Sjewjerodonezk und Lyssytschansk Diese Städte sind die nächsten Ziele Russlands: Werden sie kämpfen bis zur letzten Patrone?

Sjewjerodonezk
Zerstörte Apotheke in Sjewjerodonezk – die Stadt steht ist nun im Visier Russlands.
© Ukrinform / DPA
Bis zu 20.000 russische Soldaten setzt der Fall von Mariupol frei – Truppen, die für die Eroberung von zwei Städten im Donbass zur Verfügung stehen. Geht es jetzt ganz schnell im Osten der Ukraine, oder wird Sjewjerodonezk zum nächsten Widerstandsnest?

Mariupol ist gefallen. Die Eroberung der Hafenstadt mit einst fast 500.000 Einwohnern ist für Russlands Präsidenten Wladimir Putin der bislang größte Erfolg im fast dreimonatigen Krieg gegen die Ukraine. Im dortigen Stahlwerk gaben die letzten von mehr als 2400 ukrainischen Kämpfern nach vielen Wochen auf. Die russischen Medien nutzen den Moment, als die Männer das Werk verließen, um sie erneut als "Neonazis" zu brandmarken. Die Befreiung der Ukraine von einer angeblich Nazi-Herrschaft hatte der Kreml als Kriegsgrund genannt. Und das Asow-Regiment, dass das Werk bis zuletzt verteidigt hatte, wurde einst von bekennenden Neonazis gegründet.

Soldaten mit Hitler-Tatoos?

Mittlerweile gehören die Asow-Soldaten zu den regulären ukrainischen Truppen, dennoch dürften einige der Kämpfer immer noch rechtsextremen Ideen anhängen. Wie zum Beweis mussten sie sich vor russischen Kameras ausziehen, und die Bilder zeigten teilweise eindeutige Tätowierungen. "Das sind keine Comics", sagt ein Moskauer Kriegsreporter. Gezeigt werden Totenköpfe, Hakenkreuze sowie immer wieder eine "schwarze Sonne", angeblich das Erkennungssymbol der Nationalisten, aber auch ein Bild von Nazi-Diktator Adolf Hitler.

Der beharrliche Widerstand in Mariupol gegen Moskaus Invasion hat lange dafür gesorgt, dass nach ukrainischen Angaben schätzungsweise bis zu 20.000 russische Soldaten mit schwerer Technik gebunden wurde. Diese Einheiten sind nach der Einnahme der Stadt aber wieder frei und könnten für die stockende Offensive in Richtung Slowjansk oder auch den sich abzeichnenden Kessel bei Sjewjerodonezk nun das entscheidende Übergewicht bringen.

Die 100.000-Einwohner Stadt und ihr Zwillingsort Lyssytschansk im Gebiet Luhansk sind die nächsten großen Etappen im Vorstoß Russlands. Die Militärführung in Kiew geht davon aus, dass auch die prorussischen Kräfte mit Hilfe Moskaus ihren Vormarsch in den Gebieten Luhansk und Donezk verstärken, um den gesamten Donbass komplett der ukrainischen Kontrolle zu entreißen. Es geht ihnen dort auch um eine feste Landverbindung zu der von Russland 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Nach Angaben aus Kiew aber versuchten die Russen bislang erfolglos, Ortschaften rund um Sjewjerodonezk zu stürmen – trotz zahlloser russischer Angriffe. Das Verteidigungsministerium dort spricht von 580 Angriffen.

Russlands Truppen mit Zangenbewegung

Laut dem US-Militärinstitut ISW stoßen Truppen Moskaus von Norden, Westen und Osten auf die Stadt zu. "Die Russen löschen Sjewjerodonezk wie Mariupol aus. In den Vororten der Stadt laufen Kämpfe", teilte der ukrainische Militärgouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, mit. Aussagen von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der behauptet habe, die Region Luhansk stünde kurz vor der kompletten Einnahme, wies Hajdaj als "Unsinn" zurück.

Vermutlich ist es das Zeil der russischen Verbände, die Ukrainer rund um Sjewjerodonezk und Lyssytschansk vom Nachschub aus dem Donezker Gebiet abzuschneiden und einzukesseln. Dazu würden das russische Militär laut ISW von der südlich von Sjewjerodonezk gelegenen Stadt Popasna langsam aber sicher nach Westen und Norden vorstoßen und die wichtige Nachschubtrasse unterbrechen, die die Stadt Bachmut mit Sjewjerodonezk und Lyssytschansk verbindet.

Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind die letzten beiden Städte in der Region Luhansk, die noch unter Kiews Kontrolle stehen. Wie stark Widerstand gegen die russischen Invasoren ist, wird sich in kommenden Tagen zeigen. Letzten Meldungen der Ukraine zufolge seien die Kampfhandlungen im Raum Awdijiwka, Kurachowe, Nowopawliwka und Richtung Saporischschja abgeflaut, wie ein Generalstabssprecher sagte. Insgesamt elf Attacken des Feindes seien abgewehrt worden. Wegen der hohen Verluste müsse Russland inzwischen die ausgemusterten T-62-Panzer wieder aktivieren, um Reserveeinheiten auszurüsten. Die Angaben können bislang nicht unabhängig überprüft werden.

Quellen: DPA, AFP, ntv, ISW

nik