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TV-Interview Joe Biden erklärt Pandemie für beendet und droht China – das erstaunt selbst enge Berater

US-Präsident Joe Biden während des Interviews in 60 Minutes
Erstaunte mit einigen Aussagen: US-Präsident Joe Biden während der CBS-Sendung "60 Minutes".
© Screenshot/CBS 60 Minutes
Im CBS-Interview "60 Minutes" hat Joe Biden Stellung bezogen zu den drängenden Themen der Zeit. Die Pandemie erklärte er für beendet, an Putin und Xi richtete er deutliche Warnungen. Vieles davon überraschte – auch die Präsidenten-Berater.

Die Interview-Sendung "60 Minutes" auf CBS ist ein angesehenes Format im US-Fernsehen. Rund eine Stunde lang haben maßgebliche Politiker und Politikerinnen dort Gelegenheit, sich vergleichsweise ausführlich zu den Fragen der Zeit zu äußern – und nicht selten produziert die Sendung Nachrichten.

Joe Biden gelang das in der Ausgabe vom vergangenen Sonntag bei nahezu jeder Frage, die Moderator Scott Pelley ihm stellte. So manche, sehr klare Aussage des US-Präsidenten zu den Krisen der Welt überraschte selbst engste Berater – und trieb politischen Beobachtern Sorgenfalten auf die Stirn. Dies sind Bidens fünf wichtigste Aussagen aus dem Interview – und die Reaktionen darauf.

Warnung an Putin vor Einsatz von Atomwaffen

Frage: "Während die Ukraine auf dem Schlachtfeld erfolgreich ist, wird Wladimir Putin in Verlegenheit gebracht und in die Ecke gedrängt. Ich frage mich, Mister President, was Sie ihm sagen würden, wenn er den Einsatz chemischer oder taktischer Nuklearwaffen in Betracht zieht?"
Biden: "Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht. Sie werden das Gesicht des Krieges in einer Art und Weise verändern, wie man es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen hat."

Auf die Nachfrage, wie denn die Konsequenzen aussehen könnten, wollte der US-Präsident nicht konkret antworten: "Glauben Sie, ich würde es Ihnen sagen, wenn ich genau wüsste, was passieren würde? Natürlich würde ich es Ihnen nicht sagen. Es wird folgenreich sein. Sie würden mehr zu einem Ausgestoßenen in der Welt werden, als sie es je waren."

Die Äußerung Bidens hat unter politischen Beobachtern die Frage ausgelöst, ob der US-Präsident auf Geheimdienst-Informationen reagiert habe, dass ein Einsatz taktischer Atomwaffen angesichts der zuletzt erfolgreichen Gegenoffensive der ukrainischen Armee bevorstehen könnte. Über konkretere Hinweise auf einen solchen Einsatz wurde bisher aber nichts bekannt. Im vergangenen Monat hatten die Vereinten Nationen davor gewarnt, dass die Menschheit "nur eine Fehleinschätzung von der nuklearen Vernichtung entfernt" sei. Nicht widersprochen wurde bisher einer Aussage aus dem Kreml vom März, wonach Russland Atomwaffen nur im Falle einer "Existenzbedrohung" für das Land einsetzen werde, nicht aber wegen des Krieges in der Ukraine. Allerdings hat sich das Kriegsgeschehen seither zu Ungunsten Russlands entwickelt.

Die USA würden Taiwan gegen eine Invasion Chinas verteidigen

Frage: "Aber würden US-Streitkräfte die Insel [Taiwan, Anm. d. Red.] verteidigen?"
Biden: "Ja, wenn es tatsächlich einen beispiellosen Angriff geben würde."
Frage: "Im Gegensatz zur Ukraine, um das klarzustellen, Sir, würden US-Streitkräfte, US-Männer und -Frauen Taiwan im Falle einer chinesischen Invasion verteidigen?"

Biden: "Ja."

Das Weiße Haus bestätigte die Aussage des Präsidenten nicht. Vielmehr habe sich die US-Politik in der Taiwan-Frage nicht geändert. Offiziell hielten, die USA – anders als es Biden es bei "60 Minutes" sagte – eine "strategische Unklarheit" darüber aufrecht, ob US-Streitkräfte tatsächlich Taiwan verteidigen würden, berichtete CBS. Es gebe lediglich eine Verpflichtung, Taiwan für die Selbstverteidigung auszurüsten. Anfang des Monats hatte das US-Außenministerium den Verkauf von militärischer Ausrüstung für 1,1 Milliarden Dollar an die Inseldemokratie angekündigt.

In Sicherheitskreisen und unter politischen Beobachtern wurde die Äußerung Bidens mit Sorge zur Kenntnis genommen, beinhaltet sie doch die Drohung einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den Großmächten USA und China. In Peking wurde die Äußerung dementsprechend mit Verärgerung auf genommen. International wird befürchtet, dass im Schatten des Ukraine-Krieges Chinas Staatschef Xi Jinping sein vor einem Jahr verkündetes Ziel einer (friedlichen) "Wiedervereinigung" mit Taiwan gewaltsam durchsetzen könnte. Ein Besuch der Inseldemokratie durch die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, der Nummer 3 im US-Staat, hatte im Sommer Öl ins Feuer gekippt. China kündigte an, von nun an dauerhaft in der Meeresstraße von Taiwan präsent zu sein. "Wir [...] werden weiterhin verantwortungsbewusst [...] unsere Kommunikationswege mit Peking offen halten, [...]", sagte Außenministeriums-Sprecher Vedant Patel dazu schon Anfang September.

"Die Pandemie ist vorüber"

Frage: "Mr. President, [...], ist die Pandemie vorüber?"
Biden: "Die Pandemie ist vorüber. Wir haben immer noch Probleme mit Covid. Wir arbeiten noch viel daran ... aber die Pandemie ist vorbei. Wie Sie bemerken, trägt niemand Masken. Alle scheinen in ziemlich guter Verfassung zu sein. Und deshalb denke ich, dass es sich ändert."

Die Pandemie habe große Auswirkungen auf die Psyche der US-Amerikaner:innen gehabt, ergänzt der US-Präsident noch. Corona habe die Einstellung vieler Menschen zu sich selbst, zu ihren Familien, zum Zustand der Nation und ihrer Gemeinschaften verändert. Das alles wirke nach – zumal es mehr als eine Million Covid-Tote in den USA gegeben habe.

Die dezidierte Aussage hat mehrere Gesundheitsbeamte im Stab des Präsidenten überrascht. Sie sei in dieser Form nicht geplant gewesen, verrieten zwei Verwaltungsbeamte dem US-Portal "Politico". Zudem habe es im vergangenen Monat nach wie vor zwei Millionen Corona-Fälle im Land gegeben, Hunderte Betroffene sterben an oder mit der Infektion Tag für Tag. So weisen es die Zahlen der Johns Hopkins Universität aus. Die Weltgesundheitsorganisation hatte kürzlich verkündet, das Ende der Pandemie sei absehbar, aber nur, wenn die Staaten auf der Zielgeraden in ihrem Kampf gegen das Virus nicht nachließen. Zudem konterkariert Biden Aussagen seines eigenen Beraters, des Immunologen Anthony Fauci, der befürchtet, dass sich durch eine sich aufgrund von Covid ausbreitende Impfmüdigkeit und -ablehnung andere Viruserkrankungen in den USA vermehrt ausbreiten.

Trumps Umgang mit Geheimdokumenten "unverantwortlich"

Frage: "Wurden Sie, Sir, über die streng geheimen Dokumente informiert, die in Mar-a-Lago [Residenz von Ex-Präsident Donald Trump, Anm. d. Red.] gefunden wurden?
Biden: "Nein."
Frage: "Wurden Sie über die Vollstreckung eines Durchsuchungsbefehls durch das FBI in Mar-a-Lago informiert?"
Biden: "Nein. Nicht vorher."

In "60 Minutes" äußerte sich Joe Biden zum ersten Mal öffentlich und ausführlich zur FBI-Razzia in Donald Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida. Dort wurden zum Teil geheime Dokumente, die teils relevant für die Staatssicherheit sein sollen, sichergestellt. Dem Gesetz nach hätten die Dokumente am Ende der Amtszeit den Staatsarchiven übergeben werden müssen. "Wie konnte das passieren?", antwortete Biden auf die Fragen, was er gedacht habe, als er die Fotos von Geheimdokumenten auf dem Boden gesehen habe. "Wie kann man so verantwortungslos sein?" Zudem habe er sich gefragt, welche Personen, Quellen und Vorgänge durch Trump in Gefahr gebracht worden seien. "Es ist einfach vollkommen unverantwortlich."

Trump und seine Anhänger haben die Razzia dagegen wiederholt als Angriff der Regierung auf den Ex-Präsidenten bezeichnet. Das Ziel sei, Trump von einer weiteren Kandidatur abzuhalten, so die Behauptung. Sollte der 76-Jährige angeklagt werden, käme eine Bewerbung um eine weitere Amtszeit im Weißen Haus nicht mehr infrage. Inzwischen wurde in der Affäre auf Betreiben Trumps ein neutraler Sondergutachter eingesetzt, der eine Kategorisierung der beschlagnahmten Dokumente vornehmen soll – auch, um persönliche von offiziellen Dokumenten zu trennen. Dem früheren Präsidenten droht eine Anklage wegen des Verstoßes gegen das Spionagegesetz, die Beobachter für durchaus wahrscheinlich halten. Trotzdem wird auch diskutiert, ob auf eine Anklage wegen der zu erwartenden gesellschaftlichen Folgen in diesem Fall verzichtet werden sollte. Gegen Trump werden ja noch weit schwerwiegendere Vorwürfe erhoben – vor allem ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021. Sollte es zur ersten Anklage gegen einen Ex-Präsidenten überhaupt kommen, drohen "Unruhen auf den Straßen", wie der konservative Senator von South Carolina, der Trump-Getreue Lindsey Graham, im TV-Sender Fox sagte. 

Erneute Kandidatur 2024 "nur" eine Absicht

Frage: "Sir, sind Sie entschlossen, erneut zu kandidieren, oder müssen die Bedingungen stimmen?"
Biden: "Schauen Sie, wenn ich Ihnen sagen würde, ich kandidiere wieder, kommt plötzlich eine Reihe von Dingen ins Spiel [...]. In Bezug auf die Wahlgesetze ist es viel zu früh, um eine solche Entscheidung zu treffen. [...] Was ich tue, ist meinen Job zu machen. Und innerhalb eines Zeitrahmens, der nach diesem nächsten Wahlzyklus sinnvoll ist, bis zum nächsten Jahr, fälle ich die Entscheidung darüber, was zu tun ist."
Frage: "Ich gehe davon aus, dass Sie die Entscheidung auch nicht für sich selbst getroffen haben?"
Biden: "Sehen Sie, meine Absicht ist, wie ich zu Beginn sagte, dass ich wieder kandidieren werde. Aber das ist nur eine Absicht. Gibt es eine feste Entscheidung, dass ich wieder kandidiere? Das bleibt abzuwarten."

Die Frage, ob Biden noch einmal kandidiert oder nicht, ist für die Demokraten eine Schwierigkeit. Zweifel an seiner Vitalität und geistigen Gesundheit begleiten den bisher ältesten US-Präsidenten der Geschichte seit seinem Amtsantritt, befeuert von gelegentlichen Unsicherheiten bei öffentlichen Auftritten. Biden wischte diese bei "60 Minutes" zur Seite. "Denken Sie, wenn ich mit unseren Nato-Partnern zusammensitze und sie zusammenhalte, dass die dann sagen: "Moment mal, wie ... wie alt sind Sie?" Biden gilt Umfragen zufolge als aussichtsreichster Kandidat in einem Duell mit Donald Trump. Doch weder hat Trump seine Kandidatur für 2024 erklärt, noch ist sicher, dass der Ex-Präsident nochmal das Nominierungsrennen für sich entscheiden würde. Die Demokraten schwanken zwischen der Loyalität zum amtierenden Präsidenten und dem Wunsch nach einem jüngeren, vitaleren Kandidaten. Biden wird vielfach nicht zugetraut, gegen einen möglichen jüngeren Kandidaten der Republikaner bestehen zu können, etwa den Gouverneur von Florida, Ron de Santis, dem Ambitionen aufs Weiße Haus nachgesagt werden.

Sehen Sie Joe Biden in "60 Minutes" (in englischer Sprache)

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