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Neues Sanktionspaket gegen Russland "Höchste Zeit, dass die EU sich von Orban nicht mehr an der Nase herumführen lässt"

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban stellt sich quer
© John Thys / AFP
Wieder einmal scheitert die EU an Viktor Orban. Der ungarische Ministerpräsident blockiert Sanktionen gegen den russischen Patriarchen und Putin-Vertrauten Kirill. So reagiert die deutsche Presse.

Die EU verzichtet wegen des Widerstands Ungarns vorerst auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Das sechste EU-Sanktionspaket, in dem auch ein weitgehendes Öl-Embargo enthalten ist, wurde am Donnerstag von Vertretern der 27 EU-Staaten ohne die eigentlich geplante Strafmaßnahme gegen Kirill gebilligt. Weil eine einstimmige Entscheidung notwendig war, konnten sich die anderen 26 Länder nicht gegen Ungarn durchsetzen.

Kirill sollte eigentlich wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU. Er pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin und zeigte sich bislang sehr kremltreu.

Ungarn wollte die Sanktionen, die ein EU-Einreiseverbot und Finanzsperren umfassen, allerdings nicht akzeptieren. Regierungschef Viktor Orban hatte seine Haltung zuletzt "mit der Frage der Glaubensfreiheit ungarischer Religionsgemeinschaften" begründet. Diese sei "heilig und unveräußerlich".

So kommentiert die deutsche Presse Orbans EU-Politik

"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Ungarn blockiert wieder. Anfang der Woche hatte Regierungschef Viktor Orban noch einem Ölembargo zugestimmt, als die anderen Staats- und Regierungschefs großzügigen Ausnahmen für Ungarn zustimmten. Nur wenige Tage später erhob Orban neue Forderungen. Die geplanten Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill trage er nicht mit. Und so ist die EU wieder einmal gelähmt – ausgerechnet in Zeiten des Krieges. Der Aggressor in Moskau hat in seinem Bemühen, die EU-Staaten auseinanderzutreiben, einen treuen Verbündeten in Budapest. Es ist höchste Zeit, dass die EU sich von Orban nicht mehr an der Nase herumführen lässt."

"Badisches Tagblatt" (Baden-Baden): "Die devote Ergebenheit des Patriarchen gegenüber dem Kriegsherrn Wladimir Putin ist unerträglich. Ebenso sind es die Lügen, mit denen der Kirchenfürst das nicht zu Rechtfertigende rechtfertigt. Kurzum: Selbst für einen wie Orban ist der Schulterschluss bemerkenswert – auch wenn sich Kirill und Orban ähnlich sind, der eine wie der andere ein illiberaler, bigotter Demokratieverächter. Nun hält Orban seine schützende Hand über den Demagogen im Bischofskostüm, obwohl dieser sich maximal weit weg bewegt hat von den zehn Geboten, den Werten der Bergpredigt und überhaupt allem, was den christlichen Glauben im Kern ausmachen sollte."

"Leipziger Volkszeitung": "Es ist höchste Zeit, dass die EU sich von Orban nicht mehr an der Nase herumführen lässt. Die EU-Staaten sollten das Ölembargo ohne Ungarn verhängen. Das ginge, auch wenn es die Uneinigkeit der Union auf peinliche Weise dokumentieren würde. Aber das ist besser, als das beständige Quertreiben Orbans ertragen zu müssen. Putins Krieg gegen die Ukraine wird womöglich noch viele Monate, wenn nicht Jahre dauern – und der EU schmerzhafte Reaktionen abverlangen. Die Wirtschaft in der EU ist unter Druck. Es wird Debatten geben, ob es nicht besser wäre, die Ukraine zu überreden, Putin Zugeständnisse zu machen. Das wäre ein Fehler."

"Münchner Merkur": "Die Ungarn hatten sich 1956 dem Moskauer Machtanspruch entgegengestemmt. Das ausgerechnet der Präsident dieser damals so tapferen Ungarn jetzt der Einzige in der EU ist, der den vergleichbaren Freiheitsanspruch der Ukrainer in Frage stellt, ist schwer zu ertragen. Eine Erklärung für Viktor Orbáns Putin-Nähe ist, dass sein Konzept einer "illiberalen Demokratie" sich an Putins Autokratie orientiert."

"Tagesspiegel" (Berlin):  "Die EU beugt sich Orbán. Das ist ein Fehler. Europa muss Wege finden, wie es Störenfriede, die den Wunsch nach Geschlossenheit für Erpressungsmanöver missbrauchen, zu gemeinschaftlichem Handeln zwingt. […] Immer öfter missbrauchen einzelne Mitglieder den Zwang zur Geschlossenheit als Hebel, um nationale Anliegen durchzusetzen, auch wenn diese mit der Sache nichts zu tun haben. Wenn das Schule macht, werden die Organisationen handlungsunfähig. Sie funktionieren nur, wenn der Gemeinschaftsnutzen für alle Beteiligten von so hohem Wert ist, dass sie Zugeständnisse machen."

ZDF: "Kirill ist ein erzkonservativer, homophober Putin-Freund, der den Angriff auf die Ukraine sogar segnete. Warum setzt sich Orban für das orthodoxe Oberhaupt ein, wenn es doch in Ungarn kaum orthodoxe Christen gibt? Er tut es, weil die EU ihn lässt. Und er tut es, weil es in das Bild passt, dass er von sich und seinem Land malt: Die Ungarn seien die Verteidiger des christlichen Abendlandes."

"Tagesschau": "Orban droht, Orban blockiert, Orban fordert – und die 26 anderen EU-Länder knicken ein. Man möchte sich die Augen reiben. Was um alles in der Welt ist denn in Europa gerade los? Ganz offensichtlich fühlt sich der ungarische Ministerpräsident nach seinem unerwartet deutlichen Wahlsieg im Frühjahr auch in Brüssel so unverwundbar, als hätte er in Drachenblut gebadet. Und am Ende dieser bemerkenswerten Woche scheint es ja auch tatsächlich so zu sein, dass Orban in Europa wie immer seinen Willen durchpauken kann. Ganz einfach, weil er machtbewusster und skrupelloser ist als all die anderen."

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"Handelsblatt": "Orban blockiert die Sanktionen gegen Kirill und zeigt damit, dass ihm an der Einigkeit der EU nicht gelegen ist. Das ist ärgerlich – und Brüssel sollte jetzt Konsequenzen ziehen: Ohnehin fasst die EU seit Jahrzehnten Beschlüsse, bei denen klar ist, dass sie nicht von allen Staaten mitgetragen werden. [...] Zur größten Not würden sich die 26 darauf einigen, dass jeder einzeln gleichlautende Sanktionen erlässt. Es wäre schade. Aber es wäre viel besser, als sich in der Russlandpolitik von einem einzelnen Populisten bremsen zu lassen."

"Süddeutsche Zeitung": "Damit brüskiert Orbán Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Kanzler Olaf Scholz, die den Kompromiss verteidigt haben, und er schwächt das globale Ansehen der EU. Echte Konsequenzen für dieses rufschädigende Verhalten muss Orbán allerdings nicht fürchten, denn es gibt keine Möglichkeit, ein EU-Mitglied rauszuwerfen."

"Wirtschaftswoche": "Orbán konnte sich seine selbstsüchtige Haltung leisten, weil er dafür keinen Preis zahlen muss – so wie auch sein anti-demokratischer Kurs einschließlich Beschneidung der Pressefreiheit keine Konsequenz aus Brüssel zeitigt. Einmal in die EU aufgenommen, verbleiben Länder dort. Der EU fehlt schlicht ein Mechanismus, um Länder auszuschließen, wenn diese gegen europäische Werte und Regeln verstoßen. [...] Dieser Konstruktionsfehler sollte dringend korrigiert werden."

yks DPA

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