Anzeige
Anzeige

US-Demokratie-Organisation NED "Putins Anti-Amerikanismus erreicht ungekanntes Niveau"

Ihr Job ist es, im Auftrag der USA Regime zu stürzen. So lautet der häufige Vorwurf gegen die US-Organisation NED. Im Interview mit dem stern sagt der Präsident, warum das nicht stimmt.

Es ist bei Diktatoren und Autokraten ein beliebter Reflex, die Schuld bei "ausländischen Kräfte" zu suchen, wenn das Volk gegen ihr Regime auf die Straße geht. Das war nicht nur bei den Aufständen in der arabischen Welt der Fall - siehe Libyen, siehe Syrien - sondern zuletzt auch bei den Massenprotesten in der Ukraine. Vor allem die USA werden immer wieder beschuldigt, Revolten anzuzetteln, um ihnen missliebige Herrscher zu stürzen.

Tatsächlich gibt es US-Organisationen, die ihre Aufgabe darin sehen, anderen Ländern beim Aufbau demokratischer Strukturen zu helfen. Das National Endowment for Democracy (NED) (hier kommen Sie zur Homepage) ist eine von ihnen. Sie wird vom amerikanischen Kongress finanziert und fördert ihrerseits Demokratiebewegungen auf der ganzen Welt: mit Know-how und viel Geld. Kritiker sehen die Organisation als verlängerten Arm des CIA, die vor allem das Ziel habe, Regime-Wechsel zu betreiben. Das NED hat auch die "Orangene Revolution" 2004 in der Ukraine unterstützt.

Lesen Sie ein Interview mit dem NED-Präsidenten Carl Gershman über die aktuelle Situation in der Ukraine und die Rolle Russlands.

Carl Gershman...

... ist der Präsident der National Endowment for Democracy. Der 71-Jährige hat in Yale und Harvard studiert und leitet die Organisation seit 1984.

Herr Gershman, was ist Ihre Antwort auf den Vorwurf, dass die USA und die EU die Hauptverantwortung für die Ukraine-Krise tragen, weil sie die Erweiterung der Nato zu sehr vorangetrieben haben?
Die Ukraine-Krise, wenn Sie diese so nennen wollen, begann mit einer Gruppe junger Studenten, die friedlich gegen die Entscheidung der Regierung von Viktor Janukowitsch (ehemaliger, russlandfreundlicher Präsident der Ukraine, d. Red.) protestiert haben, den Prozess zu stoppen, sich Europa anzuschließen. Daraus entwickelte sich dann eine große Bewegung gegen Korruption und Machtmissbrauch. Hunderte und Tausende von Menschen beteiligten sich an der Bewegung auf dem Maidan und überall im Land. Was haben die Nato oder die Alliierten damit zu tun?

Der Politikwissenschaftler John Mearsheimer, Experte für Internationale Beziehungen, erwähnt ausdrücklich die Aktivitäten Ihrer Organisation in der Ukraine. Er sagt, dass die Demokratieförderung Öl ins Feuer gegossen habe. Mit anderen Worten: Er sieht die Aktivitäten des NED als Provokation, die Putins Gegenmaßnahmen ausgelöst hat.
Herr Mearsheimers Problem ist, dass er weder die Bedeutung noch die Legitimation der Aktivitäten der einheimischen Zivilbevölkerung, die sich für Demokratie einsetzt, anerkennt. Das NED unterstützt solche Aktivitäten in der Ukraine seit 1988, lange, bevor Janukowitsch an die Macht kam. Solche Unterstützung - wir nennen es nicht Demokratieförderung, weil das annehmen ließe, dass Akteure von außen die Führung übernähmen und nicht interne lokale Gruppen - beinhaltet Subventionen und Hilfe für NGOs. Für regierungsferne Gruppen also, die sich, neben anderen Dingen, für die Rechenschaftspflicht für Regierungen einsetzen. Für Beobachtung von Wahlen, für den Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften, für den Kampf gegen Korruption, für die Verteidigung von Menschenrechten. Für die Ermunterung junger Menschen, am politischen Prozess teilzunehmen und für unabhängige Medien. Nur wer gegen solche Arbeit ist, würde ihre Unterstützung als "Provokation" verstehen.

Warum werden sie dann so angefeindet?
Wie Tim Snyder gesagt hat: Putins wahres Ukraine-Problem ist nicht die Russenphobie oder die Provokation durch die Nato - sondern die Tatsache, dass die Ukraine ein Land ist von "freien Menschen, die freiwillig russisch sprechen und möglicherweise ein Vorbild für die Russen dienen könnten". Und immer mehr Russen sehen die Leichensäcke von in der Ukraine getöteten Soldaten zurückkehren. Ihre Familien aber hatten keine Ahnung, wo sie eingesetzt waren; gleichzeitig werden ihre Pensionen und Sozialleistungen gekürzt, um die Annexion eines Teils ihres souveränen Nachbarstaats zu bezahlen und einen Krieg auf dem Territorium des Nachbarn weiter fortzusetzen.

Was waren und sind Rolle und Ziele des NED in der Ukraine?
Präsident Petro Poroschenko hat unlängst bei einer Veranstaltung in Washington gesagt, dass die Ukraine ein demokratisches System habe, das sehr fragil sei und unter Druck stehe, weil es die Notwendigkeit gebe, das Land zu reformieren und es gleichzeitig gegen die militärische Aggression Russlands zu verteidigen. Während dieser Zeit wird das NED tun, was es in Übergangssituationen immer tat: Unterstützung leisten für Reformwillige und für Projekte, die dazu beitragen, die fragile Demokratie zu stabilisieren.

Was ist Ihr Lösungsansatz für die Krise mit Russland?
Die Ukrainer werden ihre Krise selbst lösen, und das NED kann versuchen zu helfen. Die freien und fairen Parlamentswahlen am 26. Oktober beispielsweise müssen unterstützt werden. Wenn ein neues Parlament gewählt ist, wird es wahrscheinlich Anfragen der Nichtregierungsorganisationen geben, beim Reformprozess zu helfen. Natürlich werden viele der Gruppen, die von der Krim und aus dem Osten der Ukraine wegen der Invasion und Besetzung gedrängt wurden, auch weiterhin Hilfe benötigen.

Wie erklären Sie sich den zunehmenden Anti-Amerikanismus in Russland? Hat das NED versagt bei seiner Mission, für westliche und demokratische Werte zu werben?
Eine der größten Tragödien in Russland unter Putin ist die Zerstörung der wichtigsten unabhängigen Sender. Dank der fast vollständigen Dominanz über die Medien ist es dem Regime möglich, die Informationen zu kontrollieren, die die große Mehrheit der Bürger erreichen, von denen immer noch über 80 Prozent ihre Informationen über das Fernsehen beziehen. Die großen nationalen TV-Sender preisen routiniert und unkritisch angebliche Erfolge des Putin-Regimes, während sie gleichzeitig die Öffentlichkeit mit unendlich viel antiamerikanischer und antiwestlicher Nahrung füttern. So sollen äußere Feinde kreiert werden, um die Aufmerksamkeit von den Problemen im Land und von der institutionellen Fäulnis abzulenken.

Anti-Amerikanismus gibt es nicht nur in Russland
Natürlich ist Anti-Amerikanismus ein bequemes und gängiges Element im Werkzeugkasten vieler Diktatoren. Durch seine Kontrolle über die Medien hat Putin den Anti-Amerikanismus auf ein bislang ungekanntes Niveau gehoben. Diese Art der Propaganda muss man im Zusammenhang mit der von Putin propagierten Ideologie sehen: dass Russland der Verteidiger traditioneller Werte sei und der Führer einer konservativen Welt, die den dekadenten Westen mit seinen fehlerhaften und liberalen Werten bezwingen wird.

Hier können sie Martin Knobbe, stern-Korrespondent in New York, auf Twitter folgen.

Der neue Kalte Krieg

Sanktionen, Lügen, Propaganda: Wie der Machtkampf zwischen Russland und dem Westen immer weiter eskaliert - die Titelgeschichte, jetzt im neuen stern

Interview: Martin Knobbe

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel