Nordirland Um vier Uhr endete der Krieg der IRA

Nach fast 40 Jahren will die IRA, die als bestorganisierte Terrorgruppe Europas galt, den "bewaffneten Kampf" gegen London aufgeben. Die selbst erklärte Schutzmacht der Katholiken Nordirlands steht mit dem Rücken zur Wand.

Die neuen Bombenanschläge von London waren für viele eine böse Überraschung - auch für die IRA. Die nordirischen Untergrundkämpfer hatten eigentlich schon vor Tagen das Ende ihres "bewaffneten Kampfes" bekannt geben wollen, doch befürchteten sie, ihr "historischer Schritt" könne zwischen Rucksackbombern und Todesschüssen untergehen. Am Donnerstag war es dann schließlich doch so weit. Und weil die Irisch Republikanische Armee nicht wenig stolz darauf ist, als bestorganisierte Terrorgruppe Europas zu gelten, nahm sie es sehr genau. Der ehemalige Terrorist Seanna Walsh trat im frisch gebügelten Hemd vor die Kamera und verkündete, das Ende des Krieges gegen die britische Fremdherrschaft werde "um vier Uhr heute Nachmittag in Kraft treten".

Mit dem Rücken zur Wand

Die IRA hat schon häufiger Frieden und Entwaffnung versprochen. Aber noch nie hat sie dafür so deutliche Worte gefunden. Warum tat sie es ausgerechnet jetzt? Im Februar hatte sie noch drohend verkündet, Premierminister Tony Blair habe "ihre Geduld überstrapaziert". Die Antwort ist, dass die IRA mit dem Rücken zur Wand steht. Niemand hat dazu mehr beigetragen als sechs einfache Frauen, die auf eigene Faust den Kampf gegen die IRA-Paten aufnahmen. Die Verlobte und die fünf Schwestern von Robert McCartney, der in Belfast von IRA-Leuten ermordet worden war, zeigten der Weltöffentlichkeit mit ihrer Medienkampagne wieder das wahre Gesicht der selbst erklärten Schutzmacht der Katholiken. Viele amerikanische Geldgeber wandten sich daraufhin von der IRA ab.

Internationale Pressestimmen

"The Times" (London): "Für Enttäuschung bleibt viel Raum. Die IRA selbst ist möglicherweise nicht willens oder vielleicht unfähig zur Umsetzung dessen, was sie gestern erklärt hat. Und vielleicht sind auch die hochrangigen alten Führer der (protestantischen) Unionisten, gefangen in ihrer eigenen gestrigen Rhetorik, unfähig, mit einem "Ja" zu antworten (...). Nichtsdestoweniger gibt es mehr Grund zur Hoffnung als zu jeder anderen Zeit seit dem Karfreitagsabkommen."

"El País" (Madrid): "Wenn die IRA ihre Ankündigung wahr macht, können Verhandlungen über eine dauerhafte Lösung für Nordirland beginnen. Dazu wird London eine Reihe von Maßnahmen umsetzen müssen, die es immer wieder versprochen hatte. Der Erklärung der IRA waren Gespräche mit den Regierungen in London und Dublin vorausgegangen. Dies macht die Ankündigung glaubwürdig. Eine Niederlegung der Waffen durch die IRA würde es den Sicherheitskräften in Großbritannien erlauben, sich ganz auf den Kampf gegen den islamistischen Terror zu konzentrieren, der viel unberechenbarer und weniger nachzuvollziehen ist. Die Angelegenheit hat auch einen für Spanien wichtigen Aspekt: Die baskische ETA hat nun die zweifelhafte Ehre, im freien Europa die einzige operative Bande von Pistoleros zu sein."

"Corriere della Sera" (Rom): "Es ist völlig klar, dass es radikale Unterschiede gibt zwischen dem katholischen Terrorismus in Irland und dem Terrorismus islamischer Fundamentalisten. Und dennoch beinhaltet die Kapitulation der IRA, über alle historischen und geographischen Unterschiede hinweg, eine Lektion in Sachen politischer Strategie, wie man den Krieg gegen den Terrorismus, dieser asymmetrische Konflikt von geringer Intensität, angehen und gewinnen kann. Die erste Lektion ist, dass ein Konflikt dieser Art immer von langer Dauer sein wird, mehr als drei Jahrzehnte bei der IRA. (...) Aber der islamische Dschihad ist derzeit dabei, das tragische Spiel, das die IRA den Briten in den Tagen der Beatles aufgezwungen hat, auf eine globale Ebene zu stellen."

Für die Granden ihres politischen Flügels Sinn Fein blieb das Weiße Haus plötzlich verschlossen. Sie waren wieder auf dem Weg, zu Verfemten zu werden. Dazu kam eine andere Entwicklung: Bei der britischen Parlamentswahl am 5. Mai glitt die gemäßigte Protestantenpartei von David Trimble in die Bedeutungslosigkeit ab. Für den Friedensnobelpreisträger, der so lange mit Sinn-Fein- Präsident Gerry Adams in einer zeitweiligen nordirischen Regionalregierung zusammengearbeitet und ihm so viele Zugeständnisse gemacht hatte, war es das politische Ende. Stärkste Kraft im protestantischen Lager ist nun der radikale Pfarrer Ian Paisley. Und der würde niemals eine gemeinsame nordirische Regionalregierung mit Adams bilden, solange dieser noch über eine "Privatarmee" verfügt.

Drogen-, Benzin- und Zigarettenschmuggel

Da aber Adams und sein Chefunterhändler Martin McGuinness zu gern wieder im Amt und Würden wären; da sie nichts dagegen hätten, als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen; da sie wissen, dass ihre Wähler auf keinen Fall eine Rückkehr zu den alten Tagen der nordirischen Unruhen wünschen, haben sie ihren IRA-Freunden die Pistole auf die Brust gesetzt. Eine ganz andere Frage ist, ob die Organisation nun auch ihre Mafiaexistenz aufgeben wird, ob Drogen-, Benzin- und Zigarettenschmuggel, Bankraub, Erpressung und Rachemorde aufhören werden. Nicht nur Pfarrer Paisley hat da seine Zweifel.

Seit über 80 Jahren spielt die IRA im Kampf der Iren gegen die einstige britische Fremdherrschaft eine zentrale Rolle. Das Ziel der 1919 gegründeten Organisation war zunächst die Unabhängigkeit Irlands von London. Nach der Gründung des irischen Freistaates 1921 rieb sie sich im Streit mit der Regierung in Dublin fast völlig auf. Auch nachdem 1949 die Republik Irland ausgerufen worden war, kämpfte sie zunächst nicht mit Waffengewalt gegen die britische Herrschaft in dem vorwiegend protestantischen Nordirland, den auch als Ulster bekannten nördlichsten Grafschaften auf der irischen Insel.

Erst mit Beginn der Unruhen zwischen irisch-katholischen Demonstranten und dem vorwiegend protestantischen Establishment in Nordirland trat die IRA wieder auf und versuchte ab 1970 zunehmend mit terroristischer Gewalt, die Einigung Irlands durchzusetzen. IRA-Ingenieure entwickelten Raketenwerfer, mit denen sie einmal einen Sprengkörper bis in die Downing Street vor die Eingangstür des Premierministers feuerten.

Das Arsenal der IRA

In den Arsenalen der IRA lagerten bisher nach Schätzungen bis zu 1000 Gewehre, 40 Maschinengewehre und Hunderte Maschinenpistolen aus einer Lieferung des libyschen Revolutionsführers Muammar el Gaddafi sowie Flammenwerfer, Zündkapseln und eine Million Schuss Munition. Etwa drei Viertel der Bestände sollen im Süden der Insel, in der Republik Irland, versteckt sein.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters

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