Drei Tage nach der Präsidentenstichwahl in der Ukraine hat die Wahlkommission am Mittwoch den bisherigen Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch offiziell zum Sieger erklärt. Auf Janukowitsch entfielen demnach 49,46 Prozent der Stimmen. Sein Gegenkandidat Viktor Juschtschenko kam der Kommission zufolge auf 46,61 Prozent.
Die Opposition zweifelt die Resultate weiterhin an und vermutet Wahlfälschungen. Die Massendemonstration der Oppositionsanhänger in Kiew reagierte mit den Rufen wie "Schande, Schande" auf die Nachricht. Minuten nach der Bekanntgabe des umstrittenen Ergebnisses zogen Anhänger Juschtschenkos in Richtung Präsidentenpalast. Der westlich orientierte Viktor Juschtschenko erkennt das Ergebnis - wie seine Anhänger - nicht an. Oppositionspolitiker drohten mit Protestaktionen bis hin zum Generalstreik. Beobachter befürchteten eine Konfrontation zwischen Anhängern beider Lager.
Petro Poroschenko, ein Abgeordneter und Gefolgsmann Juschtschenkos, sagte, die Mitglieder der Wahlkommission hätten die Verantwortung für einen Staatsstreich übernommen. "Jetzt wird die Straße sprechen. Jetzt wird das Volk sprechen." Unter den Parlamentsabgeordneten kam es nach der Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses bereits zu Handgreiflichkeiten. Die Vereinigten Staaten wollen nach den Worten von Außenminister Colin Powell das Wahlergebnis in der Ukraine nicht anerkennen. Die Wahl habe keinen internationalen Standards entsprochen, sagte Powell am Mittwoch in Washington. Powell warnte vor der Anwendung von jeglicher Gewalt gegen Demonstrationen in der Ukraine.
Am Dienstagabend hatte der scheidende Präsident Leonid Kutschma angesichts der sich stetig verschärfenden politischen Krise zu Gesprächen aufgerufen. Die Opposition erklärte sich dazu bereit, doch müsse es dabei einzig und allein um die friedliche Machtübergabe an Juschtschenko gehen, sagte dessen Vertrauter Mykola Tomenko. Kutschma, der Janukowitsch unterstützt hat, bezeichnete die Massendemonstrationen als "politische Farce", die extrem gefährlich sei und zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen könne. Außerdem warnte Kutschma hat vor einem Umsturzversuch der Opposition. Die Anhänger des unterlegenen Kandidaten Viktor Juschtschenko wollten "das gewaltsame Szenario eines Umsturzes durchsetzen", sagte Kutschma am Mittwochabend in Kiew. Die Staatsmacht werde dies nicht zulassen und weder innerem noch äußerem Druck nachgeben. Alle politischen Kräfte sollten in einen Dialog eintreten.
Juschtschenko zu Wahlwiederholung bereit
Juschtschenko erklärte, sollten die Behörden eine Wiederholung der Wahl für nötig erachten, sei er dazu bereit. Allerdings müsse die Wahlkommission aus anderen Mitgliedern zusammengesetzt sein. Janukowitsch sagte vor der Bekanntgabe des Ergebnisses, er werde sich erst dann zum Sieger erklären, wenn die Ergebnisse ihm und dem ukrainischen Volk präsentiert worden seien. "Ich brauche keinen gefälschten Wahlsieg", zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Kutschma rief aber auch zu einer Verhandlungslösung auf: "Wir sollten friedlich und mit Bedacht die komplizierte Lage erörtern und der Gesellschaft wirkliche Schritte zur Beilegung der Krise vorschlagen." Er sei überzeugt, dass dies der einzige Weg sei, eine ausgewogene Lösung zu finden, damit die Ukraine nicht zerfalle. Juschtschenko kündigte zuvor eine Kampagne des zivilen Ungehorsams an. "Die Ukraine ist an der Schwelle eines zivilen Konflikts", sagte er in einer Dringlichkeitssitzung des Parlaments. "Wir haben zwei Wahlmöglichkeiten: Entweder wird das Parlament oder die Straße die Antwort geben."
Anhänger bleiben in ihrer Zeltstadt
Zahlreiche Juschtschenko-Anhänger verbrachten eine weitere Nacht in ihrer am Sonntag errichteten Zeltstadt auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Die Gefolgsleute Janukowitschs bauten derweil 500 Meter entfernt beim Stadion ein Zeltlager auf. Zu Zwischenfällen kam es zunächst nicht.
Zwei Mitglieder der Wahlkommission sollen laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Interfax ihre 13 Kollegen aufgefordert haben, den Abschlussbericht nicht zu unterzeichnen. Auch vier Diplomaten der ukrainischen Botschaft in Washington stellten den fairen Verlauf der Präsidentenwahl in Frage.
Botschafter ins US-Außenministerium zitiert
Das US-Außenministerium bestätigte, dass der russische Botschafter Jurij Uschakow am Dienstag einbestellt worden sei. Man habe wissen wollen, warum Präsident Wladimir Putin dem ukrainischen Regierungskandidaten Janukowitsch bereits gratuliert habe. Das russische Außenministerium erklärte, sollte dieser Vorgang tatsächlich stattgefunden haben, würde dies eine beispiellose Einmischung in die inneren Angelegenheiten zweier Staaten bedeuten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnte vor dem Bundestag eine friedliche Lösung für die Ukraine an. Der neue EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso forderte vor dem Europarlament eine komplette Überprüfung des Wahlprozesses. Andernfalls müsse Kiew mit Konsequenzen rechnen. (AP, DPA, Reuters)