Im Krieg, sagt man, stirbt die Wahrheit zuerst. Diesmal ist sie schon lange vor dem ersten Schuss vor die Hunde gegangen. Die Invasion des Irak wurde bereits vor sechs Jahren von mächtigen Männern in Washington geplant.
Im Frühjahr 1997
konstituiert sich in einem Bürogebäude unweit des Weißen Hauses eine Organisation mit dem programmatischen Namen "Project for the New American Century" (PNAC). Die selbst gestellte Aufgabe: "To promote American global leadership" - es geht um die amerikanische Weltherrschaft im neuen Jahrhundert. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Richard "Dick" Cheney, früherer Stabschef im Weißen Haus und Verteidigungsminister, R. James Woolsey, ehemaliger CIA-Chef, Elliott Abrams vom Nationalen Sicherheitsrat NSC, die Verteidigungspolitiker Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz sowie William Kristol, Robert Kagan und Richard Perle, allesamt publizistische und politische Drahtzieher großen Kalibers mit Verbindungen zur Rüstungsindustrie.
Am 26. Januar 1998
fordert der PNAC in einem Schriftstück "The Honorable William J. Clinton, President of the United States" auf, in seine bevorstehende Regierungserklärung Folgendes aufzunehmen: Der Irak verfüge trotz der UN-Waffeninspektionen über Mengen von Massenvernichtungswaffen. Die Diplomatie habe versagt. Deshalb sei es unvermeidlich, "Saddam Hussein und sein Regime militärisch zu entmachten". Dabei dürfe sich die amerikanische Politik nicht "von einem fehlgeleiteten Widerstand des UN-Sicherheitsrates" behindern lassen. Der Aufruf zu einem Irakkrieg ohne UN-Mandat ist "Hochachtungsvoll" von 18 Topleuten des PNAC unterzeichnet, darunter Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Richard Perle. Der Demokrat Bill Clinton ignoriert die Kampfschrift.
Beim Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2000 unterstützen die Neokonservativen und Imperialisten den republikanischen Gouverneur von Texas, George W. Bush. Anfang September legt das PNAC ein 76 Seiten langes Stategiepapier mit dem schlichten Titel "Rebuilding America's Defenses" vor. Die Verfasser protegieren eine politische und wirtschaftliche Führerschaft und militärische Dominanz der USA in allen Teilen der Welt, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Auch "Cyberspace" und Weltraum müssten von Amerika beherrscht werden.
Am 20. Januar 2001
zieht George Walker Bush nach einer umstrittenen Stimmenauszählung mit hauchdünnem Vorsprung als 43. Präsident der Vereinigten Staaten ins Weiße Haus ein. Mit ihm landen die Falken in den Machtzentren von Washington. Rumsfeld übernimmt das Pentagon, Wolfowitz ernennt er zu seinem Stellvertreter und Perle zum Leiter seines Beratungsstabes. Im Außenministerium wird der PNAC-Mann Richard Armitage Stellvertreter von Colin Powell. Cheney, früher Verteidigungsminister bei Bush senior, zieht als Vizepräsident von Bush junior ins Weiße Haus ein.
11. September 2001.
Nach den Anschlägen auf New York und Washington verbreitet die Bush-Regierung, nicht nur Osama bin Laden, auch Saddam Hussein stecke hinter dem Terror. Obwohl selbst der CIA bis heute keine Beweise dafür liefern kann.
5. Dezember 2001.
Im US-Fernsehsender CNBC wird Tom Donnelly, einer der Autoren des Strategiepapiers "Rebuildung America's Defenses" zu einem möglichen Irakkrieg befragt. Frage: Die United States Army wird also in Bagdad einmarschieren. Donnelly: Richtig! - Frage: Wir werden die dortige Regierung beseitigen? Donnelly: Korrekt! - Frage: Auch die Führer und die Mitglieder der Baath-Partei? Donnelly: So viele wir kriegen können. - Frage: Und was machen wir mit all diesen Leuten? Donnelly: Wenn sie lebend gefangen genommen werden, machen wir ihnen den Prozess. Wahrscheinlicher ist, dass sie im Krieg getötet werden, jedenfalls die Topleute in der Führung. - Frage: Nach Afghanistan und Irak, welches Land kommt als nächstes dran? Donnelly: Man kann nur hoffen, dass die anderen Staaten, die gegen eine amerikanische Präsenz am Golf und im Mittleren Osten sind, diese Lektionen verstehen ...
16. Dezember 2001.
Richard Perle, der auch "Fürst der Finsternis" genannt wird, führt in einem vom "American Enterprise Institute" verbreiteten Beitrag zwei zusätzliche Gründe für einen Irakkrieg an: "Einer ist, dass Saddam Hussein die Vereinigten Staaten hasst." Und seit dem ersten, von Bush senior geführten, Golfkrieg herrsche zwischen "Saddam Hussein und der Familie Bush eine Art Blutfehde".
29. Januar 2002 In seiner Rede zur Lage der Nation sagt George W. Bush: Der Irak, der Iran und Nordkorea bilden eine "Axis of Evil". Dabei verbindet diese drei Staaten nichts miteinander - außer einer tiefen Abneigung gegen die Supermacht USA.
17. August 2002.
Dr. Gary Schmitt, einer der Vordenker des "Project for the New American Century" sagt in einer TV-Talkshow, ein Irakkrieg sei so gut wie beschlossen. Auf die Frage, welche Rolle das Öl dabei spiele, antwortet er: "Dies ist einer der Hauptgründe. Der Irak hat die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Es wäre eine sehr gute Sache, wenn dieses Öl dem Westen und dem Rest der Welt zugänglich wäre. Wir wären dann nicht mehr vom Preisdiktat und vom Goodwill der Saudis abhängig." In derselben Sendung sagt der frühere amerikanische UN-Waffeninspekteur Scott Ritter, es gebe keinerlei handfeste Beweise, dass der Irak noch Massenvernichtungswaffen in größeren Mengen besitze. Es gehe in Wahrheit um einen Regimewechsel und um amerikanische Machtpolitik. Ritter berichtet, dass bis 1998, zu seiner Zeit im Irak, bereits 90 bis 95 Prozent der irakischen Massenvernichtungswaffen unbrauchbar gemacht worden seien. Und er könne bezeugen, das Saddam Husseins Behauptungen stimmten, UN-Waffeninspekteure hätten damals für die USA spioniert.
12. September 2002.
Vor der UN-Vollversammlung in New York warnt US-Präsident Bush die Welt vor "Bagdads Appetit auf Massenvernichtungswaffen". Er fordert die Vereinten Nationen zur Unterstützung beim Kampf gegen den Irak auf, denn dieser Staat sei "genau die Bedrohung für die Welt und für die Menschheit, für dessen Bekämpfung die UN einst gegründet worden seien". Andernfalls würden sich die Vereinten Nationen als "irrelevant" erweisen.
17. September 2002.
Der US-Präsident legt dem Kongress eine neue Sicherheitsstrategie vor - wichtige Teile dieser "Bush-Doktrin" stammen aus dem Strategiepapier "Rebuilding America's Defenses".
23. September 2002.
Der Fernsehsender CBS veröffentlicht eine Umfrage. Danach war die Regierungspropaganda in der amerikanischen Bevölkerung erfolgreich: 77 Prozent der Befragten glauben, der Irak besitze immer noch Massenvernichtungswaffen. 70 Prozent sind sicher, dass sich Al-Qaeda-Terroristen im Irak aufhalten. Und jeder zweite Amerikaner ist überzeugt, dass Saddam Hussein persönlich in die Terroranschläge auf New York und Washington verwickelt ist.
10./11. Oktober 2002.
Auf Drängen des Präsidenten geben beide Häuser des US-Kongresses mit großer Mehrheit ihre Zustimmung zu einer Resolution, die George W. Bush ermächtigt, die US-Streitkräfte gegen den Irak in Marsch zu setzen, wann immer er es für notwendig hält. Der Senat stimmt mit 77 gegen 23, das Repräsentantenhaus mit 296 zu 133 Stimmen für die Kriegs-Ermächtigung.
5. Februar 2003.
US-Außenminister Colin Powell präsentiert im UN-Sicherheitsrat angebliche Beweise und CIA-Informationen, er zitiert auch einen britischen Geheimdienstbericht Tony Blairs als vorzügliche Quelle für die akute Bedrohung, die vom Irak ausgehe. Doch das, entlarvt die BBC, besteht in wesentlichen Teilen aus einer Diplomarbeit, die der heute 29 Jahre alte Student Ibrahim al-Marashi bereits vor Jahren geschrieben habe. Es stützte sich auf heute total veraltetes Material, das kurdische Rebellen angeblich 1991 im Norden des Irak gefunden hatten. Chef-Waffeninspekteur Hans Blix zweifelt die US-Satellitenbilder an. Mohamed El-Baradei erklärt, Papiere, denen zufolge der Irak versucht habe, im Niger atomwaffenfähiges Uran zu kaufen, seien plumpe Fälschungen.
27. Februar 2003.
Der Irak kündigt an, mit der Vernichtung von mehr als hundert Raketen vom Typ al-Samoud 2 zu beginnen, die von den Waffeninspekteuren wegen zu großer Reichweite beanstandet worden waren. Das sei wirkliche Abrüstung und "sehr bedeutsam," sagt Chefwaffeninspekteur Blix. Reaktion in London: "Dies ist nicht die Zeit für Spiele", sagt Tony Blair. Und George W. Bush meint: "Saddam Hussein trickst und täuscht wie immer."
Am selben Tag tritt in Athen der amerikanische Botschaftsrat John Brady Kiesling aus Protest gegen die Irakpolitik seiner Regierung zurück. "Seit dem Vietnamkrieg gab es keine so systematische Verzerrung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse, keine so systematische Manipulation der öffentlichen Meinung mehr", erklärt er. Die US-Regierung habe "den Terrorismus und den Irak, zwei Probleme, die nichts miteinander zu tun haben, verknüpft". Ziel dieser Politik sei auch "eine Umschichtung des Staatsvermögens zugunsten des Militärhaushaltes". Kiesling schreibt: "Wenn unsere Freunde mehr Angst vor uns als um uns haben, wird es Zeit, dass wir uns Sorgen machen!"
9. März 2003.
Der frühere US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter verurteilt die Kriegspolitik seines Nachfolgers George W. Bush. Er schreibt in der "New York Times": Der Irak stelle keine direkte Gefahr für die Sicherheit der USA dar. Es gebe deshalb keinen völkerrechtlich vertretbaren Grund für eine Invasion. Ein solcher Krieg, so Carter, sei "nahezu beispiellos in der Geschichte zivilisierter Nationen".