Kaum ein Ort illustriert die jahrhundertelange Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen besser als Schloss Gottorf bei Schleswig. Am "Gottorfer Globus", einer Weltkugel mit einem Planetarium in ihrem Bauch, wollen die Duzfreunde Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin zu Wochenanfang ihre Beziehungen weiter vertiefen. Das 350 Jahre alte Original steht in Putins Heimat St. Petersburg.
Offiziell steht es auf Chefebene mit den Beziehungen zum Besten. Zum 28. Mal innerhalb von vier Jahren treffen sich Schröder und Putin. Öffentlich muss Putin aus Schröders Mund keine kritischen Worte fürchten - weder zu den Vorgängen um den bedrohten Ölkonzern Yukos noch zum Tschetschenien-Konflikt oder zur Beschneidung demokratischer Rechte nach dem Geiseldrama in Beslan. Das gehört nicht zu den Prinzipien des Kanzlers. Schröder verblüffte kürzlich aber auch SPD-Genossen, als er die Frage, ob Putin ein "lupenreiner Demokrat" sei, mit Ja beantwortete.
Ukraine-Krise belastet das Treffen
Auf dem Freundestreffen in Gottorf liegt jedoch ein Schatten - die Krise in der Ukraine. Die von der ukrainischen Opposition erzwungene und vom Westen unterstützte Wiederholung der Präsidenten-Stichwahl war zugleich eine herbe Niederlage für Putin. In sowjetisch anmutender Manier hatte der Kremlchef sich in den Wahlkampf eingemischt. Schröder hatte in zwei Telefonaten versucht, ihn zum Einlenken im Wahlstreit zu bewegen.
Der Umgang des Kremls mit der ehemaligen Sowjetrepublik löste schwere Verstimmungen zwischen EU und Russland aus. Putin warf dem Westen koloniales Gehabe eines «strengen Onkels im Tropenhelm» vor. In Deutschland kritisieren Politiker den Rückfall der russischen Politik in Kalte-Kriegs-Rhetorik. Erstmals nach der Ukraine-Krise treffen sich Schröder und Putin am Montag im Nobelhotel Atlantic an der Hamburger Alster und werden unter vier Augen sprechen.
"Stille Diplomatie"
In den Gesprächen mit Putin würden alle heiklen Themen angeschnitten, versichert der SPD-Russland-Experte Gernot Erler. Der Verzicht auf den erhobenen Zeigefinger in der Öffentlichkeit bewahre das Vertrauensverhältnis, das Schröder wie im Fall Ukraine nutzen könne. Dagegen warnt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einzig "stille Diplomatie" sei der falsche Ansatz. Sachlich begründete Kritik sollte in einer "strategischen Partnerschaft" auch öffentlich geäußert werden.
Bei Außenminister Joschka Fischer (Grüne) verursacht die enge Beziehung Schröders zu Putin offenbar Unbehagen. In der Ukraine-Krise unterstützte Fischer die Forderungen nach einer Wiederholung der Stichwahl. Russland erlebt nach seinen Worten derzeit "das Drama des Abstiegs einer Supermacht". Und auf diesem Weg sorgt sich Fischer um die Abkehr des gekränkten russischen Riesen vom Westen.
Energiekooperation vereinbart
Erdgas und Erdöl sind die Katalysatoren für die deutsch-russische Freundschaft. Für Schröder hat die Energiesicherheit Deutschlands Priorität. Russland ist der wichtigste Energielieferant. Eine weit reichende Energiekooperation wurde vereinbart. Russland lässt deutsche Energieunternehmen demnächst an die Quellen seines Reichtums und beteiligt sie an der Gasförderung.
Welche Konsequenzen dabei der überraschende Ausgang der Zwangsversteigerung der wichtigsten Yukos-Tochter Juganskneftegas hat, blieb zunächst unklar. Nicht der Energiekonzern Gasprom, wie von vielen Experten erwartet, sondern die bislang unbekannte Baikalfinanzgruppe erhielt am Sonntag den Zuschlag.
Indirekt sind auch deutsche Firmen in die prekäre Angelegenheit involviert. E.ON ist mit gut sechs Prozent an Gasprom beteiligt. Die Deutsche Bank berät Gasprom beim Einstieg ins Ölgeschäft. Angeblich soll sie auch einen Milliarden-Kredit für Gasprom organisiert haben. Der Geschäftsführer des Yukos-Mehrheitseigners Menatep, Tim Osborne, klagte vor einigen Tagen in Berlin, der Kanzler stelle wirtschaftliche Interessen über das Recht.