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Krieg in Syrien Einblicke in Assads Todesfabrik - die unmenschlichen Methoden im Foltergefängnis

Syrien Saydnaya 4 AI
Seit der Unterstützung durch Russland hat Assad seine Macht in Syrien wieder festigen können. Eines seiner Unterdrückungsinstrumente ist Saydnaya, das Foltergefängnis. Amnesty International hat die Vorgänge dort rekonstruiert.

Hinweis: Dieser Text wurde zuerst im Mai 2017 veröffentlicht und war einer der meistgelesenen Artikel auf stern.de im Jahr 2017 - zum Jahresrückblick spielen wir die besten Artikel in loser Reihenfolge bis zum Ende des Jahres.

Das Grauen im syrischen Bürgerkrieg hat viele Formen. Bomben und Giftgasangriffe auf die Zivilbevölkerung, Aushungern von Städten, Massaker durch den Islamischen Staat und andere Gruppen - Syrien ist seit sechs Jahren ein Schlachthaus, in dem laut Schätzungen bislang knapp eine halbe Million Menschen starben. Die Hälfte der ursprünglich 20 Millionen Syrer befindet sich auf der Flucht - im eigenen Land oder im Ausland. Es ist die größte Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad bekämpft die Rebellen und die islamistischen Kräfte aber nicht nur mit der Armee und der Unterstützung durch Russland und Iran, sondern auch durch systematischen Staatsterror. Eines seiner wichtigsten Unterdrückungsinstrumente ist das Gefängnis Saydnaya, das 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Damaskus liegt. Der Name Saydnaya ist in Syrien zum Synonym für Tod und Folter geworden. Seine Existenz zeigt den ganzen Horror der Assad-Herrschaft.

Syrien Saydnaya 4 AI
Saydnaya in Syrien: Auf dieser Grafik ist zu sehen, wie das Haupthaus innen aufgebaut ist. Die Zellen der ehemaligen Gefangenen, die Amnesty International als Zeuge befragte, sind markiert. Das Gebäude, in dem die Hinrichtungen stattfinden, ist nicht zu sehen
© Screenshot Amnesty International

Amnesty International macht Saydnaya bekannt

Im Frühjahr veröffentlichte die US-Armee Luftbilder der Anlage, auf der sich ein Krematorium befinden soll. Dort sollen die Leichen der Hingerichteten verbrannt werden. Die USA erhoben die gleichen Vorwürfe wie schon die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Wochen zuvor. Frankreich forderte Anfang April eine Untersuchung der Vorgänge in Saydnaya durch die Uno.

Syrien Krieg Kämpfer Bombeneinschlag

Um sich eine Vorstellung davon zu verschaffen, was in Saydnaya wirklich passiert, kann man auf eine ausführliche Dokumentation (hier zum Download) von Amnesty International zurückgreifen. Die Menschenrechtsorganisation befragte für den Bericht 84 Zeugen und Experten. 31 von ihnen waren Gefangene in Saydnaya. Sie lieferten zahlreiche Informationen über die Beschaffenheit des Gefängnisses, die Abläufe und Foltermethoden. Die anderen Zeugen sind ehemalige Gefängniswärter, Ärzte aus nahen Militärkrankenhäusern, Richter der Militärtribunale, syrische Anwälte und Familienmitglieder von Opfern. Zudem rekonstruierte Amnesty mit Hilfe von Zeugenaussagen die innere Architektur der Todesfabrik und stellte sie in einer animierten Grafik dar.

Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 2011 nutzte die Militärpolizei das Gefängnis, um Islamisten wegzusperren. Seit 2011 werden dort hauptsächlich männliche Oppositionelle aus allen politischen Lagern inhaftiert. In dem sternenförmigen Hauptgebäude ("Red Building") sind zivile Regimegegner untergebracht, in einem zweiten Gebäude in L-Form ("White Building") sitzen hauptsächlich Militärs ein, die sich gegen Assad gewandt haben. Im "White Building" sollen auch die die Massenexekutionen stattfinden. Laut Amnesty International soll Saydnaya Platz für 10.000 und 20.000 Gefangene haben. Nur wenige überleben diese Hölle.

Saydnaya Amnesty 2
Auf dieser Grafik ist oben links auch das Hinrichtungsgebäude abgebildet
© Screenshot Amnesty International

So laufen Folter und Hinrichtungen in Saydnaya ab

Die folgenden Schilderungen beruhen ausschließlich auf dem Bericht von Amnesty International. Hier geht es zur animierten Grafik, die AI von Saydnaya erstellt hat.

Ankunft der Gefangenen aus Syrien

In Saydnaya beginnt der Weg in die Hölle in einem Laster, dem "Fleisch-Kühlschrank". Die Gefangenen werden gefesselt und mit verbundenen Augen auf der Ladefläche nach Saydnaya transportiert. In der Regel haben sie bereits erste Verhöre und Folter durch Geheimdienste und Polizei hinter sich. Sobald sich die Ladeluke öffnet, werden sie von Wärtern zur "Willkommensparty" empfangen. Sie prügeln auf die Gefangenen ein, demütigen sie. In Saydnaya geht es darum, eine "ständige Angst" zu erzeugen. Kein Gefangener soll sich jemals sicher fühlen. In Gruppen von fünf bis 15 Personen kommen die Gefangenen in Zellen, die ursprünglich nur für eine Person gedacht waren.

Die Foltermethoden

Folter hat eine lange Tradition in Syrien. In Saydnaya existiert ein ausgeklügeltes System, um die Menschen zu brechen - denn das ist das einzige Ziel. Informationen oder Geständnisse spielen keine Rolle mehr. Prügel ist die häufigste Form der Folter. Zahlreiche Gefangene überleben die ständigen Schläge nicht oder tragen lebenslange Folgeschäden davon. Ein Zeuge erzählte, wie er und seine Mithäftlinge mit kahlgeschorenen Köpfen und nackt in solch eine Zelle gesperrt wurden. Sie wussten nicht, wo sie sich befanden. Oft werden sie mit kaltem Wasser abgespritzt. Sie sind dem Sadismus der Wärter schutzlos ausgeliefert, die sie häufig mehrere Stunden oder sogar mehrere Tage ohne Kleidung lassen. Sie werden ausgehungert oder bekommen tagelang kein Wasser. "Wir waren 13 Tage ohne Kleidung in einer Zelle", erzählte der Zeuge Anas Hamdo Amnesty.

Nach einer gewissen Zeit verlegt man die Gefangenen in Gruppen von 30 bis 35 Personen in größere Zellen. Die Häftlinge dürfen nicht miteinander reden, sie dürfen den Wärtern auch niemals direkt in die Augen sehen. Verstoßen sie gegen die Regel oder werden sie ertappt, erfolgt eine Strafe. Hinzu kommt eine besonders perfide Taktik: Die Häftlinge müssen einen "Sprecher" bestimmen, dem die Aufgabe zukommt, einen aus der Gruppe für willkürliche Prügel oder eine andere Folter auszuwählen. Ist der "Sprecher" dazu nicht in der Lage, ist er selbst an der Reihe. 

Krieg in Syrien: Einblicke in Assads Todesfabrik - die unmenschlichen Methoden im Foltergefängnis

Entzug von Wasser und Essen

Eine Standardmethode ist der Entzug von Wasser und Essen. "Nachdem sie uns kein Wasser mehr gaben, warteten wir vor der kleinen Luke in der Tür, durch die sie normalerweise das Wasser gossen. (...) Wir leckten das Kondenswasser von den Wänden und der Decke. Nach neun Tagen begannen die ersetn, ihren eigenen Urin zu trinken", sagte ein Mann mit Namen Omar aus.

Doch es gibt zahllose weitere Grausamkeiten. Die Häftlinge müssen ihre spärlichen Essensrationen, wenn die Wärter es so wollen, direkt vom verdreckten Boden essen. Die Wärter zwingen sie, sich gegenseitig zu vergewaltigen, oder sie müssen tagelang nasse Kleidung tragen. Waschen, Hygiene und medizinische Versorgung wird oft verweigert. Im Winter müssen die Inhaftierten die Kälte in den unbeheizten Zellen ertragen. Krankheiten und Infektionen sind stark verbreitet.

Die Hinrichtungen

Der Hinrichtungsprozess hat ebenfalls einen festgelegten Ablauf. Die Todgeweihten werden zunächst von Militärtribunalen schuldig gesprochen, die in etwa eine bis drei Minuten für das Urteil brauchen, so berichten es Zeugen. Diese Tribunale befinden sich an einem anderen Ort. Die Verurteilten erfahren nicht, welche Strafe man für sie vorgesehen hat. Sie wissen nur, dass sie angeblich schuldig sind. Am Tag der Hinrichtung gehen die Wärter durch die Gefängnistrakte und sammeln diejenigen ein, die auf ihrer Todesliste stehen. In der Regel waren es wohl 20 bis 50 Menschen, die an zwei Tagen in der Woche getötet wurden. Später soll sich die Frequenz erhöht haben. Die Häftlinge werden immer am Nachmittag aus den Zellen geholt. Die Wärter erzählen ihnen, dass sie in ein staatliches Gefängnis verlegt werden. Für die Gefangenen ist das eine gute Nachricht, weil die Verhältnisse dort in der Regel nicht so unmenschlich sind.

Die Häftlinge müssen sich in die "train position" begeben. Sie müssen eine Reihe bilden, die Köpfe gesenkt, eine Hand hält sich an der Kleidung des Vordermanns fest. In einer Sammelzelle gibt es ein letztes Mal Prügel, so stark, dass die Schreie bis in die Zellen der anderen Häftlinge zu hören sind. Schließlich werden die Gemarterten in der Nacht gefesselt und mit Augenbinden auf Lastwagen vom "Red Building" zum "White Building" gefahren. Dort befindet sich im Keller der Hinrichtungsraum mit den Galgen. Die Gefangenen müssen, dort angekommen, einen Fingerabdruck auf einem Dokument hinterlassen und werden aufgefordert, ihre letzten Wünsche offiziell zu äußern. Erst in diesem Moment realisieren sie, dass die hingerichtet werden.

Doch wie sie sterben, wissen die Opfer immer noch nicht. Sie tragen weiterhin die Augenbinde. Die Wärter führen sie auf eine Plattform. Dort legt ihnen der Scharfrichter die Schlinge um den Hals und gibt ihnen einen Stoß. Erst wenn die Häftlinge die Galgenschlinge am Hals spüren, wird ihnen bewusst, auf welche Weise sie hingerichtet werden. Manche von ihnen sterben nicht sofort, weil sie zu leicht sind und ihr Genick nicht bricht. In diesen Fällen müssen die Scharfrichter nachhelfen, indem sie sich an die Beine hängen.

Die Leichen werden danach abtransportiert, in einem Militärkrankenhaus registriert und mutmaßlich in Massengräbern verscharrt. Da die Zahl der Hinrichtungen aber bis 2015 offensichtlich stark zugenommen hatte, wurde ein Krematorium am White Building in Betrieb genommen, um die große Zahl der Leichen zu verbrennen, so ist die Vermutung.

Nach Schätzungen von Amnesty International wurden im Zeitraum von 2011 bis 2015 zwischen 5000 und 13.000 Menschen in Saydnaya hingerichtet oder zu Tode gefoltert. Für den Zeitraum nach 2015 gibt es bislang keine Zeugen. Aber Saydnaya ist weiter in Betrieb. Die Vermutung liegt nahe, dass die Massenexekutionen bis zum heutigen Tag andauern. Der Bericht von Amnesty International deckt sich mit Beobachtungen der Vereinten Nationen, die aber keine Opferzahlen vorliegen haben.

Saydnaya Luftbild
Diese Luftbilder des Foltergefängnisses veröffentlichte die US-Armee
© DPA

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