Washington Memo Mehr Leidenschaft, bitte

  • von Katja Gloger
Seit er Bill Clinton zu dessem ersten Wahlsieg verhalf, gilt Stanley Greenberg als Legende unter den US-Demoskopen. Heute berät er mit seiner Firma vor allem die Demokraten - und hat für den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama eine klare Empfehlung.

Stanley Greenberg kennt die US-Präsidentschaftswahlen wie kaum ein anderer: Er hat Bill Clinton zu seinem ersten großen Wahlsieg verholfen. Die Demokraten müssten populistischer werden, hatte er damals gefordert, sie müssten sich mehr für die Mittelklasse einsetzen. Später gehörten Al Gore und John Kerry zu seinen Kunden. Doch Greenberg arbeitete auch für Politiker und ihre Wahlkampagnen in der ganzen Welt, etwa für Nelson Mandela, Tony Blair und Gerhard Schröder.

Herr Greenberg, wer wird denn die Präsidentenwahl gewinnen?

Greenberg (lacht ): Ich glaube, letztlich kann es Obama schaffen. Die Wut auf Bush und die Republikaner ist bei den Wählern doch zu groß. Außerdem sehen wir eine starke Identifizierung mit der demokratischen Partei.

Doch Obama hat in den Umfragen der vergangenen Wochen ständig verloren, selbst sein entscheidendes Thema, den "Wandel", macht ihm McCain gerade streitig - und führt sogar in einigen Umfragen.

Ja, seit dem Parteitag der Republikaner hat sich das Rennen dramatisch zugespitzt. Im Moment ist es den Republikanern gelungen, die großen Themen dieser Wahl zu verändern. Obama wird als zu liberal, zu unerfahren und als zu schwache Führungspersönlichkeit dargestellt - mit Erfolg. Noch nach dem Parteitag der Demokraten in Denver lag Obama mit McCain gleichauf in der Frage, wer von beiden eine starke Führungs persönlichkeit sei. Jetzt liegt McCain mit 12 Prozent vorn. Entscheidend aber ist: McCain konnte die Botschaft des richtigen Wandels auch für sich reklamieren.

Dank Sarah Palin, der bislang vollkommen unbekannten Gouverneurin aus Alaska?

Auch. Die beiden stellen sich als querdenkende Außenseiter dar, die gegen die Subventionspolitik und Korruption in Washington vorgehen. In diesem Feld hat Obama in den vergangenen Wochen 13 Prozent verloren. Doch genau an dieser Frage entscheidet sich die Wahl: Wer bringt den richtigen, wahren Wandel nach Washington? Und da fehlt Obama eine schlüssige Botschaft.

Katja Gloger

Die US-Hauptstadt ist ein politisches Haifischbecken, in dem getuschelt, geschmiedet, verschworen und gestürzt wird. Mittdendrin: Katja Gloger. Die stern-Korrespondentin beobachtet in ihrer Kolumne "Washington Memo" den Präsidenten und beschreibt die, die es werden wollen. Dazu der neueste Klatsch aus dem Weißen Haus und von den Fluren des Kongresses.

Wie groß ist der Sarah Palin-Effekt für diese Wahl?

Ihre Nominierung hat einen großen Einfluss auf den Wahlkampf, wenn auch nicht den, den man in der Presse beschrieben hat. Es geht nämlich gar nicht darum, Hillary-Clinton-Anhängerinnen zu gewinnen. Die sind jetzt mehr für Obama als je zuvor. Palin findet viel Unterstützung bei weißen Männern ohne Hochschulabschluss, der traditionellen Basis der republikanischen Partei. Es ist die Kombination der beiden Kandidaten: John McCain als Mann für die Nationale Sicherheit, Sarah Palin als populistische Kämpferin für jedermann, mit dem Gewehr in der Hand. Und dieser Effekt wird andauern. Palin repräsentiert den Kampf gegen die Elite. Und da hat Obama ein Problem. Vor allem in den alten Industriestaaten des mittleren Westens. Ich weiß nicht, ob er diese Wähler zurückgewinnen kann.

Weil er als abgehobener Rechtsanwalt aus Harvard gilt? Oder doch, weil er ein Schwarzer ist?

Harvard eher als Hautfarbe. Vielen gilt Obama als zu elitär, als einer, der die Sorgen der normalen Menschen nicht versteht. Obama ist neu, er ist Vielen fremd, er ist anders. Viele ältere Wähler identifizieren sich nicht mit der Kultur, für die er steht. Vor allem aber zweifeln sie an seiner Erfahrung. Kann er der Oberkommandierende sein, der das Land in Krisen beschützt? Das traut man McCain ja viel eher zu.

Aber Sarah Palin etwa, die immerhin Vizepräsidentin werden soll, hat überhaupt keine Erfahrung.

Aber man wählt ja nicht Palin, sondern den Kandidaten, in diesem Fall also John McCain. Palin ist so wichtig, weil sie McCains Botschaft vom Wandel für Washington erst plausibel, glaubwürdig macht. Dennoch bleibt McCains größtes Problem: Die Menschen glauben mehrheitlich, dass er Bushs Politik fortsetzen wird.

Und warum führt er dann im Moment in den nationalen Umfragen?

Er ist der Kriegsheld, gilt als unabhängiger Denker, auch unabhängig von seiner eigenen Partei. Man mag ihn - aber letztlich glaubt man eben doch, dass er Bushs Politik fortsetzen wird. Ich denke, die Menschen wollen letztlich eine echte Veränderung. Die Wirtschaftslage, die dramatischen Probleme an der Wall Street, können Obama helfen. Er muss das Thema Wirtschaft jetzt besetzen - und zwar mit einer gewissen Leidenschaft. Dies war Hillary Clintons großes Thema bei den Vorwahlen.

Hätte Obama seine Konkurrentin Hillary Clinton zur Kandidatin für die Vizepräsidentschaft machen sollen?

Ich glaube, Hillary Clinton hätte ihm sehr geholfen. Als jemand, der für die Anliegen der älteren, schlechter gebildeten Wähler kämpft. Ohne diese Wähler kann man keine dauerhafte Mehrheit für einen Wahlsieg erringen.

Was soll Obama also tun, um die Wahlen zu gewinnen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man die Kongresswahlen vor zwei Jahren betrachten. Sie waren ein politisches Erdbeben...

... damals gewannen die Demokraten Dutzende Sitze im Repräsentantenhaus...

... diese Wahlen haben die politische Landschaft verändert. Und dies könnte den Demokraten in diesem Jahr zum Vorteil gereichen. Denn ihnen haben sich neue Wähler erschlossen: Die besser gebildete Mittelklasse in den Vororten der Städte, auch Menschen in ländlichen Gegenden - wie etwa in Iowa. Dazu kommen die Ergebnisse der Vorwahlen in diesem Jahr: hohe Wahlbeteiligungen der Schwarzen sowie der Hispanics, der Einwanderer aus Mittelamerika. Die Bundesstaaten im Westen der USA, in denen sie leben, etwa Colorado oder New Mexiko, könnten im November eine wichtige Rolle spielen. Denn bei der Präsidentenwahl handelt sich nicht um eine nationale Wahl. Es ist eine Wahl von Bundesstaat zu Bundesstaat.

Weil es um die Mehrheit der Wahlmänner geht, die von den einzelnen Staaten entsandt werden. 270 ist die magische Zahl...

So hätten vor vier Jahren 60.000 Stimmen mehr für die Demokraten im Bundesstaat Ohio gereicht - und John Kerry hätte gesiegt

Ohio gehört zu den "battleground states", den Staaten mit knappen Mehrheiten, in denen sich die Wahl entscheidet.

Ja. Und in diesem Jahr hat Obama gute Chancen auch in einigen wichtigen Staaten des Westens.

Welche Rolle spielen die jungen Wähler, viele davon Erstwähler?

Wir waren alle überrascht, wie hoch die Wahlbeteiligung bei den Vorwahlen war. Bei den Demokraten stieg sie um 110 Prozent. Damit sind aber auch Probleme verbunden: Man gewinnt junge Wähler, aber verliert die Älteren. Und wir wissen nicht, wie hoch die Wahlbeteilung im November sein wird. Wir können nur annehmen, dass sie höher sein wird, denn in Obamas Wahlkampf sind Engagement und Wählerkontakt so hoch wie nie. Es ist wie im Lehrbuch - nur noch besser. Es gibt sicher ein Potential bei jungen Wählern, bei Schwarzen und bei Hispanics. Außerdem tendieren die Wechselwähler immer noch mehrheitlich zu dem Demokraten. Und dabei können die letzten Wochen vor der Wahl entscheidend sein. Vor vier Jahren erlebten wir vor der Wahl eine Veränderung von drei Prozent zugunsten der Republikaner. Bei den Kongresswahlen vor zwei Jahren gab es diese Verschiebung zugunsten der Demokraten, und zwar in den letzten zwei Wochen vor der Wahl.

Wie wichtig sind dabei die drei Fernsehdebatten, die Duelle der Kandidaten?

Sie haben einen enormen Einfluss auf die Wahlentscheidung. Das haben alle vergangenen Wahlen gezeigt. Vor acht Jahren etwa erstellte ich die Umfragen für Al Gore. Er hatte nach den Debatten gegen Bush dramatisch verloren. Und konnte das eigentlich nicht mehr aufholen.

Man wirft Obama vor, nicht mehr "cool" zu sein, sondern "kalt". Sollte er McCain jetzt richtig angreifen, populistischer werden?

Ja und Nein zugleich. Einerseits weiß ich ja, dass Populismus hilft. Aber Obama gilt als ehrlicher Kandidat. Wenn er sein Verhalten auf einmal ändern würde, dann wäre das nicht glaubwürdig. Und was die Angriffe betrifft: Ich glaube, dass Obama bis auf die Knochen jemand ist, der keine Konflikte sucht. Er ist ein positiver Mensch. Und er will einfach nicht vorgeben, jemand zu sein, der er nicht ist. Er muss jetzt das Thema Wirtschaft besetzen. Wie gesagt, mit Leidenschaft.