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Fragen und Antworten Aufruhr in der Grenzregion: Warum das Kosovo und Serbien sich nicht vertragen

Kfor-Soldaten und Kosovo-Polizisten bewachen in Zvecan im Norden des Kosovos ein städtisches Gebäude
Kfor-Soldaten und Kosovo-Polizisten bewachen in Zvecan im Norden des Kosovos ein städtisches Gebäude
© Dejan Simicevic / AP / DPA
Der Norden des Kosovo an der Grenze zu Serbien ist eine unruhige Region. Nach Ausschreitungen dort verstärkt die Nato nun ihre Schutztruppe Kfor im Kosovo. Darum geht es bei dem Streit zwischen den Nachbarn auf dem Westbalkan.

Im Grenzgebiet zwischen dem Kosovo und Serbien manifestieren sich seit Jahren die Spannungen zwischen den Nachbarn. Anfang der Woche spitze sich die Lage wieder einmal zu, als militante Serben die Stadtverwaltung von Zvecan im Norden des Kosovos stürmen wollten. Soldaten der internationalen Schutztruppe Kfor und die kosovarische Polizei stellten sich ihnen entgegen und wurden mit Steinen, Flaschen und Brandsätzen angegriffen. Bei den Zusammenstößen erlitten laut Kfor 19 ungarische und elf italienische Soldaten Verletzungen, darunter Knochenbrüche und Verbrennungen. Laut dem Krankenhaus in der nahen Stadt Mitrovica wurden 53 Serben verletzt. Am Dienstag versammelten sich erneut hunderte serbische Demonstranten vor der Stadtverwaltung. Kfor-Soldaten stellten eine Metallbarriere auf und hinderten sie daran, in das Gebäude einzudringen.

Angesichts der gewaltsamen Protesten verstärkt die Nato nun ihre Schutztruppe im Kosovo. Die Stationierung zusätzlicher Soldaten sei eine Vorsichtsmaßnahme "um sicherzustellen, dass die Kfor über die Fähigkeiten verfügt, die sie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gemäß unseres UN-Sicherheitsratsmandats benötigt", erklärte der Nato-Kommandeur Stuart B. Munsch am Dienstag am operativen Hauptkommando der Allianz in Italien. Er forderte zudem ein Ende der Gewalt.

Was hat die aktuellen Zusammenstöße ausgelöst?

Ursache der jüngsten Eskalation sind die im April von den kosovarischen Behörden abgehaltenen Kommunalwahlen in vier mehrheitlich von Serben bewohnten Orten. Die Serben hatten die Wahlen weitgehend boykottiert, so dass die albanische Minderheit trotz einer Wahlbeteiligung von insgesamt weniger als 3,5 Prozent die Kontrolle über die Gemeinderäte übernahm. Nun protestieren die Serben gegen den Amtsantritt neuer Bürgermeister, die aus der albanischen Volksgruppe kommen. Deren serbische Vorgänger hatten ihre Funktionen im vergangenen November aus Protest gegen die Regierung in Pristina niedergelegt, die durchsetzen wollte, dass die Serben im Norden ihre Fahrzeuge mit kosovarischen Kennzeichen statt serbischen ausstatten.

Das 1,8-Millionen-Einwohner-Land Kosovo mit seiner mehrheitlich ethnisch-albanischen Bevölkerung hatte im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt, wird aber von Belgrad bis heute als serbische Provinz betrachtet. Rund 120.000 Serben leben im Kosovo, vor allem im Norden. Im Rest des Landes leben fast ausschließlich Albaner.

Das Auswärtige Amt warnt schon seit Längerem vor einer angespannten Lage im Grenzgebiet. "Von Reisen in den Norden Kosovos (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) wird abgeraten", heißt es derzeit auf der Internetseite der Behörde. Es könne "nicht ausgeschlossen werden, dass es zu weiteren sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die auch Ausländer betreffen bzw. die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken".

Woher rührt der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien?

Der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien wurzelt tief in der Vergangenheit der Nachbarn. Im Mittelalter war die Region Kosovo Sitz des religiösen und politischen Zentrums Serbiens. Als das Osmanische Reich sich immer weiter nach Europa ausdehnte und 1389 das Gebiet besetzte, begann die christlich-serbische Bevölkerung abzuwandern und muslimische Albaner zogen nach. Im 20. Jahrhundert waren die Albaner schließlich die größte Bevölkerungsgruppe und die Serben eine ethnische Minderheit.

Gegen den Willen der albanischen Mehrheit wurde das Kosovo nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918 Teil des neu gegründeten Königreichs Jugoslawien, zu dem auch die Teilrepublik Serbien gehörte. 1974 wurde das Gebiet zur autonomen Provinz von Serbien erklärt. 15 Jahre später hob der damalige serbische Präsident Slobodan Milosevic die Autonomie des Kosovos auf und schickte Truppen, um Proteste niederzuschlagen.

Der Streit um den Status des Kosovos mündete schließlich in den Krieg von 1998 bis 1999 zwischen der Armee Jugoslawiens und serbischen paramilitärischen Kräften auf der einen Seite und der Befreiungsarmee des Kosovos (UÇK) sowie ab 1999 Nato-Streitkräften unter Führung der USA auf der anderen Seite. Während des Krieges wurde die kosovarische und vor allem die kosovo-albanische Zivilbevölkerung Opfer von systematischen Überfällen, Vertreibungen und Massenmorden. Auch die UÇK machte sich schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig. Der Krieg endete schließlich mit dem Abzug Serbiens aus dem Kosovo. Die Provinz wurde unter UN-Verwaltung gestellt und die Nato stationierte dort die Schutztruppe Kfor zu der auch die Bundeswehr gehört. Rund 200.000 serbische Bewohner und Nicht-Albaner flüchteten vor Übergriffen aus dem Kosovo.

Im Jahr 2005 stimmte das von den Vereinten Nationen eingesetzte Übergangsparlament des Kosovos für die Gründung eines unabhängigen Staates. Daraufhin starteten die UN eine Vermittlungsmission über den künftigen Status der serbischen Provinz, die jedoch zwei Jahre später für gescheitert erklärt wurde. Das Kosovo erklärte sich daraufhin am 17. Februar 2008 einseitig für unabhängig. Serbien erkennt diese Eigenstaatlichkeit aber bis heute nicht an und beansprucht das kosovarische Staatsgebiet als zentrales Element des religiösen und nationalen Bewusstseins für sich.

Wie steht der Rest der Welt zum Kosovo?

Mehr als 110 Staaten betrachten die Abspaltung des Kosovos von Serbien als legitim und haben die Republik Kosovo anerkannt – darunter Deutschland und die USA. Russland und China, die aus innenpolitischen Gründen das in der UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker ablehnen, sehen die Unabhängigkeit des Kosovos dagegen als völkerrechtswidrige Verletzung der serbischen Souveränität an.

Innerhalb der Europäische Union ist die Haltung zum Kosovo uneinheitlich: Neben Deutschland erkennen 21 weitere EU-Staaten das Kosovo als eigenständig an. Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien tun dies allerdings nicht. Hintergrund sind auch hier Autonomiebestrebungen von Minderheiten in diesen Ländern, etwa der Katalanen in Spanien.

Wie geht es weiter mit dem Kosovo und Serbien?

Seit 2011 finden unter Vermittlung der Europäischen Union Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien statt. Serbien ist EU-Beitrittskandidat und das Kosovo gilt als potenzielles Kandidatenland und die EU hat die Beitrittsperspektive für die Länder an Reformen und substanzielle Fortschritte bei der Überwindung der zwischen- und innerstaatlichen Konflikte gekoppelt. "Doch solange einflussreiche EU-Staaten, wie Frankreich, die Aufnahme neuer Mitglieder blockieren, besteht die reale Gefahr, dass die Reformbereitschaft des Kosovos und der anderen Staaten der Region erlahmt", schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. Deshalb ist das Kosovo das Westbalkan-Land, welches von einem möglichen EU-Beitritt noch am weitesten entfernt ist.

Doch die Verschiebung der EU-Mitgliedschaft auf unbestimmte Zeit mindere nicht nur die Bereitschaft Pristinas und Belgrads, die vereinbarten Reformen umzusetzen und ihren Dialog unter EU-Vermittlung weiterzuführen, sie öffne auch anderen Mächten wie China, der Türkei und den Golfstaaten die Tür in die Region, so die BpB. Auch Russland versuche, seine traditionell starke Präsenz zu reaktivieren.

Der Konflikt zwischen den Nachbarn verstärke zudem Ressentiments in der Bevölkerung und vertiefe die Spaltungen, schreibt die Bundeszentrale: Kosovo-Albaner, die etwa 87 Prozent der Bevölkerung ausmachten, und die etwa acht Prozent Kosovo-Serben lebten weitgehend getrennt in ihren je eigenen Stadtvierteln und Dörfern. Serben, aber vor allem die kleineren Minderheiten — Montenegriner, Türken, Bosniaken, Roma, Goranci, Ashkali und Juden — litten unter Diskriminierung zum Beispiel beim Kauf von Land und Immobilien, bei der Ausbildung und der Arbeitssuche.

Quellen: Auswärtiges AmtBundeszentrale für politische Bildung, Landeszentrale für politische Bildung Baden-WürttembergEuropäisches Parlament, AFP, DPA

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