Naher Osten Israels greift erneut Hisbollah-Stellungen im Libanon an – Feuerpause in Gaza steht auf der Kippe

Israelische Soldaten feuern nahe der Grenze zum Libanon eine mobile Haubitze ab.
Israelische Soldaten feuern nahe der Grenze zum Libanon eine mobile Haubitze ab (Archivfoto)
© Ilia Yefimovich / DPA
Bei einem Einsatz im Gazastreifen will Israel mehr als 100 Terroristen getötet haben. Vor einem wichtigen Treffen in den USA wachsen die Zweifel am einer Feuerpause und die Kritik der US-Regierung an Israel.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt vor weiteren Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln im Gaza-Krieg ein Einlenken der Hamas. Erst müsse die Islamisten-Organisationen wie gefordert eine Liste mit den Namen der noch lebenden Geiseln in ihrer Gewalt vorlegen, sagte der rechte Regierungschef am Sonntagabend in einer Ansprache in Tel Aviv. Am selben Tag waren Delegationen der Hamas und der Vermittlerstaaten USA und Katar in Kairo zu einer weiteren Gesprächsrunde eingetroffen. Israel dagegen hat vorerst keine Delegation entsandt. Dass derweil Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, ohne Netanjahus Zustimmung zu Gesprächen nach Washington reiste, sorgte laut israelischen Medien intern für scharfe Kritik. Gantz drängt auf ein Abkommen und hat erklärt, die Freilassung der Geiseln sei dringlicher und wichtiger als die von Netanjahu zum Ziel erklärte Zerschlagung der Hamas.

Netanjahu: Werden vor wahnhaften Forderungen der Hamas nicht kapitulieren

Es sei zu früh zu sagen, ob es in den nächsten Tagen ein Konzept für einen Deal geben werde, sagte Netanjahu. "Wir unternehmen große Anstrengungen, um erfolgreich zu sein, aber eines ist Ihnen klar - wir werden vor den wahnhaften Forderungen der Hamas nicht kapitulieren", bekräftigte der innenpolitisch in der Geiselfrage unter Druck stehende Regierungschef. Er will zunächst auch wissen, ob die Hamas der im letzten Vorschlag der Vermittler genannten Zahl an palästinensischen Häftlingen zustimmt, die im Austausch gegen Geiseln freizulassen wären. Er habe noch keine Antwort auf seine Fragen bekommen, sagte Netanjahu und wies "den internationalen Druck zurück, den Krieg zu beenden", bevor Israel alle seine Ziele erreicht habe. In Medienberichten hatte es zuletzt geheißen, 40 Geiseln könnten gegen 400 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden.

Bericht: Hamas-Anführer will Verhandlungen sabotieren

Örtlichen Medienberichten zufolge gibt es in israelischen Kreisen Zweifel, ob ein Abkommen über eine Geisel-Freilassung und eine Feuerpause noch vor dem für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan, der um den 10. März beginnt, zustande kommt. Der Anführer der Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, versuche absichtlich, die Verhandlungen zu sabotieren, um während des Ramadan Unruhen im gesamten Nahen Osten zu provozieren, zitierte die israelische Nachrichtenseite "Ynet" einen ranghohen israelischen Beamten am Sonntagabend. "Sinwar zieht es vor, die Spannungen im Nahen Osten zu verschärfen und während des Ramadans Blutvergießen und Chaos im Gazastreifen zu verursachen, anstatt die Alternative einer sechswöchigen Waffenruhe und humanitärer Hilfe zu wählen, die das Leiden der lokalen Bevölkerung im Gazastreifen erheblich lindern würde", sagte der Beamte.

Ranghohe Gespräche in Washington 

Israels Verteidigungsminister Joav Galant hatte erst kürzlich gesagt, die Hamas wolle den Krieg vom Gazastreifen ins Westjordanland tragen. "Das Ziel der Hamas ist es, Judäa und Samaria (hebräisch für Westjordanland) anzuzünden, und wenn möglich auch noch den Tempelberg (in Jerusalem)". Laut Nachrichtenportal "Axios" vom Sonntag drängt US-Präsident Joe Biden Ägypten und Katar dazu, die Hamas noch vor dem Ramadan zu einer vorübergehenden Feuerpause zu bewegen. Die drei Vermittlerstaaten seien sich einig, dass ein Zustandekommen einer Einigung derzeit an der Hamas hänge. Die Hamas fordert einen umfassenden Waffenstillstand. Der Vermittlervorschlag sieht nach US-Angaben lediglich eine sechswöchige Feuerpause vor. Ein namentlich nicht genannter israelischer Beamter wurde von "Axios" mit den Worten zitiert, er schätze die Chancen für eine Einigung auf 50 zu 50.

stern-Reporterin Katharina Kunert
stern-Reporterin Katharina Kunert berichtet aus Israel
Zurück am Ort des Massakers: stern-Reporterin über den ersten Rückkehrer nach Kfar Aza

Unterdessen traf das Mitglied im israelischen Kriegskabinett, Benny Gantz, am Sonntag in Washington ein, wo er an diesem Montag US-Vizepräsidentin Kamala Harris und den nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan treffen will. Gantz hatte im Januar gesagt: "Die dringendste Angelegenheit ist die Rückführung der Geiseln, sie ist wichtiger als alle Elemente des Kampfes." Am Dienstag will der israelische Politiker laut Medienberichten mit US-Außenminister Antony Blinken zusammentreffen. Am selben Tag wird "Axios" zufolge auch Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Washington erwartet.

Harris kritisiert Israel für Lage im Gazastreifen

US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat unterdessen Israel wegen unzureichender Hilfslieferungen in den Gazastreifen kritisiert und eine sofortige Waffenruhe in dem Palästinensergebiet gefordert. "Angesichts des riesigen Ausmaßes an Leid in Gaza muss es eine sofortige Waffenruhe für mindestens die nächsten sechs Wochen geben", sagte Harris, die am Montag in Washington den einflussreichen israelischen Minister Benny Gantz treffen wird, am Sonntag im Bundesstaat Alabama.

Ein Vorschlag für eine entsprechende Feuerpause, die auch mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen sowie eine Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas ermöglichen würde, läge "auf dem Tisch", sagte die Stellvertreterin von US-Präsident Joe Biden in der Stadt Selma. "Die Hamas muss diesem Deal zustimmen." Die USA versuchen zusammen mit Ägypten und Katar eine Feuerpause zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas zu vermitteln.

In ungewöhnlich scharfer Form rief Harris die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zudem auf, mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen. "Die israelische Regierung muss mehr tun, um den Fluss von Hilfsgütern bedeutsam zu vergrößern", sagte die Vizepräsidentin. "Keine Entschuldigungen." So müsse Israel weitere Grenzübergänge öffnen und dürfe keine "unnötigen Beschränkungen" für eine Auslieferung von Hilfen auferlegen.

Auch US-Außenminister Antony Blinken forderte mehr Hilfslieferungen für den Gazastreifen. "Die Menschen brauchen dringend mehr Lebensmittel, Wasser und andere Hilfe", schrieb Blinken im Kurzbotschaftendienst X, früher Twitter.

Israels Armee meldet weitere Tote bei Einsätzen im Gazastreifen

Derweil setzt das israelische Militär den Kampf gegen die Hamas fort und tötete nach eigenen Angaben nun ein für die Rekrutierung von Terroristen zuständiges prominentes Mitglied der Islamisten. Wie die Armee am Sonntagabend bekannt gab, sei Mahmoud Muhammad Abd Khad auch an der Beschaffung von Geldern für den Terrorismus und zur Unterstützung der militärischen Aktivitäten der Hamas beteiligt gewesen. Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, dass im nördlichen Gaza "mehr als 100 Terroristen" getötet worden seien. Zudem seien 35 Einrichtungen der Hamas und des Islamischen Dschihad, darunter Waffenlager und Produktionsanlagen, zerstört worden. "Dutzende Terroristen" seien festgenommen worden. Sämtliche Angaben des israelischen Militärs konnten nicht unabhängig überprüft werden.  

Auslöser des Gaza-Krieges war der Terror-Überfall der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres im Süden Israels. Die Terroristen töteten bei dem beispiellosen Massaker 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen: Israel griff das Küstengebiet militärisch an, um die Hamas zu zerschlagen. Dabei kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza bisher 30 410 Palästinenser ums Leben, wobei diese Zahl sowohl Zivilisten als auch Kämpfer enthält.

Israels Militär: Wieder Hisbollah-Stellungen angegriffen

Unterdessen griff das israelische Militär im Süden Libanons nach eigenen Angaben erneut Stellungen der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz an. Kampfflugzeuge hätten eine Militäranlage der Schiiten-Miliz in der Gegend von Aita asch-Scha'b und terroristische Infrastruktur in der Gegend des libanesischen Grenzortes Kfarkela getroffen, teilte die Armee am Sonntagabend mit. Im Laufe des Tages habe es eine Reihe von Raketenabschüssen aus dem Libanon in Richtung Nordisrael gegeben. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Seit Beginn des Gaza-Krieges kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion immer wieder zu gegenseitigem Beschuss. Israels Verteidigungsminister Galant kündigte kürzlich an, den militärischen Druck auf die Hisbollah zu erhöhen, bis sich die Schiiten-Miliz von der Grenze zu Israel zurückgezogen habe.

 

DPA
km