlich festgehalten, dass Großbritannien und Polen sie aber nicht anerkennen.