Sie strahlt, sie lacht, und voll kämpferischer Zuversicht spricht sie vom bevorstehenden Sieg. Sie bewundert tanzende Schulkinder auf Puerto Rico und lässt sich wenig später Tausende Kilometer weiter westlich unverdrossen von Touristen am Mount Rushmore in South Dakota fotografieren, dort, wo die Portraits von vier Präsidenten in ewigen Stein gehauen sind. In South Dakota findet nächsten Dienstag einer der beiden letzten Vorwahlen statt. Unermüdlich reist Clinton durch das weite Land - und wenn man es nicht besser wüsste, man könnte meinen, dass Hillary Clinton die Präsidentschaftskandidatin der demokratischen Partei sei, auf dem Durchmarsch ins Weiße Haus.
Es gehören eine Menge Disziplin, ein gigantisches Schlafdefizit und jede Menge kalorienschwerer Fast-Food-Pizza dazu, den Kampf um eine aussichtslos scheinende Nominierung so hartnäckig weiterzuführen. Dabei hilft ihr, wie sie sagt, auch die Sammlung guter Wünsche und religiöser Sprüche, die sie auf ihrem Blackberry gespeichert hat und jederzeit abrufen kann, wenn sie Seelenzuspruch sucht.
"Ich bin die beste Kandidatin"
Es gehört eine Portion Wunschdenken dazu und wohl auch die Überzeugung, wirklich die bessere Kandidatin zu sein. Stets verweist sie auf ihre Erfolge in den "swing states", den hart umkämpften Bundesstaaten wie Ohio und Pennsylvania und auf ihre grandiosen Siege in konservativen Staaten wie West Virginia und Kentucky. Und jeden Tag heißt es in den E-Mails an ihre Fans und potentiellen Spender: "Ich bin die beste Kandidatin, um das Weiße Haus für die Demokraten zurückzuerobern."
Drei Vorwahlen sind in den kommenden Tagen noch zu absolvieren, und Hillary Clinton hat gute Chancen, eine, gar zwei davon zu gewinnen - aber auch dies wird nichts mehr ändern an der Delegierten-Arithmetik. Nur noch wenige Dutzend Stimmen fehlen Barack Obama, um über die magische Hürde von 2026 zu kommen, der Mehrheit der Delegierten. Diesen Vorsprung wird Hillary Clinton nicht einholen können. Und Barack Obama macht längst Wahlkampf gegen John McCain. Mehr als drei Millionen Dollar Spenden habe George W. Bush gerade für McCain eingetrieben, heißt es in einem Spendenaufruf des Obama-Wahlkampfstabes - dies müsse man nun toppen. Seine Plakate verkünden nicht mehr "Wandel". Jetzt steht auf ihnen: "Wir werden den amerikanischen Traum zurückgewinnen!"
Von Hillary Clinton ist kaum noch die Rede.
Bill Clinton im Verschwörungswahn
Zuletzt hatte es Gatte Bill versucht. Der einst so eloquente Anwalt seiner Frau und globale Superstar der Wohltätigkeit verwandelte sich in den vergangenen Wochen in einen meckrigen alten Mann mit zornesrotem Gesicht, eine Karikatur seiner selbst, der sich offenbar ins Weiße Haus zurückjammern will. Erst schwadronierte er über den Plan einer möglichen Vizepräsidentschaft seiner Frau. Dann schwafelte er - ausgerechnet er ! - über den Sexismus, unter dem seine Frau leide, über die Zoten zu Haaren, Hosen und Figur.
Mit dem Geschlechterkampf will er Hillarys treue Stammwählerinnen noch einmal gegen die Männerwelt mobilisieren. Vor allem aber vermutet er eine "Verschwörung" gegen seine Frau. Eine Verschwörung der Medien und anderer dunkler Mächte (sprich: Obama). Noch nie sei ein Kandidat so "respektlos" behandelt worden, behauptet er und sieht einen dramatischen Versuch, sie aus dem Rennen zu drängen.
Ob so viel Verschwörungsgeschwafel fiel selbst den hart gesottenen Fernsehkommentatoren auf CNN nur eine Erklärung ein: vielleicht spreche Bill Clinton nur das aus, was man wirklich denke und fühle in Hillary-Land. Wut. Enttäuschung. Bitterkeit.
Kampf um jede Stimme
An diesem Wochenende nun tagt der Geschäftsordnungsausschuss der Demokratischen Partei in Washington. Dessen Mitglieder werden über das Schicksal der Parteitags-Delegierten aus den Bundesstaaten Florida und Michigan entscheiden. Die waren wegen des Verstoßes gegen das Wahlreglement mit Delegierten-Entzug bestraft worden. Die Kandidaten - auch Clinton und Obama - hatten der Entscheidung zugestimmt und sich bereit erklärt, dort keinen Wahlkampf zu führen. In Michigan stand Obama erst gar nicht auf dem Wahlzettel. In beiden Staaten hatte Hillary Clinton gewonnen. Diese Siege reklamiert sie jetzt für sich. "Ich kämpfe für jede Stimme" verkündet sie heute, da es ihr nützen könnte. Ihre Fans planen gar einen Marsch auf das Hotel, in dem der Parteiausschuss tagt.
Doch der neigt offenbar zu einer salomonischen Lösung: angeblich will man die Zahl der Delegierten ungefähr zu gleichen Teilen auf Clinton und Obama aufteilen, mit leichtem Vorteil für Hillary Clinton.
Angst vor der Selbstzerfleischung
Ab Mitte der kommenden Woche, nach den letzten Vorwahlen in den bevölkerungsarmen Staaten South Dakota und Montana, wird man Hillary Clinton auffordern, ihre Niederlage einzugestehen, den Kampf aufzugeben. Nach dem Ende des endlos erscheinenden Wahlkampfes werden sich dann weitere Super-Delegierte für Obama entscheiden, und einige werden aus Hillary-Land ins Obama-Camp überlaufen. Keinesfalls soll sich der Kampf über den Sommer hinweg bis zum Parteitag Ende August ziehen: "Wir können diesen Streit nicht bis zum Parteitag fortsetzen", sagt Parlamentschefin Nancy Pelosi, ranghöchste Amtsträgerin der Demokraten. "Er muss davor zum Ende kommen."
Doch Hillary führt weiter Wahlkampf, hat sich mit rund elf Millionen Dollar verschuldet, als gebe es diese Realitäten gar nicht. Zwar hat das Ehepaar Clinton schon oft aussichtslos scheinende Kämpfe gewonnen. Doch zunehmend irritiert notieren Beobachter "Bitterkeit", gar "Agonie", die Clintons seien schon immer schlechte Verlierer gewesen. Und man fragt sich: "Was will Hillary?" Sie muss doch wissen, dass ihr nur noch ein Wunder helfen kann - oder die rund 200 alles entscheidenden Super-Delegierten, die sich noch nicht auf einen Kandidaten festgelegt haben. Diese Super-Delegierten will sie herausfordern. Werden sie es wirklich wagen, sich gegen die bessere Kandidatin zu stellen?
Eine Kandidatin für die "swing-states"
Ihr Kalkül ist logisch, die Taktik nachvollziehbar: Hillary Clinton will diesen Kampf nicht als Verliererin beenden, sondern als zweite Siegerin, als Kämpferin mit Statur. Sie will Anspruch darauf erheben, dass sie am Ende dieses endlosen Vorwahlkampfes insgesamt mehr Wählerstimmen errungen hat - wenn auch nicht mehr Delegierte.
Dazu soll am Sonntag ein grandioser Sieg in Puerto Rico beitragen - auch wenn der assoziierte Bundesstaat im November gar nicht wählen darf. Doch Hillary will zeigen: sie bekommt die wichtige Gruppe der Latinos.
Außerdem will Hillary Clinton für sich reklamieren, dass sie die weißen, älteren Stammwähler in den "swing-states" holen kann, die im Kampf gegen den smarten Republikaner John McCain möglicherweise wahlentscheidend sein könnten. Bis zu 19 Prozent dieser enttäuschten Hillary-Demokraten sagen in Meinungsumfragen, sie würden im November McCain wählen. "Könnten wirklich 60.000 weiße Rentnerinnen in Ohio die Wahl entscheiden?", orakelt ein demokratischer Parteistratege sorgenvoll. Und genau diese Sorge will Hillary Clinton für sich nutzen - auch wenn dabei die Spaltung der Partei droht.
Das ultimative Tabu angerührt
Sollen sie doch fliegen, die Gerüchte über die Fortsetzung des Wahlkampfes bis zum Parteitag und die Mutmaßungen über das "dream-ticket" mit Hillary Clinton als Vizepräsidentin. Soll man doch munkeln über ihre mögliche herausragende Rolle auf dem Parteitag, sozusagen als Neben-Siegerin. Vor allem aber sollen sich die Kommentatoren doch über die strukturellen Schwächen des Kandidaten Obama auslassen, vor allem über die Rassenfrage. Und die klangen an, als sie in einem Interview über die Dauer des Wahlkampfes anführte, dass Kandidat Robert Kennedy einst im Juni ermordet worden sei. "Daran erinnern wir uns alle."
Damit hatte sie das ultimative Tabu berührt, den Alptraum einer Nation. Das politische Attentat. John F. Kennedy, Martin Luther King. Robert Kennedy. Natürlich weiß Clinton, dass der Secret Service, die Leibgarde des Präsidenten, schon vor einem Jahr darauf bestand, Barack Obama zu schützen. Sie hatte wahrscheinlich wirklich nur einen historischen Vergleich machen wollen - aber es reichte für ein Wochenende voller negativer Schlagzeilen und eine Entschuldigung von Hillary Clinton. Doch umso mehr nähren sich die Gerüchte über die Sicherheit Obamas - und damit über seine Wählbarkeit.
Was sind schon vier Jahre?
Doch weil sie eine kluge, eine weit voraus planende Politikerin ist, sagt Hillary Clinton zugleich, sie werde sich auch für einen Kandidaten abrackern, der Barack Obama heißt. Schließlich gelte es, einen Demokraten ins Weiße Haus zurückzubringen. Das wird sie tun, wohl dosiert.
Und sollte dann das scheinbar Undenkbare passieren und Hoffnungsträger Obama die Wahl im November verlieren? Nach einer Amtszeit von John McCain stünde Hillary Clinton, dann 64, als gestählte, erfahrene Kandidatin bereit, die eine waidwunde Partei hinter sich einen könnte. Dann wäre sie unumstritten das, was sie schon einmal war: die unvermeidliche Kandidatin.
Eines muss man ihr lassen: Hillary Rodham Clinton hat noch nie aufgegeben. Und was sind schon vier Jahre in einem Lebensplan?