200 russische Söldner sollen nach Weißrussland (Republik Belarus) entsandt worden sein, um die Lage im Land kurz vor den Wahlen am 9. August zu destabilisieren. Diese Nachricht verbreitet der weißrussische Geheimdienst KGB seit dem vergangenen Mittwoch. Im Fernsehen werden Aufnahmen von Überwachungskameras vorgeführt. Sie zeigen, wie die Männer einer nach dem anderen, in einer strikten Reihe irgendwo in Minsk aus einem Zug steigen – alle ungefähr gleich groß, von ähnlicher Statur und mit gleichen Frisuren.
32 von ihnen konnten nach Darstellung der Sicherheitsorgane festgenommen werden. Ein weiterer Komplize wurde demnach im Süden des Landes aufgehalten. Die Männer sollen der privaten russischen Söldnertruppe "Wagner" angehören. Die angeblichen Kämpfer hätten sich in einem Sanatorium in der Nähe der Hauptstadt Minsk einquartiert und Verdacht auf sich gezogen, weil sie sich so gar nicht wie typische russische Touristen verhalten hätten: Sie hätte keinen Alkohol getrunken. Außerdem hätten die Männer alle "militärische Kleidung" getragen. Sie "trugen Tarnanzüge, lehnten alkoholische Getränke ab und nahmen nicht am Unterhaltungsprogramm teil", wird das Verhalten der Männer in einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Belta beschrieben. Für den KGB verdächtig genug.
Etwa 170 Kämpfer hielten sich noch im Land auf, sagte der Staatssekretär des Sicherheitsrates, Andrej Rawkow, am Donnerstag. "Es ist wie ein Suchen nach der Nadel im Heuhaufen.
Alexander Lukaschenko, der Weissager
Überraschend kam die Nachricht jedoch nicht. Tatsächlich haben der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko und seine Geheimdienste bereits im vergangenen Monat mehrfach über angebliche Bedrohungen aus dem Ausland gesprochen. Es gebe Pläne die Lage im Land zu "destabilisieren", hieß es. Lukaschenko selbst besuchte zuletzt häufig Spezialeinheiten, bei denen unter anderem die "moderne militärische Ausrüstung" zur Neutralisierung militanter Truppen vorgeführt wurde. Erst vor Kurzem warnte der Staatschef, der bereits 26 Jahre im Amt ist, dass Söldner privater Militärfirmen in sein Land kommen könnten.
Und nun – wenige Tage später – kommt die Nachricht über die angebliche Einschleusung der 200 Söldner aus Russland. Experten und Beobachter halten es für möglich, dass die ganze Angelegenheit inszeniert sein könnte, um als Vorwand für Repressionen benutzt zu werden.
Vor jeder Wahl dasselbe Szenario
In den vergangenen Jahrzehnten redete Lukaschenko stets eine Bedrohung von Außen herbei, sobald Wahlen anstanden. Etwa 2006. Damals drohte Lukaschenko in einer Fernsehansprache: "Jedem Ausländer, der versucht, etwas in unserem Land anzustellen", werde der Kopf "wie einem Entchen abgerissen". Regimegegner wurden als "Terroristen" verfolgt. "In unserem Land wird eine gewalttätige Machtergreifung vorbereitet", verkündete damals das Militär. Die Unterstützer der Opposition hätten Anschläge und Angriffe auf Sicherheitskräfte geplant. Im Fernsehen wurde angeblich beschlagnahmtes Geld demonstriert, mit dem die umstürzlerischen Pläne finanziert werden sollten.
Kurz vor den Wahlen im Jahr 2010 waren es dann ominöse Kräfte aus der Ukraine, die den Frieden Weißrusslands bedrohten. Eine ukrainische Gruppierung soll damals versucht haben, eine ganze Wagenladung an Waffen ins Land zu schmuggeln. Sieben ausländische Bürger seien festgenommen worden, ließ der KGB verlauten. Sie hätten das Ziel gehabt, extremistische Organisationen in Weißrussland zu instruieren, hieß es damals in einem fatalistischen Fernsehbeitrag. Bei Vernehmungen hätten sie angegeben, Unruhen in Minsk stiften zu wollen. "Bis zum Tag X bleiben nur wenige Tage. In Richtung des Präsidenten Lukaschenko werden konkrete Bedrohungen laut", hieß es zum Schluss des Beitrags. Als es schließlich später zum Prozess gegen die Beschuldigten kam, war im Urteil keine Rede mehr von Terrorismus oder Waffenschmuggel. Vor der Wahl konnte aber ein Demonstrationsverbot erlassen werden.
Und auch nun fürchtet die Opposition, dass Lukaschenko die Festnahme der Söldner nutzen könnte, um unter dem Vorwand, Ordnung und Sicherheit gewährleisten zu müssen, gegen ihre Kundgebungen vorzugehen. Rund 800 Menschen sitzen deshalb bereits in Untersuchungshaft.
Die Umstände der Verhaftung sind tatsächlich merkwürdig. Schon kurz nach der Festnahme wurden etwa eine Namensliste und die Kurzbiografien der Söldner veröffentlicht. Es waren nur ein paar Stunden vergangen, da berief Lukaschenko bereits den Sicherheitsrat ein. Dort ließ er sich vom Geheimdienstchef erzählen, dass es sich bei den Festgenommenen um russische Söldner der Wagner-Truppe handelt.
Vom Kreml abgesegnet?
Auch die Reaktion des Kremls spricht vor diesem Hintergrund Bände. Da beschuldigt einer der engsten Verbündeten Moskaus russische Söldner, das Nachbarland destabilisieren zu wollen und vom russischen Außenministerium kommen nur leise Dementierungen. Es folgt keine Aufregung, kein Skandal. Die Kreml-Propagandisten schreien Lukaschenko nicht herunter. Stattdessen echauffieren sich alle lieber über Regenbogen-Fahne an der US-Botschaft in Moskau, die dort aufgehängt wurde.
Am Freitag bestätigt schließlich der Kreml, dass die Festgenommenen in Minsk tatsächlich einer privaten Söldnertruppe angehören. Sie sollen aber nur auf der Durchreise gewesen sein. "Ihr Aufenthalt hat nichts mit Belarus selbst zu tun", sagte Sprecher Dmitri Peskow. "Sie hatten Tickets nach Istanbul." Die Männer seien zu spät in Belarus angekommen und hätten auf ihren Weiterflug gewartet, sagte Peskow. "Sie sind Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma." Sie hätten nichts Verbotenes getan. "Das wissen wir mit Sicherheit", meinte der Kremlsprecher.
Dem kremlkritischen Sender "Radio Swoboda" gelang es, mit einem aktiven Kämpfer der Wagner-Truppe in Kontakt zu treten. Er bestätigte, dass in den letzten Monaten Weißrussland als Transitland genutzt wurde, um etwa nach Libyen oder in den Nahen Osten zu gelangen.
Beobachter halten nun zwei verschiedene Szenarien für möglich. Lukaschenko könnte von der Anwesenheit der Söldner gewusst haben und sich entschlossen haben, diese für sich auszunutzen, um ein Bedrohungsszenario aufzubauen. Oder die ganze Aktion war von Anfang an geplant und die Söldner wurden bewusst nach Weißrussland geschickt – mit dem Segen des Kremls. Denn auch wenn der Haussegen zwischen Moskau und Minsk manchmal schief hängt: Putin kann kein Interesse daran haben, die Position seines politischen Ziehvaters ins Wanken zu bringen. Zumindest wo sein eigener Thron momentan ziemlich unbequem wird.
Quellen: "Radio Swaboda", "Nowaja Gazeta", "Welt", "Sputnik", Belta