Die USA haben offiziell eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen mit Russland aufgekündigt und damit Befürchtungen einer atomaren Aufrüstung in Europa ausgelöst. Bis der INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen endgültig ausläuft, bleiben aber - zumindest theoretisch - noch sechs Monate Zeit für eine mögliche Beilegung des Streits. US-Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo kündigten am Freitag in Washington an, die USA fühlten sich von diesem Samstag an nicht mehr an die Verpflichtungen des Vertrags gebunden (lesen Sie hier mehr zu dem Thema).
Wie ist dieser, das ist zu befürchten, folgenreiche Schritt zu bewerten? Für "Die Welt" ist der Zug "nötig" gewesen: "Putin stellt schon seit Jahren die Nachkriegsordnung des Kalten krieges infrage", kommentiert die Tageszeitung. Die "Neue Osnabrücker Zeitung" meint, die USA verfolgen dabei ein anderes Motiv: "Nicht Russland ist im Visier, sondern China." Konsens herrscht bei den Kommentatoren wohl nur in einem Punkt: "Atomwaffen stabilisieren nicht, sie destabilisieren", wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. Die Pressestimmen.
USA kündigen Abrüstungsabkommen mit Russland auf - so kommentieren Medien den Schritt
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Seit den ersten Jahren der zweiten Amtszeit Obamas klagen die Vereinigten Staaten über eine russische Vertragsverletzung. Der Kreml machte sich über die Klagen lustig, und viele europäische Nato-Partner Washingtons wollten es auch nicht wahrhaben. Das ist nicht mehr so. Russland habe mit der Aufstellung eines Marschflugkörpers, der mit einem Atomsprengkopf bestückt werden kann und Ziele fast überall in Europa, weit über Berlin hinaus, erreichen kann, den INF-Vertrag von 1987 'faktisch außer Kraft' gesetzt, sagt heute der deutsche Außenminister Maas. Es ist dreist, wenn der russische Vizeaußenminister eine Unschuldsmiene aufsetzt und es 'extrem unverantwortlich' nennt, durch einseitige Aktionen den Vertrag zu untergraben. Dabei hat er ganz recht, nur war Selbstkritik natürlich nicht seine Absicht."
"Süddeutsche Zeitung" (München): "Atomwaffen stabilisieren nicht, sie destabilisieren. Dies trifft besonders dann zu, wenn sie als einzuplanende militärische Mittel verstanden werden. Ein solches Denken ist besonders gefährlich in einer Zeit, in der der US-Präsident das Bündnis mit Europa für obsolet, mindestens aber für unfair hält - und in der sich Moskau auf unterschiedlichste Weise bis hin zur hybriden Kriegsführung nationale Größe und Weltgeltung sichern möchte."
"Die Welt" (Berlin): "Ins Politische gezogen: Sollten Gespräche mit Moskau scheitern, bleibt dem Westen nichts anderes übrig, als die amerikanischen Atomwaffen auf europäischem Nato-Gebiet zu modernisieren und zusätzlich ebenfalls neue Mittelstreckensysteme zu errichten. Die Kündigung des INF-Vertrags durch die Amerikaner ist der erste so unangenehme wie nötige Schritt dazu. Nicht US-Präsident Donald Trump ist dafür verantwortlich, es ist sein russischer Kollege Wladimir Putin. Seit Jahren schon stellt er die Nachkriegsordnung des Kalten Krieges infrage und setzt auf die Schwäche des Westens. Es liegt auch an den Deutschen, ihn eines besseren zu belehren."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Washington begründet die Kündigung des INF-Vertrags damit, dass Moskau den Vertrag verletze. Wirklich? Natürlich kann das so sein, doch die USA haben keine Beweise für einen russischen Verstoß veröffentlicht. Es spricht auch nicht gerade für die US-Regierung, dass sie russische Einladungen, den strittigen Marschflugkörper zu begutachten, und Gesprächsangebote ausgeschlagen hat. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es den USA in Wirklichkeit um etwas anderes geht: um die Möglichkeit, selbst neue Waffensysteme zu bauen und zur Abschreckung zu stationieren, vor allem in Ostasien, ohne die lästigen Fesseln eines Abrüstungsvertrags. Denn nicht Russland ist im Visier, sondern China. Washington sieht sich durch den INF-Vertrag zunehmend ins Hintertreffen geraten gegenüber Peking, seinem Dauergegner, der in diesen Vertrag nicht einbezogen ist."
"Sächsische Zeitung" (Dresden): "Dieses Datum wird als schwarzer Tag für Rüstungskontrolle und Abrüstung in die Geschichte eingehen. Wie befürchtet, haben die USA den Ausstieg aus dem INF-Vertrag besiegelt. Dass der INF-Vertrag Schwächen hat, ist nicht zu übersehen. Er spiegelt die sicherheitspolitische Konstellation wider, wie sie in der Endphase des Kalten Krieges herrschte. So gesehen, ist der Vertrag nicht mehr zeitgemäß. Deshalb muss man versuchen, ihn zu erneuern. Die Kündigung ist der falsche Weg. Denn damit fällt eine Sperre gegen das atomare Wettrüsten."
"Westfälische Nachrichten" (Münster): "Russland spielt mit falschen Karten, weil neue, verbotene Marschflugkörper längst existieren. Die USA ihrerseits nehmen diese Vorlage nur allzu dankbar auf. Washington will die Fesseln des INF-Vertrages sprengen - vor allem, weil Peking nicht eingebunden ist. Die Militärmacht China ist gewissermaßen außer Kontrolle."
"General-Anzeiger" (Bonn): "Vielleicht kommt US-Präsident Donald Trump wie auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Ende des INF-Vertrages gerade entgegen, weil sie dann ungenierter als bisher ihre Truppen (auf)rüsten könnten. Trump selbst hat mit der Nato - wie das Gipfeltreffen der Allianz im vergangenen Jahr in Brüssel dramatisch gezeigt hat - nichts am Hut, Putin betrachtet das nordatlantische Bündnis seit jeher als Gegner."
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "Niemand darf sich also wundern, wenn dem kühl in die Welt blickenden Putin der Westen mehr denn je als spaltbares Material erscheint. Allerdings weiß auch Niemand, wie lange Putin seinen laut brummenden Kreisel aus Nationalismus und Militarismus immer wieder neu antreiben kann. Für eine wahre Supermacht fehlt Russland die ökonomische Dimension. Zugleich bereitet das nahe China durch die systematische und massenweise Anwendung von künstlicher Intelligenz seine eigene Variante eines Griffs nach der Weltherrschaft vor."