Nach dem mörderischen Anschlag auf Kinder und Jugendliche in den Golan-Höhen und der Tötung von Führern der Hamas und Hisbollah durch Israel droht ein großer Krieg im Nahen Osten – unvermeidlich aber scheint er nicht.
Im stern-Podcast "Die Lage – international" machte der Sicherheitsexperte Christian Mölling am Freitag deutlich, dass die iranischen Sicherheitsorgane durch den Tod des Hamas-Anführers Hanijeh, wenn er denn wirklich in Teheran stattgefunden habe, schwer gedemütigt worden seien. Das wäre ein "Riesendesaster" für sie, sagte der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Sie könnten nun versuchen, durch einen Anschlag in Tel Aviv oder Jerusalem auf eine wichtige israelische Persönlichkeit zu zeigen, dass sie mit ihren Gegnern "auf Augenhöhe operieren". Die von Iran bereits angekündigte Reaktion "muss kein Militärschlag sein".
Christian Mölling: Gefahr von "Kaskadeneffekten"
Der Experte erläuterte, dass die Akteure des Konflikts genau analysierten, welche Botschaften sie sendeten und wie diese von wem interpretiert würden. "Es ist ein kommunikatives Mehrebenen-Spiel", sagte er. Auf der einen Seite müssten die Reaktionen hart genug ausfallen, um den eigenen Leuten sagen zu können: "Denen haben wir es gezeigt." Auf der anderen Seite müssten sie so dosiert sein, dass die Lage nicht durch "Kaskadeneffekte" außer Kontrolle gerate.
Die Beteiligten täten jedoch "Dinge, von denen man dachte: Das machen die nicht". Es bestehe, "jedes Mal das Risiko, dass sie zu weit gegangen sind". Mölling verwies darauf, dass es im Frühjahr nach dem direkten Angriff Irans gelungen sei, eine Eskalation zu verhindern. Dies sei aber keine Garantie für die Zukunft. "Die sehr allgemeine Beschreibung als Pulverfass passt dummerweise immer wieder", warnte er. "Es ist eine sehr fragile Form von Kommunikation, die bislang nur funktioniert, weil der andere offensichtlich bereit ist, zuzuhören."
Die Tötung Hanijehs könnte nach Möllings Einschätzung die Verhandlungen zwischen Israel und Hamas über eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassung von Geiseln schwer beeinträchtigen. "Es kann sein, dass man damit eine mögliche Geiselfreilassung auf Wochen und Monate weiter herausgezögert hat", sagte er. Letztlich verfolgten die Konfliktparteien aber Interessen, die weiter bestünden. "Am Ende des Tages existiert die Hamas natürlich auch ohne diese eine Person weiter." Mölling wies darauf hin, dass eine Verständigung auf einen Geiseldeal im Nahen Osten viel weitreichendere Folgen hätte als die Einigung Russlands mit dem Westen über die Freilassung von Gefangenen: "Im Fall Israel-Hamas würde es einen wesentlichen Kriegsgrund ausräumen. Das ist ein interessanter Unterschied."